Als ich das Ox-Online-Archiv durchforstete, musste ich erstaunt feststellen, dass die Niederländer ALL FOR NOTHING noch nie für das Ox interviewt wurden. Nach dem neuem, fünften Album „Minds Awake/Hearts Alive“ war es nun wirklich an der Zeit, eine der beliebtesten europäischen Hardcore-Bands zu treffen. Am ersten richtig heißen Tag des Jahres traf ich mich mit Frontfrau Cindy und Gitarrist Ernst (und später Bassist Joost) in Nürnberg vor ihrem Auftritt im Desi. Im Biergarten sprachen wir über das neue Album, wie man zu einer positiven Lebenseinstellung gelangt, und über Konzerte in Ländern mit exotischer Hardcore-Community. Zum Ende des Interviews wurde es dann noch mal richtig lustig, ich spielte den beiden zehn Songs vor, die sie erraten mussten.
Cindy, ich habe den Eindruck, ihr seid permanent auf Tour, das ganze Jahr über, richtig?
Cindy: Seit elf oder zwölf Jahren ist das so, also für mich, seitdem ich bei ALL FOR NOTHING eingestiegen bin. Wir spielen immer am Wochenende, da wir ja auch noch normale Jobs haben. Insgesamt kommen wir auf circa fünf Wochen Tour im Jahr.
Ihr habt auch ein Faible für ungewöhnliche Auftrittsorte oder Länder und wart schon auf Tour in Asien.
Ernst: Ja, das stimmt, vor ein paar Monaten haben wir auch in Kenia auf dem This is Africa Fest gespielt, das die Hardcore Help Foundation organisiert hat. Es war total verrückt – wir mussten alles in drei Tagen schaffen. Rein ins Flugzeug, dort ausgestiegen und dann sind wir natürlich noch durch die Wildnis gefahren und haben Elefanten gesehen. Dann haben wir auf diesem tollen Fest gespielt und am nächsten Tag ging es zurück. Es war eine aufregende Reise, ein super Auftritt, aber natürlich auch total anstrengend.
Gibt es in Kenia eine Hardcore-Szene?
Ernst: In Kenia ist es eher eine Musikszene. Wir haben auf dem Afrika-Fest zum Beispiel mit einer Deathcore-Band aus Mosambik gespielt. Später hat dann genauso selbstverständlich eine Frau mit Akustikgitarre gespielt, ich denke, sie stammt aus einem Kirchenchor. Es war schön zu sehen, dass keine starren Grenzen vorhanden sein müssen. Die Metalcore-Band LAST YEAR’S TRAGEDY aus Nairobi hat auch gespielt.
Wie läuft eure jetzige Tour, wie kommt eure neue Platte „Minds Awake/Hearts Alive“ an?
Cindy: Sehr gut, wir sind momentan viel in Frankreich und Deutschland unterwegs. Mir fällt gerade bei dieser Tour auf, dass viele Leute unsere Texte mitsingen, obwohl die Platte ja erst vor kurzem erschienen ist.
Ist „Minds Awake/ Hearts Alive“ eure beste Platte? Das ist zumindest das, was die meisten Bands über ihr neues Album sagen.
Ernst: Das ist eine sehr interessante Frage. Es ist wohl zu früh, um das objektiv sagen zu können. Ich weiß auch nicht, wie man es „berechnen“ könnte, das müsste man erst mal definieren. Misst man es an den Verkaufszahlen? Oder zählt, wie es sich für dich anfühlt? Ich bin gespannt, wie ich irgendwann mal auf die jetzt neue Platte zurückschauen werde.
Cindy: Es ist ja wie auf einer Zeitlinie – jede Platte hat ihre eigene Zeit.
Der Unterschied zur letzten LP „What Lies Within Us“ besteht auf jeden Fall schon mal im Produzenten. Was hat sich mit Brian „Mitts“ Daniels, der bei MADBALL Gitarre spielt, verändert und wie viel konnte er investieren?
Ernst: Er kam eine Woche zu uns in die Niederlande, legte eine kurze Pause ein, als er hier MADBALL begleitete, und war dann später noch mal eine Woche bei uns.
Cindy: Es war eine sehr gute Erfahrung für mich. Er hat mir sehr viel bei der Aussprache geholfen und mich dabei unterstützt, die Texte besser zu strukturieren. Gerade seine Anwesenheit war super, weil er viel mehr Erfahrung hat, als nur bei MADBALL Gitarre zu spielen, und zum Beispiel auch STRENGTH APPROACH produziert hat.
