BIERSPECIAL: Politik fängt beim Trinken an

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Bier: Politik fängt beim Trinken an

Es liegt auf der Hand: ein Punkheft widmet sich in einem Themenschwerpunkt dem Bier. Wer dachte, es geht dabei um „lustige“ Saufgeschichten, von denen es viele gibt, oder um Bier in Songtexten (siehe dazu die Schreiberplaylists an anderer Stelle im Heft), der hat uns falsch eingeschätzt.


Es geht vielmehr um die simple Tatsache, dass in der Punkszene (und den umliegenden Genres) Bier zwar die Hauptdroge sein dürfte, und dagegen genauso wenig einzuwenden ist wie gegen Straight Edge, aber es scheinbar so ziemlich keinen interessiert, was da getrunken wird. Ob man in einst besetzten Häusern zu Gast ist, in „alternativen“ Clubs, in den AZs und JZs der Republik, in Kommerzhallen und Stadien, auf Riesenfestivals oder kleinen, von ehrenamtlicher Arbeit getragenen: (fast) überall gibt es die gleiche Plörre von den immer gleichen Marktführern (siehe Übersichtsartikel unten auf dieser Seite).

Warum ist das so? Weshalb interessiert es die vielfach sehr kritisch denkenden Menschen aus dieser Szene zwar, auf welchem Label ihre Lieblingsband veröffentlicht (bloß kein Majorlabel!), ob sie sich „ausverkauft“, aber in welche Taschen – und im Falle von Bier sind das die von multinationalen Konzernen, gegen die Majorlabels wie Provinzklitschen wirken – die hunderte und tausende Euros fließen, die man Jahr für Jahr an der Theke lässt, scheint keinen zu kümmern. Im Gegenteil: Wird in einem kleinen Kulturverein statt der schlanken Flaschen aus Bremen mal lokales Bier verkauft, gehen die Umsätze zurück.

Wir haben versucht zu ergründen, warum das so ist, welche Alternativen es gibt und was man dagegen tun kann – es muss ja nicht gleich die eigene Kellerbrauerei sein. Prost!

Joachim Hiller

 


Große Majors dominieren kleine Indies

Wer durch den Getränkemarkt seines Vertrauens geht und sich über die große Vielfalt an Biermarken freut, der liegt leider falsch. Der deutsche Biermarkt wird von wenigen großen Konzernen beherrscht, die unabhängige Brauereien zunehmend verdrängen. Regelmäßig werden kleine Traditionsbrauereien von Großkonzernen aufgekauft, Unternehmen fusionieren und neue Marken werden auf den Markt geworfen. Für den Laien ist es somit fast unmöglich zu wissen, welcher Konzern wirklich hinter den verschiedenen Marken steckt. Dass sich die vermeintliche Vielfalt an Marken und Brauereien im Groben auf eine Handvoll Konzerne beschränken lässt, dürfte viele Konsumenten überraschen.


Deutscher Marktführer mit etwa 21% Marktanteil ist die Radeberger Gruppe, die an 14 Standorten in ganz Deutschland bekannte Marken wie Radeberger, Jever und Schöfferhofer produziert. Auch internationale Biersorten wie die irischen Guinness und Kilkenny, das mexikanische Corona oder das tschechische Krušovice werden in Deutschland durch diese Brauereigruppe vertrieben. Neben regionalen Marken wie Berliner Kindl oder Sion Kölsch gehören auch einige „Billigmarken“ zum Sortiment der Radeberger Gruppe, die oft fälschlich für unabhängige Marken gehalten werden. Dazu gehören unter anderem Wicküler und die beiden „Punk-Marken“ Sternburg und Hansa. Jedes fünfte Bier, das in Deutschland getrunken wird, kommt also aus einer Brauerei der Radeberger Gruppe. Mit ihren 13,1 Millionen Hektolitern produzierten Bieres pro Jahr ist die Radeberger Gruppe im internationalen Vergleich jedoch ein kleiner Fisch und schafft es mit 0,7% Anteil an der Weltproduktion gerade einmal auf Platz 20 der größten Brauereigruppen. Auch die in Szenekreisen beliebte Marke Astra ist übrigens nicht unabhängig, sondern gehört zur dänischen Carlsberg Group, und somit zur viertgrößten Brauereigruppe der Welt.

