Nachdem das Split-Album der beiden Bands offensichtlich nicht zum passenden Redakteur gefunden hatte, und daher in der letzten Ausgabe leider nur die Hälfte der verdienten Punktzahl bekam, hatte sich ein Interview mit diesen beiden wunderbaren Bands aufgedrängt. Alleine die verschwenderische Aufmachung des Doppel-Vinyls auf Rockstar Records aus Aachen ist den Kauf wert und steht der Musik in nichts nach. ATROX aus Mainz vertrauen ganz auf die Schwerkraft und lassen sich alle Zeit, um mit ihrer Musik eine dichte und düstere Atmosphäre von Leidenschaft und Verzweiflung zu zaubern. Die Aachener EAVES spielen schnellen New School Hardcore mit großartigen Melodien, die dem Genre „Screamo“ wieder ein bisschen Ehre zurückgeben. Zum Auftakt der EAVES-Tour mit ENGRAVE und ATROX am 7. März in Köln nahm ich mir beide Bands gleichzeitig vor, während sich meine Begleiter ihre Gesäß abfroren.
Wie habt ihr euch gefunden? Wie kam die Split-Doppel-LP zustande?
Marc ATROX: Die Split-LP kam zustande, weil wir Labelmates sind. Rockstar Records haben uns da zusammengebracht. Wir hatten vorher schon unsere Scheibe bei Rockstar, und dann meinte Christoph: ‚Ihr passt gut zusammen, sollen wir eine Split machen?’ Und so ist es dann geschehen. Wir machen zwar unterschiedliche Musik, aber beides zusammen ergänzt sich.
Beide Band haben ja im weitesten Sinne politische Texte, ihr verfallt aber nicht in die üblichen Anarcho-Muster. Ist das bewusstes Anders-Machen?
André ATROX: Das entsteht aus einer Lebenseinstellung heraus, dass man versucht, anders zu leben, und nicht Wege weitergeht, die eh schon beschritten sind. Daher machen wir in den Texten Experimente und versuchen, Sachen in Frage zu stellen, die jeder akzeptiert. Klingt vielleicht doof, ist aber so.
Jochen EAVES: Bei uns entstehen die Texte sehr spontan. Das sind bestimmte Situationen, die mir passieren, oder Gefühle, die ich habe und die ich dann sehr schnell in einem Song umsetze. Das ist natürlich nicht immer perfekt, aber ich habe nicht den Anspruch, großartig anarcho-politische Sachen aufzuarbeiten. Da bin ich nicht der richtige Mann für.
Marc ATROX: Bei André ist es so, dass die Texte aus einer momentanen Stimmung oder einem Gefühl beim Schreiben heraus entstehen. Und hinterher, wenn wir zusammen darüber sprechen – was wir immer tun –, dann verleihen wir dem Ganzen noch eine soziale Ausrichtung. Wir entdecken dann Dinge in den Texten, die man sich während seiner Sozialisation angeeignet hat. Die Bedingungen, unter denen wir aufgewachsen sind, und die Gefühle, die daraus entstehen, bringen wir dann in einen Zusammenhang und verleihen so dem Persönlichen eine politische Dimension.
André ATROX: Was Marc immer sehr theoretisch formuliert, versuche ich lyrisch und gefühlsfokussiert zu formulieren.
ATROX gibt es seit über zehn Jahren, zwei von euch sind beruflich als Grafiker tätig und trotzdem gibt es keine Homepage. Ist das pure Faulheit oder steckt da auch Konzept hinter?
André ATROX: Das ist Faulheit, aber auch ein kleines bisschen Konzept, weil wir immer wieder darauf angesprochen werden: ‚Wo bleibt denn eure Homepage?’ Und da nehmen wir uns einfach die Freiheit heraus, keine Homepage zu haben. Aber es wird bestimmt bald mal eine kommen.
Von den EAVES weiß ich zumindest, dass ihr euch teilweise auf einschlägigen Messageboards im Internet herumtreibt. Wie bewertet ihr das Szene-Leben im Internet?
