Schweden ist ein gutes Pflaster für Epigonentum auf hohem Niveau. Angenehm eigenständig hingegen kommt nach dem Debüt „Moments Of Grey“ das zweite Album „Pretenders & Liars“ der Stockholmer BESSERBITCH daher. Elin Andrée, Sanna Fuchs, Hella Collett und Elsa Fogelström mischen Westcoast-Punkrock mit Hard Rock und beweisen dabei ein feines songwriterisches Händchen. Im Gesamtbild erinnert das an eine Kombination aus GIRLSCHOOL, RUNAWAYS auf der einen und LUNACHICKS beziehungsweise INSAINTS auf der anderen Seite. Gitarristin und Sängerin Elin beantwortete einige Fragen zur aktuellen Lage.
Elin, eine rein weibliche Band als „bitch“ zu benennen ist sehr klischeehaft, oder ist genau das eure Absicht?
Richtig! Die meisten Bandnamen sind doch reißerisch und klischeehaft. Zuerst hießen wir sogar HOME SWEET HELL. Alle anderen guten Namen waren schon vergeben, also bot sich eine Wortneuschöpfung an. In Schweden verwenden wir das deutsche Wort Besserwisser in der gleichen Bedeutung. Wir mögen Wortspiele, insbesondere Sanna, und dabei kam eben BESSERBITCH heraus. Der Name hat keine tiefere Bedeutung und sicherlich gibt es da draußen auch bessere Bitches als uns, haha.
2008 habt ihr angefangen und 2014 erst das Debütalbum aufgenommen. Warum so spät?
Wir hatten einfach noch nicht so viele Songs und bevor wir Mist veröffentlichen, haben wir dann zuerst zwei EPs aufgenommen. 2012 kam der Deal mit Bolero Records zustande und wir haben sofort mit der Arbeit für das Album begonnen. Das hat sich dann aber auch noch mehrfach verschoben.
Ihr kombiniert Punkrock mit typischem Hard Rock. Welche Seite beeinflusst dich persönlich mehr?
Was mich betrifft, sind das eher Metal und Grunge. Bei Sanna ist es der Metal und bei den übrigen eher Punk. Für mich sind AFI der perfekte Mix aus Punk und Metal mit introspektiven und mysteriösen Texten. Sie haben mich nebst ein paar anderen erst zum Musikmachen gebracht. Ich mag diesen Crossover-Stil insgesamt. Er langweilt einen nicht so schnell und die Songs sind weniger vorhersehbar. IGNITE und STRUNG OUT sind da auch als wichtiger Einfluss zu nennen. Ich mag immer noch die gleiche Musik wie mit 16 Jahren. Wenn ich Songs schreibe oder aufnehme, versuche ich aber so wenig Musik zu hören wie möglich. Das liegt an meiner Panik, unbewusst Texte oder Harmonien von anderen zu klauen. Klingt schräg, oder? Ich konzentriere mich dann auf die Melodien in meinem Kopf. Bei Schreibblockaden höre ich dann eher Klassik wie Ludovico Einaudi oder Instrumentals, in denen die Musik für sich selber spricht und einfach nur ein Gefühl erzeugt.
Der Großteil deiner Texte ist im Gegensatz zur Musik wütend und düster.
Das ist er, aber häufig gleiten die Texte auch ins Sarkastische ab, finde ich. Für eine neurotische Person wie mich ist es notwendig und befreiend, über sich selbst zu lachen. Ich mache das in Form eines Songs. Das mag ich auch am neuen Album „Pretenders & Liars“. Es spiegelt unseren Alltag wider, was wir tun, sagen, wie wir lügen und welche Rollen wir spielen. Eigentlich sind wir eher verkappte Kinder als Erwachsene und wir bewahren uns diese jugendliche Angepisstheit.
An wen richtet sich der Song „Hate anthem“?
An viele Leute, haha. Ich wollte einen Song über Hass schreiben, ohne das Wort im Text selbst zu benutzen, nur in Form von Vergleichen und Referenzen. Unsere Texte sind vordergründig zwar nicht politisch, aber Songs wie „Eyes of misperception“, „Pretenders & liars“, „Welcome to Shitholm“ und „My resignation“ haben schon einen politischen Hintergrund. Offenbar liegt es in der menschlichen Natur, andere für sein Unglück verantwortlich zu machen. Nicht nur im scheinbar weltoffenen Schweden, sondern überall. Die konservative politische Rückwärtsgewandtheit entspringt dieser verqueren Vorstellung, dass früher alles besser war – obwohl sich die tatsächlichen Lebensbedingungen der Menschen ja verbessern. Deshalb liegt es jetzt auch an uns aufgeklärten Menschen, alles daran zu setzen, mit denen in Kontakt zu bleiben, die sich vom Hass blenden lassen. Wir dürfen sie nicht als Idioten abstempeln. Wir müssen sie überzeugen. Menschen können sich ändern. Mach ihnen ihre tatsächliche Situation klar! Erinnere sie an die fatale Zeit ab 1939! Das hört sich naiv an, ist aber so gemeint. Ich persönlich schäme mich schon fast, ein Mensch zu sein. Zumindest kann ich andere Menschen so gut wie möglich und respektvoll behandeln und den Grundsatz der Gleichheit verbreiten.
Wohnt ihr eigentlich noch alle in Stockholm? Der Song „Welcome to Shitholm“ von 2012 klingt wie eine Abrechnung mit der Stadt.
Magst du elitäre besoffene Glamrocker, zugekokste Spießer und Straßenbrutalität? Spaß beiseite! So schlimm ist es nicht. Wir leben alle in Stockholm, ich bin sogar hier geboren und aufgewachsen. Die meisten Leute verbindet doch mit ihrer Heimatstadt eine Hassliebe. Stockholm ist, glaube ich, wie jede größere Stadt im Norden: kalt, nass und dunkel, haha. Aber die Sommer sind schön warm.
Welche Locations in Stockholm sind als Tourist mit Interesse an Punk/Metal einen Besuch wert?
Auf jeden Fall das Kafé 44, ein klassischer Punkladen. Die haben auch hervorragendes veganes Essen. Im Vorort von Stockholm ist das Cyklopen super. Es liegt in der Nähe vom Wohnort unserer größten Punk-Ikone Joakim Thåström von EBBA GRÖN. Das Debaser ist auch ein guter Laden, der auch regelmäßig Punk- und Metal-Konzerte veranstaltet.
Was kann man 2017 von euch erwarten?
Aktuell buchen wir Shows für eine Europatour, einige auch in Deutschland. Alle Daten findet man auf unserer Homepage.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #130 Februar/März 2017 und Daniel Schubert
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