Den zweiten Platz auf dem deutschen Biermarkt mit 14% Marktanteil belegt AB InBev, die größte Brauereigruppe der Welt, die 2008 aus der Übernahme der amerikanischen Braugruppe Anheuser-Busch durch den belgisch-brasilianischen Konzern InBev hervorging. Mit 358,7 Millionen Hektolitern produzierten Bieres pro Jahr hat sie fast 20% Anteil an der Weltproduktion. Zum Vergleich: In Deutschland werden jährlich knapp 90 Millionen Hektoliter Bier verbraucht. AB InBev produziert weltweit etwa 300 internationale und regionale Marken. In Deutschland ist der Konzern mit fünf Brauereien vertreten, in denen zum Beispiel die Marken Gilde, Franziskaner und Hasseröder hergestellt werden. Weltweit werden die drei Marken Beck’s, Budweiser und Stella Artois vertrieben.

Die Folgeplätze belegen die Oettinger Brauerei mit einer jährlichen Bierproduktion von 8,2 Millionen Hektolitern und die Bitburger Gruppe, zu der unter anderem Wernesgrüner und Köstritzer gehören. Mit ihren fünf Standorten in ganz Deutschland ist die Oettinger Brauerei die größte Deutschlands. Neben der Dachmarke Oettinger werden auch zahlreiche günstige Biermarken für Supermärkte gebraut.

Im Vergleich dazu haben die 40 führenden unabhängigen Familienbrauereien, die sich im Verbund der freien Brauer zusammengeschlossen haben, insgesamt eine jährliche Bierproduktion von etwa 6 Millionen Hektolitern. Zu diesen Brauereien gehören zum Beispiel die Bio-Brauerei Neumarkter Lammsbräu und die Kölsch-Brauerei Gaffel.

Seit einigen Jahren nimmt die Zahl der Brauereien wieder zu, mittlerweile gibt es über 1.300 Brauereien in Deutschland – von denen übrigens fast die Hälfte in Bayern liegt –, doch wie viele davon wirklich unabhängig sind und wie viele zu Brauereigruppen gehören, ist nicht bekannt. Die Zahl der Kleinstbrauereien hat in den letzten Jahren jedoch drastisch zugenommen, etwa 44% der Brauereien haben einen Jahresausstoß, der geringer als 1.000 Hektoliter ist. Nur 29 Brauereien in Deutschland produzieren mehr als eine Million Hektoliter pro Jahr.

Obwohl der Bierverbrauch in Deutschland seit Jahren abnimmt, bleibt Bier nach Kaffee, Wasser und Erfrischungsgetränken das beliebteste Getränk der Deutschen. Es könnte bestimmt noch beliebter werden, wenn es mehr innovative Qualitätsbiere geben würde, wie sie in dieser Ausgabe vorgestellt werden, die sich vom Einheitsgebräu der großen Konzerne abheben.

Christina Wenig

(Quellen: Die Freien Brauer, Barth-Report 2010/11, Deutscher Brauer-Bund, Dr. Kai Kelch Getränke-Info)

 


Chris Gin, SEWER RATS

Pilsator – Der Terminator unter den Bieren


Immer wenn ich irgendwo bin (und das bin ich ziemlich oft), versuche ich, das günstigste trinkbare Bier zu finden. Und im schönen X-berg habe ich es gefunden. Wenn ich also wieder einmal – so wie jetzt gerade – nachts Lust auf Bier bekomme und gespart werden muss, weil das Ratmobil einen neuen Spoiler braucht, dann stolpere ich aus meiner Bleibe hinterm Wild at Heart auf die Wiener Straße und zum Spätie meines Vertrauens an der Wiener/Ecke Ohlauer. Der hat dann, was ich brauche: Pilsator! Gebraut in Frankfurt, oder? Und mit 60 Eurocent ist die gekühlte Flasche unfassbar günstig. Ich nehme drei Stück für 1,80 – so wie jetzt gerade – und entgegne dem Spätiechef noch drohend beim Rausgehen: I’ll be back ...

