Erklärungsversuche, was Punk ist, gibt es viele. Dies ist vermutlich der erste westdeutsche Versuch in Buchform, 1978 herausgegeben vom Soziologen Rolf Lindner, heute Professor im Ruhestand, mit einem Vorwort von Udo Lindenberg („Im Ursprung finde ich Punk sehr gut. Aber die Entwicklung im Punk finde ich ganz gefährlich.“). Der schmale Band enthält Übersetzungen englischer Texte – zum Teil älteren Datums – über „klassenspezifische Rockbedürfnisse“ und „Arbeitslosen-Rock“, zu Rock Against Racism, über die SEX PISTOLS, THE Clash, Punk und Reggae, dazu Auszüge aus englischen Fanzines und aus deutschen Medien, unter anderem von Alfred Hilsberg. Lindners Analyse hangelt sich entlang an Fragen der Darstellung von Punk in der Presse und deren Wirkung auf Jugendliche, er behandelt Punk als politische Haltung, als Hard Rock-Revival und als Kommerz. Klar benennt Lindner, dass das Bild von Punk in Deutschland zuerst von den Medien geprägt wurde, unter anderem vom Spiegel mit seiner Titelstory „Punk – Kultur aus den Slums: brutal und häßlich“, in dem die modischen Extreme zum Normalfall erklärt wurden. Die Folge war, dass die ersten deutschen Punks versuchten, diesem Bild zu entsprechen, und zu Auftritten von ebenfalls dieses verzerrte Bild reproduzierende Bands wie StraSSenjungs und Big Balls & The Great White Idiot in ebensolcher Maskerade auftauchten, während Johnny Rotten wegen seines „normalen“ Aussehens als Punk in Frage gestellt wurde. Ebenso erteilt Lindner dem Versuch, Punk politisch links oder rechts einzusortieren, eine Absage. Dass die Selbststilisierung der Punks als Proletarier oft nur Fassade ist, arbeitet Lindner ebenso heraus wie den Aspekt, dass die musikalischen Wurzeln des Punk in der Ablehnung des abgehobenen Rockadels und von Virtuosentum liegen. Und er kommt zu der interessanten These, dass Punk eigentlich nur live authentisch ist und die Kommerzialisierung bereits mit der Konservierung der Musik auf Schallplatte begann. Wer sich für die Wurzeln von Punk in Westdeutschland interessiert, findet hier eine interessante Materialsammlung, die heute nur noch antiquarisch erhältlich ist.
Martin Fuchs
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #143 April/Mai 2019 und