Ein Auto mit dem Nummernschild „AM-EN 81“ ist verantwortlich für den Bandnamen der Nürnberger Hardcore-Punks AMEN 81. Vorher hießen sie CORPUS CHRISTI. In 29 Jahren Bandgeschichte haben es die Franken geschafft, wirklich nur sechs Alben zu veröffentlichen. Alle randvoll mit Wut auf Spießer, Kapitalisten oder Nazis. Schlagzeuger Thorsten Disruptor, Gitarrist Heiko aka Haxe Hardcore und René aka Herr Kuschmelka nehmen kein Blatt vor den Mund. Das neue Album „Musik aus der Bayerischen Staatskanzlei“ ist besonders schön geworden und im Oktober 2023 pünktlich zu den Landtagswahlen in Bayern erschienen. Die Band agiert strictly DIY und gibt höchst ungern Interviews. Fürs Ox hat das Trio eine Ausnahme gemacht und erzählt aus fast dreißig Jahren Mittelfinger gegen Deutschland und seine Traditionen.
Musik aus der Bayerischen Staatskanzlei“ ist ein ziemlich knalliger Albumtitel. Dann habt ihr noch all die Ministerpräsidenten vorne drauf. Welche Idee steckt dahinter?
Thorsten: Heiko hat bei irgendeinem Auftritt auf der Bühne gesagt: „Schöne Grüße aus der Bayerischen Staatskanzlei.“ Das wurde zu einem Running Gag, den wir eine Zeitlang durchgezogen haben. So ist Thorsten beim Entwickeln des Artworks auf die Idee gekommen, ein Bild von Franz Josef Strauß zu verwenden.
Thorsten: Da habe ich ein tolles Bild von ihm gefunden mit diesem Hermelinkragen und der Krone. Das wollte ich ursprünglich gerne groß auf dem Cover haben. Den anderen war das aber zu platt, und weil wir eine demokratische Band sind, haben wir eine Collage daraus gemacht. Mit allen anderen bayerischen Ministerpräsidenten nach Strauß: Edmund Stoiber, Horst Seehofer, Max Streibl, Günther Beckstein und Markus Söder.
Wie geht ihr als Punks mit der Dominanz der CSU um? Die Partei stellt seit 1957 ununterbrochen den bayerischen Ministerpräsidenten. Daran hat sich bei den letzten Landtagswahlen nichts geändert.
Thorsten: Da ist man natürlich schon ein bisschen abgestumpft. Wir kennen es gar nicht anders. Allerdings haben wir bei den erschreckend vielen Stimmen für die AfD gemerkt, dass es auch noch schlimmer geht. Plötzlich wirken Leute wie Markus Söder nicht mehr so schlimm, weil noch viele schlimmere Arschlöcher im Landtag sitzen. Wir waren alle schockiert von den Erfolgen der AfD in Bayern, das relativiert unsere Haltung gegenüber der CSU. Zumindest ein bisschen. „Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben“, hat Strauß irgendwann in den Achtzigern mal gesagt. Inzwischen hat die Realität diese Faustregel längst eingeholt.
René: Lauf doch mal durch die Stadt und schau dir die Leute an. Dann glaubst du wirklich, dass so viele AfD gewählt haben.
Lasst uns über ein paar Songs vom neuen Album reden: „Ficken für den Frieden“ ist mir gleich aufgefallen. Worum geht’s in dem Song?
Thorsten: Ich tue mir einfach schwer mit dieser neuen virtuellen Welt in den sozialen Medien, wo es überall Herzchen gibt. Ich finde das Herz als Symbol beschissen. Auch diese Herzchen, die Leute mit ihren Händen formen. Wenn die Leute immer so viele Herzen für alles schicken, was sie gut finden, da bin ich allergisch gegen. Außerdem geht es in dem Song darum, dass man mit Nazis einfach nicht reden kann, wie es im Netz suggeriert wird. Mit dieser ganzen Lichterketten-Attitüde ist in meinen Augen einfach nichts zu gewinnen.
„Teenagers in hell“ ist mir auch aufgefallen. Das klingt fast nach Punkrockern, die Papas sind.
Heiko: Ich habe drei Kinder. Alle in der Band sind inzwischen mehrfache Papas. Früher habe ich mir nie so viele Gedanken um die Zukunft meiner Kinder gemacht. Das hat sich inzwischen geändert. Die politische und die wirtschaftliche Entwicklung macht mir große Sorgen und natürlich auch die fortschreitende Zerstörung unseres Planeten. Darüber mache ich mir schon viele Gedanken. Was wird aus unseren Kindern? Hoffentlich lässt sich der aktuelle Trend stoppen. Hoffentlich wird es nicht noch schlimmer, als es jetzt schon ist.
Dann gibt es noch den Song „Topf & Söhne“, der durch den Krieg in Israel schlagartig neue Aktualität gewonnen hat.
