BE WELL

Foto© by End Hits Records

Multitasking

Brian McTernan ist nicht nur der Produzent von Bands wie THRICE, HOT WATER MUSIC oder STRIKE ANYWHERE. Er ist auch Sänger bei der Straight-Edge-Hardcore Band BATTERY sowie seit Neuestem auch bei BE WELL. Mit Mitgliedern von DARKEST HOUR, BANE und FAIRWEATHER besetzt, kann man hier getrost von einer Hardcore-Supergroup sprechen. Fixpunkt ist jedoch McTernan, der auf dem Debütalbum „The Weight And The Cost“ sein Innerstes nach außen kehrt. Warum es für ihn am Anfang schwer war, die eigenen Songs zu hören, und was ihn überhaupt dazu bewogen hat, nach langer Zeit wieder selber Musik zu machen, erzählt er im Interview.

Das Erste, was mir beim Hören von „The Weight And The Cost“ in den Sinn gekommen ist, war der Gedanke, dass es dir sehr schlecht gehen muss, um solche Songs zu schreiben. Kannst du dich noch an die Emotionen erinnern, die du dabei hattest?

Wenn man sich die Platte anhört, kann man sehr schnell erkennen, wie viel Schmerz ich hier verarbeite. Ich kann mich daran erinnern, dass ich beim Schreiben der Texte sehr emotional war und viel geweint habe. Schließlich singe ich auf „The Weight And The Cost“ über viele Dinge, vor denen ich mich über einen sehr langen Zeitraum versucht habe zu schützen. Dabei habe ich mich selbst belogen. Sich das einzugestehen und alle Ängste, die ganze Enttäuschung und den Frust über sich selbst herauszulassen, war alles andere als einfach. Vor allem da ich eigentlich nicht mit meinen Gefühlen hausieren gehe und sie lieber für mich behalte. Irgendwann konnte ich die ganzen Gedanken aber nicht mehr abblocken und musste mich ihnen stellen. Wie wichtig das für mich war und wie sehr ich selbst davon profitieren konnte, habe ich erst wirklich gemerkt, als wir die Platte geschrieben haben. Dabei war es am Anfang auch gar nicht meine Absicht, BE WELL als Katharsis zu nutzen. Jetzt ist es passiert, jeder, der es möchte, kann sich meinen Umgang mit meinen Depressionen anhören. Das ist schon seltsam.

Wie kam es dazu, dass ihr aus den Bands BATTERY, DARKEST HOUR, BANE und FAIRWEATHER BE WELL gegründet habt?
Wir waren gerade dabei, mit BATTERY wieder aktiver zu werden, hatten sogar einen neuen Song, „My last breath“, und waren auf Tour, unter anderem auch auf dem Sound of Revolution Festival in Eindhoven. Ich kann mich daran erinnern, dass ich mich auf einmal in einer Lawine der Kreativität befand, in der ich eine Menge Texte schrieb. Meine Emotionen ergossen sich nur so aufs Papier. So hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Das lag vor allem daran, dass ich, als ich mit dem Produzieren von Bands anfing, diese kreative Seite von mir total ausgeblendet habe. Ich habe alles in eine imaginäre Box gepackt und diese irgendwo tief im Keller versteckt. Manche Dinge, vor allem die, mit denen du dich nicht regelmäßig beschäftigst, vergisst du einfach. Andere Dinge werden über die Jahre aber immer wichtiger für dich und fordern irgendwann wieder deine Aufmerksamkeit. So war es auch mit meinem Drang, wieder Texte zu schreiben und meine eigene Band zu haben. Dass wir mit BATTERY ab und zu mal wieder Konzerte gespielt haben und unsere alten Songs präsentieren sollten, hat mir einfach nicht mehr gereicht. Also habe ich mich quasi mir selbst gegenüber verpflichtet und von da an jeden Tag irgendetwas geschrieben. Was dann passiert ist, hat mich selbst total überrascht, aber auch verängstigt. Denn es waren nicht einfach nur irgendwelche schönen Wörter. Alles, was ich schrieb, kam tief aus mir heraus und hat mich gezwungen, mich wieder mehr mit mir selbst zu beschäftigen. Es gab Situationen, da war ich selber so schockiert von dem, was ich da produziert habe, dass ich Angst hatte, mir meine eigenen Texte noch einmal durchzulesen. Dabei brauchte ich es unbedingt, mich selbst auszudrücken. Unser Gitarrist Mike Schleibaum hat mich dann dazu ermutigt, mit BE WELL ein neues „Transportmittel“ für meine Gefühle zu gründen, weil das zu BATTERY einfach nicht gepasst hat.

Wie war es für dich, die Texte im Studio einzusingen, wenn das Schreiben schon so schmerzhaft war?
Das war wirklich sehr dramatisch. Vor allem da ich auch gar nicht so gerne im Zentrum der Aufmerksamkeit stehe. Ich behalte eigentlich mein Privatleben und meine Gedanken lieber für mich. Jetzt haben wir ein Album aufgenommen, das so persönlich ist, dass ich regelmäßig über meine Gefühle sprechen muss. Das ist wohl der Fluch, wenn du der Sänger der Band bist.