Caddy, BAMBIX

„Aaaaaah, Bier. Meine einzige Schwäche!“

(Homer Simpson)


Diesem Zitat folgend ist es mir eigentlich Schnuppe, was ich wo in mich reinschütte. Wählerisch zu sein, kann man sich als Musiker, der viel unterwegs ist, auch gar nicht leisten. Trotzdem: Ein unterstützenswerter D.I.Y.-Braubetrieb befindet sich in Köln auf der Venloer Straße, die Braustelle. Diese Kneipe/dieses Restaurant braut selbst, sowohl obergärig („Helios“) als auch Weißbier. Von beiden bin ich ein Fan. Das Kölsch kommt ungefiltert daher und hat deswegen weitaus mehr Substanz als ein herkömmliches. Es werden Saisonbiere und Experimente angeboten – mal mehr, mal weniger gut gelungen –, wie zum Beispiel Walnussbier oder Wacholderbier. Und: Es gibt Takeaway-Bier. Für fünf Euro Pfand bekommt man eine Drei-Liter-Flasche für zu Hause; selbstredend wiederverschließbar.

Nick, LOADED

Leichenwasser


Gibt’s was Feineres, als am Hafen eine Kiste mit den Kumpels zu teilen? Ein klares „nein“, vor allem wenn man in unserer Heimatstadt ist und die Kiste das Logo unserer örtlichen Brauerei drauf hat. Als Einziges hat unser lokales Bier neben Hopfen und Malz ein „secret ingredient“: das Wasser. Die Brauerei liegt direkt neben dem städtischen Friedhof, und teilt sein Grundwasser mit dem Krematorium, was für ein besonders schmackhaftes und vitaminreiches Bier sorgt. Manche nennen es „Leichenwasser“, was einiges erklären würde, wenn man morgens früh im hiesigen Szeneviertel unterwegs ist und „the walking dead“ vom vorherigen Abend sieht.

Oise Ronsberger, RED TAPE PARADE, Tourmanager

Sponsored by Bier


Es scheint als könnte ich 2012 keinen Backstage-Raum, keinen Catering-Bereich und auch keinen Club mehr betreten, ohne von Brauerei-Logos erschlagen zu werden. Der Riesenkonzern Beck’s, das angeblich so alternative Astra oder das Pils, das es schafft, die Schönheit Berlins in 0,5l-Flaschen abzufüllen: sie sind überall. Aber war das jemals anders? Gab es einmal eine Zeit, in der Bands auf Tour waren, um Musik zu spielen und nicht um Werbung für einen Konzern zu machen? Gibt es Festivals, weil Menschen zusammen kommen wollen, um gemeinsam Musik zu hören und zu erleben oder weil Beck’s sich als Hauptsponsor ausrechnet, auf diese Weise problemlos eine riesige Zielgruppe zu erreichen und ihnen gleichzeitig noch ihr Produkt überteuert anzudrehen? Wie kann es sein, dass ein Jägermeister-Logo auf dem Banner der Band fast genauso groß ist wie der Bandname selbst? Fällt es niemandem auf, dass sich die Jack Daniel’s-Anzeigen dieser Welt bei der „Schwarz/Weiß-Live-Foto-Ästhetik“ unserer Subkultur bedienen? Und man muss sich bitte vor Augen halten, dass hier Werbung für ein Produkt gemacht wird, das – wenn falsch dosiert – Leben und Gesundheit zerstört.

Ich will hier nicht missverstanden werden: Ich habe kein Problem damit, wenn Leute sich für verantwortungsbewussten Umgang mit Alkohol entscheiden. Aber warum sollte ein Konzern daran Interesse haben, wenn er umso mehr verdient, je öfter und maßloser sein Produkt konsumiert wird? Das oft proklamierte „drink responsible“ wird doch zum Witz, wenn backstage der Alkohol oft grenzenlos verfügbar ist, die Bands anschließend bewusst oder unbewusst auf der Bühne dafür werben, um dann wiederum die Leute vor der Bühne dazu zu animieren, das Produkt in großen Mengen zu kaufen. Es ist traurig, wie oft sich Bands als laufende und redende Litfasssäulen missbrauchen lassen und bei jeder Gelegenheit die Corporate Bier- und/oder Schnapsflasche werbewirksam in die Kameras und Gesichter der Konzertbesucher halten. Ich bin angeödet von einer Welt, in der etwas so Verbindendes und Wundervolles wie Musik anscheinend nur noch dazu da ist, um Bier (und andere alkoholische Getränke) an das kaufkräftige Publikum zu bringen.