Thorsten: In den Nuller Jahren haben wir in Erfurt gespielt. Wie so oft in einem autonom verwalteten Haus. Das Besondere war, dass dieses Haus auf dem Gelände der Firma Topf & Söhne stand. Die hatte für das NS-Regime eine Möglichkeit gefunden, spezielle Öfen zu bauen, mit deren Hilfe man deutlich mehr tote Menschen verbrennen konnte, als das mit den herkömmlichen Öfen möglich war. In der Kombination mit den Gaskammern, die ebenfalls von Ingenieuren von Topf & Söhne perfektioniert wurden, konnte man die Tötungsmaschinerie erst so richtig in Gang bringen. Die Gefühle, die ich beim Betrachten dieser Ofenfertigungshalle hatte, waren so verstörend, dass ich darüber einen Text schreiben wollte. Der Holocaust, das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte, konnte nur begangen werden, weil es eine lange Tradition des Antisemitismus gibt. Ich bin 1972 geboren und im Bewusstsein „Wehret den Anfängen“ aufgewachsen. Der Überfall der Hamas auf Israel und mehr noch die Reaktion vieler Menschen auf der Welt, die die begangenen Gräueltaten entweder feierten oder sofort relativierten, sind kaum erträglich. Aber dass in Deutschland, das eine einzigartige Verantwortung hat, kaum zwei Wochen nach dem Massaker an Juden wieder Synagogen angegriffen werden, hat bewiesen, dass der Antisemitismus immer noch real ist. Für uns als Band heißt in diesen Zeiten: Never again starts now. Solidarität mit Israel!
Zum Album gibt es eine wunderschöne Textbeilage in Magazinform und einen Bierdeckel. Da habt ihr euch offenbar viele Gedanken bei der Ausstattung gemacht. Warum ist euch das wichtig?
Heiko: Wir haben bei vielen Platten von uns gerne eine Zeitungsbeilage dabei. Also nicht durchgehend, aber schon sehr oft. Da stehen wir einfach drauf. Da hat man viele Möglichkeiten. Du kannst die Texte mit Bildern untermalen und eine weitere Ebene schaffen. Wir gestalten dieses Gesamtpaket gerne so rund, wie es geht. Deshalb passt die Textbeilage im Stil einer Altbayerischen Heimatpost einfach super zum Konzept. Mit der typischen Schrift und dem passenden Layout. Das musste einfach sein, das ist einfach stimmig. Dazu gibt es noch einen Bierdeckel mit der Aufschrift: „Ein Prosit aus der Bayerischen Staatskanzlei“.
Thorsten: Eine gute Aufmachung war uns schon immer wichtig. Deshalb haben wir in den späten Neunzigern, als die CD ihren Siegeszug antrat, weiter immer nur Platten gemacht. Wir hatten nie Bock darauf, unser Artwork und die Textbeilage so stark zu verkleinern. Sonst hätten wir unsere Ideen gar nicht richtig transportieren können. Wir sind alle Vinyl-Liebhaber und kaufen uns gerne schön aufgemachte Platten. Mich hat es schon immer genervt, wenn es kein vernünftiges Textblatt gibt.
In der Regel dauert es vier oder fünf Jahre, bis ein neues Album von euch erscheint. Warum braucht ihr immer so lange? Sechs Alben in fast drei Jahrzehnten sind nicht gerade viel ...
Thorsten: Was willst du denn damit andeuten? Haha. Wir lassen uns von niemandem unter Druck setzen. Unsere Platten kommen einfach, wenn sie reif sind. Es kann schon mal zwei oder drei Jahre dauern, bis wir uns entschließen, neue Songs aufzunehmen. Der Aufnahmeprozess dauert bei uns länger als bei anderen Bands.
Heiko: Dabei proben wir sehr regelmäßig. Mindestens dreimal im Monat und das seit Jahrzehnten.
Thorsten: Vielleicht liegt das auch daran, dass wir einen viel geringeren Ehrgeiz haben, größer oder bekannter zu werden, als andere Bands. Wir haben auch schon früh eine Art Verweigerungshaltung an den Tag gelegt. Für uns ist es deshalb jetzt auch komisch, ein Interview zu geben. Interviews mit uns gibt es nicht viele. Das Interesse von Leuten an unserer Band haben wir immer abgewimmelt und auch Bandfotos haben wir vermieden. Wir fanden diese ganzen Vermarktungsstrategien nicht so geil und haben uns an Bands wie EA80 orientiert. Die kommen für mich stringent und authentisch rüber. So wollten wir das auch immer machen. Nicht um jeden Preis bekannt werden. Deshalb erscheinen unsere Platten auch nicht nach einem Zeitplan oder auf Anraten von Plattenfirmen, sondern wenn vernünftige Songs da sind.
René: Du hast Glück, dass wir dir ein Interview geben. Das machen wir nur Rosi zuliebe – Stephan Rosenmüller von unserem Label My Ruin Records. Weil wir gedacht haben, der freut sich darüber.