Marc EAVES: Ich finde es sehr positiv. Erst gestern haben wir darüber gesprochen, wie cool es ist, dass es Messageboards und so was gibt, um kurzfristig Shows für Touren zu bekommen. Das ist sehr gut, wenn man da mal ganz schnell was reinschreiben kann.
Felix EAVES: Es kann unheimlich praktisch sein, wenn man mit Leuten kommunizieren will, die man so vielleicht nicht kennen lernen würde. Ich denke mal, früher ist das auch alles etwas schwieriger gewesen, Touren und solche Sachen zu organisieren, weil das alles per Post und Telefon gehen musste. Da ist das Internet insgesamt schon sehr praktisch. Was aber die Messageboards angeht, wird da viel Scheiße gepostet und dann gibt’s auf der anderen Seite auch Leute, die sich viel zu sehr darüber aufregen. Das Positive ist, dass das Internet ein Forum bietet, um sich auszutauschen. Andererseits werden da Sachen gesagt, die einem so niemand ins Gesicht sagen würde. Da sind unheimlich viele Feiglinge unterwegs, die sich hinter ihren Bildschirmen verstecken.
Jochen EAVES: Ich nehme das Medium in diesem Bereich nicht besonders ernst. Das wichtigste ist, dass man mit den paar ernsthaften Leuten, die sich da aufhalten, Kontakt aufnehmen kann. Ansonsten ist das Internet ein riesengroßer Whirlpool von Verrückten, Selbstdarstellern und Leuten, die niemanden interessieren. Man muss halt gucken, wo man die Sachen findet, die zählen. Über den Rest sollte man den Mantel des Schweigens legen.
Erzählt mal was über das Szene-Leben in eurer jeweiligen Stadt.
André ATROX: Wir hatten mal eine sehr gute ‚Szene’ in Mainz, als wir in unserem Proberaum noch Konzerte veranstalten konnten. Das hatte sich über Jahre hinweg so etabliert, dass Leute aus der ganzen Umgebung und teilweise sogar aus Frankreich dahin gekommen sind. Leider haben wir den Raum verloren, weil es irgendwie immer wieder Ärger gab. Wir hatten den auch nicht gemietet, aber es wurde eine ganze Zeit lang toleriert. Das Ganze ist dann systematisch von den umliegenden Mietern zu Grunde gerichtet worden. Mit dem Tag, wo wir da rausgeflogen sind, ist die Szene in Mainz gestorben. Es gibt zwar immer noch auf dem Uni-Campus das Haus Mainusch, was auch Punk- und Hardcore-Konzerte veranstaltet, aber nicht mit so einer Regelmäßigkeit. Da gibt es verschiedene Gremien, die sich untereinander immer wieder zerstreiten. Und dann darf mal wieder kein Konzert mehr stattfinden, weil beispielsweise die Punks wieder irgendwas gemacht haben, was den organisierten Leuten da nicht gefallen hat und so weiter. Das ist immer sehr kompliziert gewesen. Deswegen ist es in Mainz sehr still geworden, was Shows angeht.
Marc ATROX: Johannes im Haus Mainusch organisiert manchmal was. In der Regel ist da aber nichts mehr. Seitdem es den ‚Club Counterforce’ nicht mehr gibt, ist Mainz eigentlich gestorben.