Du hättest die Texte ja auch als Gedichte oder etwas Ähnliches veröffentlichen können. Durch Musik werden Lyrics auf eine ganz andere Art aufgeladen.
Musik war schon immer so etwas wie eine Rettungsleine für mich. Dabei meine ich jetzt nicht nur das Schreiben von Songs, sondern auch das Hören. Sie hat mir geholfen, die Welt um mich herum zu verstehen. Für mich hat Religion nie eine Rolle gespielt, ich habe die Schule geschmissen, um auf Tour zu gehen, und auch mein Elternhaus war ziemlich abgefuckt. Und dann gab es Bands wie RITES OF SPRING, 7 SECONDS oder MINOR THREAT, mit deren Songs ich mich identifizieren konnte und die über die Dinge gesungen haben, die ich auch gefühlt habe. Als ich dann auch noch die Möglichkeit hatte, mit meinen eigenen Songs in irgendwelchen verschwitzten Clubs zu spielen, und da auf Leute traf, die genauso angepisst waren wie ich, habe ich mich zum ersten Mal zu Hause gefühlt. Durch Hardcore habe ich dieses Gefühl von Gemeinschaft erfahren, dass ich nicht mehr allein mit meinen Gedanken dastand. Als Produzent habe ich die Chance, Musiker bei ihrer Kunst zu unterstützen. Doch konnte ich logischerweise nicht meine eigenen Gefühle auf fremden Platten unterbringen. Und um auf deine vorherige Frage zu antworten, ist es jetzt auch nicht so, dass ich auf einmal keine Schmerzen mehr empfinde oder dass meine Depression geheilt ist. Ich fühle mich jetzt jedoch nicht mehr so allein damit und spüre eine Verbindung zu anderen Menschen, die ich so noch nicht wahrgenommen habe. Hardcore oder von mir auch aus Punkrock hat mir ermöglicht, die Dinge auszudrücken, die ich so vielleicht nicht am Esstisch sagen würde, und bei denen ich merke, dass es auch anderen Leuten so geht. Das nimmt mir die Angst.

Wie sind deine Freunde und Familie mit den deinen Texten auf „The Weight And The Cost“ umgegangen?
Meine Tochter war einer der Hauptgründe, warum ich mich in den Texten von BE WELL überhaupt mit mir selbst und meiner Depression auseinandergesetzt habe. Es macht mich sehr stolz, dass sie sehen kann, dass ich mit meinen Gefühlen und der Band wachsen kann. Für mich ist es wichtig, dass sie sieht, dass es richtig und wichtig ist, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein und sich selbst mit den Konsequenzen des eigenen Handelns zu konfrontieren. Ich möchte, dass sie selbstbewusst ist und sich nicht verstellen muss, um angepasst zu sein. So etwas kann ich nicht von ihr verlangen, wenn ich es nicht selbst vorlebe. Deshalb habe ich auch einfach angefangen, die Songs zu schreiben. Als ich sie dann an ein paar Freunde schickte, haben sie mich gefragt, ob ich mir wirklich sicher sei, dass ich sie veröffentlichen möchte. Schließlich kann ich es dann nicht mehr rückgängig machen. Sie meinten, dass ich darauf achten sollte, was ich schreibe, da meine Tochter die Songs ja schließlich irgendwann hören könnte und sich vielleicht für mich schämen würde. Das Ganze ist super ehrlich und persönlich. Wenn mein Kind die Platte hört, wird es vielleicht verstehen, warum ich mich manchmal etwas zurückziehe oder vielleicht beim Abendessen nicht wirklich ansprechbar bin. Sie wird erkennen, dass es nicht ihr Fehler ist, sondern dass ich mit mir selbst beschäftigt bin.

Würdest du anderen Menschen, die vielleicht die gleichen Probleme haben wie du, empfehlen, dass sie ihren Mitmenschen einfach „The Weight And The Cost“ zum Hören geben, um besser verstanden zu werden?
Wenn sie das Gefühl haben, dass es in ihrer Situation helfen würde, sollen sie es gerne tun. Ich mag jedoch den Gedanken, dass es ein Selbsthilfe-Album ist, gar nicht mal so sehr. Das war ehrlich gesagt auch nie meine Absicht. Ich kann nur hoffen, dass die Platte andere dazu ermutigt, sich nicht weiter zu verstecken, und dass sie damit anfangen, ihren Freunden mitzuteilen, wie schlecht es ihnen gerade geht. Wenn ich allein überlege, wie viel Schmerz ich anderen zugefügt habe, nur weil ich ihnen gegenüber nicht ehrlich war. Ich habe mich für etwas geschämt, über das ich gar keine Kontrolle hatte.