Spätestens 2020 dürfte dem Letzten klargeworden sein, dass auch unsere Szene ein Problem mit sexuellem Missbrauch hat. Wer im Pop-Punk unterwegs ist, wird schon viele entsprechende Vorwürfe auf Twitter gelesen haben, über die in den Medien häufig nur wenig berichtet wird. 2020 geriet dann vor allem das amerikanische Musikmagazin Alternative Press in die Schusslinie, als es um schwere Vorwürfe gegen Austin Carlile ging.
Um Austin Carlile war es eigentlich ruhig geworden. 2006 hatte er die Band ATTACK ATTACK! gegründet, die er nur zwei Jahre später verließ. 2009 gründete er dann OF MICE & MEN, die in der Szene viel rumgekommen sind. 2010 erschien ihr selbstbetiteltes Debütalbum, auf dem auch „Second & sebring“ enthalten ist, der selbst nach zehn Jahren immer noch ihr meist geklickter Song auf Spotify ist. 2016 ging die Bandkarriere dann aber endgültig für ihn zu Ende – erst wurde sein Kampf mit dem Marfan-Syndrom, einer Bindegewebserkrankung, als Grund angegeben. Später schrieb Carlile allerdings auf Instagram, dass er das neue OM&M-Album nicht so hätte schreiben dürfen, wie er es wollte.
Nach seinem Ausstieg wandte Carlile sich vor allem Gott zu und sprach auf Twitter viel über seinen Glauben. Für die Szene relevant wurde er 2020 wieder. Das amerikanische Musikmagazin Alternative Press veröffentlichte einen Artikel, in dem Carlile von seinem Glauben erzählte. Daraufhin erhob ein Twitter-User schwere Vorwürfe gegen das Magazin – schon vor längerer Zeit hätten Frauen mit der Redaktion darüber gesprochen, dass sie von Carlile sexuell belästigt oder sogar vergewaltigt worden seien. Es hätte außerdem einen Artikel über diese Vorwürfe geben sollen, der vom Magazin letztendlich eingestampft wurde – aus Angst vor einer Klage.
Nur einen Tag später äußerte sich AltPress-Gründer Mike Shea in einem Statement auf der Alternative Press-Website zu den Vorwürfen. Darin entschuldigt er sich bei den Opfern des sexuellen Missbrauchs und sagt, die Story habe nicht veröffentlicht werden können, da nicht alle journalistischen Kriterien erfüllt gewesen seien: „We didn’t know all the truth, so we couldn’t tell all the truth.“
Austin Carlile wiederum dementierte die Vorwürfe, die gegen ihn erhoben wurden, ein paar Tage später und sagte, sie seien unbegründet. Seine ehemaligen Bandkollegen distanzierten sich von ihm.
Obwohl Alternative Press in einem Facebook-Post damals geschrieben hatte, dass die Story durchaus noch veröffentlicht werden soll, ist der Artikel auch zwei Jahre später noch nicht erschienen. Austin Carlile wiederum ist immer noch auf Instagram aktiv, wo er Postings zu seiner Familie und Gott macht. Mit fast 800.000 Followern hat er auch nach den schwerwiegenden Vorwürfen noch großen Support. Seine Instagram-Kommentare hat er allerdings eingeschränkt.
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