Heiko: Kreativ sind wir auf jeden Fall, und wenn wir einen Flow haben, dann entstehen auch viele Songs. Das kann sogar in relativ kurzer Zeit passieren. Wir nehmen uns aber immer sehr viel Zeit fürs Studio. „Musik aus der Bayerischen Staatskanzlei“ haben wir im Verlauf von einem Dreivierteljahr aufgenommen. Allerdings waren wir nicht nonstop neun Monate lang im Studio, sondern haben alle zwei Wochen zwei Tage im Studio verbracht. Dann drei Wochen später wieder ein Tag, und so weiter. Beim Vorgänger „Attack Of The Chemtrails“ war das ähnlich. Da geht natürlich viel Zeit ins Land. Wenn wir im Studio sind, schreiben wir auch keine Songs. Wenn die Platte veröffentlicht wird, spielen wir natürlich die Songs von der neuen Platte live und erst dann entstehen wieder neue Stücke. Das sind eingespielte Prozesse, die für uns drei gut funktionieren.
Ihr habt das Album mit Dominik Bertelt in seinem Caffeine Recording Studio in Hofheim aufgenommen. Wie seid ihr auf ihn gekommen? Der ist eher bekannt als Metal-Fan.
René: Dominik wurde uns von Danijel empfohlen. Der war Sänger bei ZERRE, dann später bei COLD KIDS und inzwischen bei NAIVS. Wir waren auf der Suche nach einem bezahlbaren Studio und er hat uns den Tipp mit Dominik gegeben. Dann habe ich Dominik angerufen und wir waren uns auf Anhieb sympathisch.
Thorsten: Im Studio gab es diesen Clash zwischen Metal und Punk. Obwohl wir vorher lange telefoniert hatten, weil ich Angst hatte dahinzugehen, war er ganz schön geschockt, wie schlecht ich Schlagzeug spiele. Als Typ aus einer Metalband ist er natürlich viel besser als ich, haha. Er war erstaunt, wie schlecht eine Band im Studio sein kann, die es schon so lange gibt. Das hat dazu geführt, dass wir eine alte Tradition fortgeführt haben, die wir auch schon mit Alex Adelhardt beim Vorgängeralbum praktiziert hatten. Der kann auch Schlagzeug spielen, und als ich das stellenweise nicht hinbekommen habe, hat er einen Song für uns eingespielt. So war es auch mit Dominik. Deshalb hier noch mal schöne Grüße und vielen Dank an ihn. Das hat er gut gemacht und deshalb möchte ich diese Tradition des Gastschlagzeugers auch in Zukunft fortführen. Unsere künftigen Produzenten müssen immer auch gute Schlagzeuger sein.
Mit eurem neuen Label My Ruin verbindet euch eine alte Liebe. Wie seid ihr wieder zusammengekommen?
Heiko: Rosi kennen wir schon ewig. Seit unserer ersten Tour im Jahr 1999. Der war in so einer Fanboy-Gang in Osnabrück und hat damals schon Platten und dieses Drachenmädchen-Fanzine herausgebracht. Die erste Zusammenarbeit ergab sich, als unsere erste selbstbetitelte Single ausverkauft war. Da hat er uns gefragt, ob er die noch einmal veröffentlichen darf. Danach waren wir jahrelang bei Tobias Behle und Twisted Chords. Der hat aber jetzt nach 25 Jahren sein Label aufgegeben und dem Plattenbusiness den Rücken gekehrt. Deshalb mussten wir uns ein neues Label suchen und da haben wir nicht lange überlegt. Rosi hatte auch spontan Bock auf unser neues Album. Der hat den ganzen Backkatalog übernommen und kümmert sich rührend um alles.
Thorsten: Ich hatte parallel auch bei Audiolith angefragt. Weil wir da auch paar Leute kennen und uns gedacht haben, das würde ganz gut passen. Es hätte vielleicht auch funktioniert, aber die haben gleich nach unserer Medienpräsenz gefragt. Dann wurde schnell klar, dass wir auf so einem Liebhaberlabel besser aufgehoben sind. Außerdem waren wir mit Tobi schon lange befreundet.
Gerade in den letzten Jahren gibt es ein paar neue Nürnberger Bands im Punk- und Hardcore-Bereich. Wie seht ihr die Entwicklung der Szene?
Heiko: In Nürnberg kocht jeder sein eigenes Süppchen. Verbindungen gibt es vor allem bei den Bands, die oft im Kunstverein spielen. Ähnlich ist es bei Bands, die öfter im Z-Bau auftreten. Einen großen Zusammenhalt in der Nürnberger Punk-Szene gibt es definitiv nicht. Mit all diesen jüngeren Bands wie AKNE KID JOE haben wir nicht viel zu tun. Ich gehe zwar gerne auf Konzerte, aber man lernt sich da nicht wirklich kennen. Die Band KAVIAR haben wir zum Beispiel zufällig bei einem Konzert in Leipzig kennen gelernt. In Nürnberg haben wir die nie wahrgenommen.
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