Jochen EAVES: Traurige Überleitung. Der wichtigste und zentrale Ort in Aachen war definitiv das Autonome Zentrum. Es ist im Oktober geschlossen worden, und zwar auf Grund von Brandschutzmängeln, die anscheinend die zehn Jahre vorher nicht erkannt worden sind. Wir sehen das als eine sehr, sehr fadenscheinige Schließung an. Wer die ganze Geschichte lesen will, kann das auf der Homepage tun. Szenemäßig war es auf jeden Fall ein sehr, sehr großer Einschnitt. Wir haben früher auch Konzerte veranstaltet und haben unheimlich viele Leute in die Stadt geholt. Man hat sich da immer getroffen, auch wenn mal eine Band gespielt hat, die einen nicht so interessiert hat. Diese ganze Kommunikation, dieses ganze Zusammentreffen ist tatsächlich mit der Schließung des AZ fürs erste völlig gestrichen worden. Wir arbeiten gerade daran, den Laden wieder aufzubekommen, damit wir wenigstens wieder eine kleine Plattform haben. Das wäre sehr, sehr wünschenswert, weil ich glaube, dass das AZ für die Region Aachen eine unglaublich wichtige Funktion hat. Und ich wüsste nicht, wie die Szene hier aussehen würde, wenn es das AZ niemals gegeben hätte. Wahrscheinlich wäre heute gar nichts da.
Die Ausgabe vom Ox, in der das Interview hoffentlich steht, erscheint im Juni. Was ist bei euch dann gerade los?
Jochen EAVES: Wir suchen ein Studio, um die nächste Platte aufzunehmen. Das wird uns im Sommer neben der hoffentlich wieder anstehenden Arbeit im AZ wahrscheinlich am meisten beschäftigen, weil wir auch wieder neue Songs haben. Dann werden wir mal gucken, ob wir im Spätsommer, Herbst wieder was herausbringen können.
André ATROX: Die Leute, die gerade im Diplomsstress sind, werden endlich fertig sein und wir werden versuchen, viele neue Lieder zu schreiben, um auch wieder neue Platten an den Start zu bringen. Wir waren da durch lange Pausen verhindert und wollen so schnell wie möglich wieder aufnehmen.
Irgendwelche abschließenden Worte? Wollt ihr noch was loswerden?
Marc ATROX: Wir hoffen, dass es verstärkt wieder politische Bands geben wird. Ich will es nicht abwertend ‚pseudopolitisch’ nennen, aber nach dieser Phase der Entpolitisierung der Szene gibt es wieder so unheimlich viele Leute, die es anderen Bands einfach nachmachen und bestimmte Sprüche klauen. Wenn ich auf der Bühne einen Spruch klaue, dann gebe ich das zu! Ich mag es immer, wenn Bands sich ernsthaft mit Themen beschäftigt haben und das Publikum daran teilhaben lassen. Persönliche Themen, politische Themen, das ist völlig egal. Meiner Ansicht nach gehört das sogar ein bisschen zusammen. Ich habe hohen Respekt davor, wenn Bands es schaffen, ihr Innerstes nach außen zu kehren, das dann in schöne Worte zu fassen und dem Ganzen noch eine kritische Dimension zu geben. Ich möchte nur alle Leute ermutigen weiterzumachen. Wir standen oftmals kurz vorm Aufgeben, aber wir machen weiter, weil es einfach auch Spaß macht. Werdet aktiv! Macht, was ihr könnt, in eurer Gegend!
André ATROX: Macht Liebe, körperlich und geistig!
Felix EAVES: Wir sind natürlich ein bisschen nervös wegen des Tourstarts; ob das alles so läuft, ob wir finanziell hinkommen und so. Aber es ist halt eine Sache, von der wir alle mit 13, 14 geträumt haben: eine eigene Band, auf Tour gehen, Konzerte spielen und fremde Städte sehen. Auf diese Art und Weise kann man sich selbst verwirklichen. Das ist letztendlich der Grund, warum wir das alle machen und worum es geht.
Marc EAVES: Es ist wichtig, dass es im Hardcore und Punk nicht darum geht, welches T-Shirt du anhast, welche Frisur du hast, welche Brille du auf hast oder so – eine alte Weisheit, muss man aber leider immer wiederholen. Es geht darum, dass man einen Freiraum hat, in dem man sich selbst verwirklichen kann, dass man einfach das lebt, was man leben will und genau den Krach macht, den man machen will.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #51 Juni/Juli/August 2003 und Karsten C. Ronnenberg