Fabsig, STEAKKNIFE, MÖFAHEAD,

DIE FAHRT VON HOLZMINDEN NACH OLDENBURG

Zwickel und Trappisten


Als gelernter Brauer und Mälzer bin ich immer daran interessiert, lokale Biere auszuprobieren. Nur gibt’s leider immer weniger Möglichkeiten dazu, da die meisten traditionellen Brauereien schon ausgestorben sind. Die sterile Plörre von den bekannten Großbrauereien und deren lokalen Ablegern tue ich mir nur ungern an – die haben sich geschmacklich alle angeglichen und ein Pils, das früher mal ein echtes Hopfenaroma besaß, schmeckt heute nur noch bitter. Meine Lieblingsbiere sind ungefiltertes Zwickel zweier lokaler Brauereien, die einfach nur süffig und angenehm herb schmecken – und keinem weismachen wollen, man wäre besonders mondän, sportlich oder sexy. Im Sommer trink ich gerne die sehr erfrischenden belgischen Gueuzes und Bières Blanches, im Winter diverse Sorten Trappistenbiere, die jedes Jahr ein klein wenig anders schmecken und die man zelebrieren kann wie einen guten Wein.

Ollo, PASCOW

Becker’s Premium Pils


Mit Bier verhält es sich ähnlich wie mit Musik im Allgemeinen oder Punkrock im Speziellen: Der Pfad abseits des Mainstreams hat viele positive Überraschungen zu bieten. Jedoch ist „independent“ nicht automatisch ein Zeichen für Qualität. Die Majors liefern zwar Produkte mit weniger Ecken und Kanten, aber auch die muss es geben. Meine Bier-Empfehlung: Becker’s Premium Pils aus dem Saarland. Love Bier – hate Warsteiner!

Beppo, SPERMBIRDS, KICK JONESES

Reissdorf Kölsch


Was für ein Glück: Es hat mich in eine Stadt verschlagen, in der es ein Bier gibt, das so schmeckt, als wäre es für mich ganz persönlich gebraut worden, jedes Detail meines Biergeschmacks berücksichtigend: Kölsch. Um ganz genau zu sein: Reissdorf Kölsch. Ich sage das ganz ohne den Lokaldünkel der Urkölner und im Wissen, dass diese Aussage den Pils-Spießern dieser Erde gewagt vorkommen mag: Es gibt auf dieser Welt kein besseres Bier als Reissdorf Kölsch. Jedenfalls für mich nicht. Ich habe bisher noch nirgends ein Besseres getrunken, schon gar nicht in Norddeutschland, wo ich mir bei einer Tour mal den Beck’s/Jever/Astra-Ekel angetrunken habe. Nein, ich brauche es süffig, mild und rund, und da gibt’s nichts Besseres als das Kölsch mit dem roten Etikett. Ersatzdrogen bei Auslandsaufenthalten: Helles aus Bayern/Franken, oder das gute alte Export (gibt es aber vermutlich nur noch im Sportheim des rheinland-pfälzischen SV Rodenbach). In England gern auch „Two pints of Lager and a packet of crisps, please!“

Alex Beatdown, THE BEATDOWN

Drink local


In Quebec, Kanada gibt es, genau wie an vielen anderen Orten der Erde auch, einige großartige lokale Brauereien, die tolle Biere herstellen. Mir fällt es schwer, nur eine zu nennen, daher hier ein paar, die ihr definitiv ausprobieren solltet: Le Naufrageur, Pit Caribou und McAuslan. Ihre Biere sind köstlich lecker, ich glaube ich geh’ mir jetzt sofort eins holen! Bin gleich wieder da ... Der Grund, warum ich vor Ort ansässige Brauereien unterstütze, ist, weil es das Richtige ist, wenn du dich um die Gesundheit und die Umwelt sorgst. Ein Produkt vom einen in ein anderes Land zu bekommen, egal ob mit LKW, Eisenbahn oder Schiff, ist immer teurer und verschmutzt unsere Umwelt. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, ein ähnliches Produkt in deiner Nähe zu finden, das für weniger Geld zu einer besseren Qualität hergestellt wird. Außerdem sagen die Leute, dass Bier nicht gerne reist, und ich neige dazu, dem zuzustimmen. Ich unterstütze lieber eine lokale Brauerei, von der ich weiß, dass sie Qualitätsprodukte herstellt, als Großbrauereien. Ich möchte, dass mein weniges Geld dorthin fließt. Kauft lokal, besauft euch global.