Was bedeutet New York Hardcore für euch hier in Europa?
Cindy: Auch wenn ich nicht unbedingt damit aufgewachsen bin, spüre ich bei den Vertretern alle dieselben Wurzeln, genau wie bei unserem Produzenten Mitts.
Ernst: Man kann keinen New York Hardcore machen, wenn man nicht aus New York kommt.
Was ist dann mit TERROR? Ich würde sie für eine New Yorker Band halten, wenn ich es nicht besser wüsste.
Ernst: Nein, ihnen fehlt der ganze Flow, die langsamen Parts, die Melodien. TERROR klingen stark nach Thrash Metal und haben auch viel mehr Einflüsse durch ihre ganzen Besetzungswechsel. Ich liebe sie, sie machen nur keinen New-York-Sound. Die andere Band des Sängers Scott Vogel, WORLD BE FREE, geht eher in die Richtung, sie haben ja auch tatsächlich Mitglieder aus der New-York-Hardcore-Szene wie von den GORILLA BISCUITS oder RIVAL SCHOOL.
Mir ist an eurer Entwicklung eine inhaltliche Verschiebung aufgefallen. Bis zur dritten LP „To Live And Die For“ waren die Lyrics voller Hass, auch wenn eine positive Zielrichtung schon vorhanden war. Dann gab es eine Art Bruch, denn ab eurer vorletzten Scheibe „What Lies Within Us“ spricht die reinste PMA, Positive Mental Attitude, aus euren Texten.
Cindy: Das hast du sehr gut bemerkt. Wir haben uns einfach weiterentwickelt. Durch die PMA kann ich verdammt viel Energie loswerden. Und kann dadurch vieles differenzierter sehen – ich weiß, ich kann meinen Weg selbst wählen, das ist für mich heute einfacher als damals.
Ernst: Mit 19 sieht man manches einfach anders. Es gäbe auch heute noch genug Dinge auf der Welt, die für jährlich zehn Platten voller Hass reichen würden. Aber damit macht man es sich zu einfach. Viel besser ist es, die ganzen negativen Dinge in etwas Produktiveres oder besser gesagt Positiveres umzuwandeln. Und das merkst du an den Texten.
Wie schafft ihr es bei dem ganzen Mist, der auf dem Planeten passiert, diese positive Grundeinstellung zu behalten?
Ernst: Wenn du etwas ändern willst, mache zunächst den ersten Schritt und ändere dich. Und dann kannst du leichter Veränderungen nach außen hin bewirken.
Cindy: Die Menschen um dich herum merken das, jeder strahlt etwas aus. Und wenn das einfach eine positive Grundeinstellung ist, macht sich das unter Umständen beim anderen bemerkbar. Und eben nur durch diese Einstellung kommst du weiter. Und es ist ja deine persönliche Entscheidung. Entweder du bleibst im Negativen stecken – aber es ist verdammt schwer, da wieder raus zu kommen. Oder du schaffst es, das Leben erst mal als etwas Positives anzusehen.
Ist die PMA-Geschichte oft nicht einfach nur eine beschränkte Sichtweise auf die Hardcore-Community selbst und ignoriert die ganzen politischen Zusammenhänge weltweit?
Ernst: Ich verstehe, was du meinst, aber der Punkt ist ja genau der, dass du das erst für dich machst und im Ergebnis damit anderen helfen kannst. Andernfalls wäre das Helfen ja viel schwerer. Dass man mit dieser Sichtweise die nächste Umweltkatastrophe auf den Philippinen nicht verhindert, ist natürlich klar.
Ich war vor ein paar Monaten im Berlin Strength, einem veganen Hardcore-Gym, und sie spielten da ALL FOR NOTHING. Und ich habe vor kurzem ein Foto von dir, Cindy, gesehen, wie dich die Powerlifterin und Sängerin von WALLS OF JERICHO, Candace, bei einem Training angeleitet hat. Gibt es für euch einen Zusammenhang zwischen Hardcore und Sport?
Cindy: Ja, das war lustig. Sie ist sehr professionell und motiviert einen verdammt gut. Zu deiner Frage nach einem Zusammenhang: Hardcore ist für mich persönlich die Musik, die genau mitten aus dem Herzen kommt. Wie beim Sport musst du auch hier ebenso genaue und klare Ziele haben und ebenso hart dafür arbeiten.
Ernst: Sag mal, in dem Gym dort haben sie wirklich alles in vegan, auch Kunstleder und die ganzen Supplements?
So ist es.
Ernst: Super Sache. Da können sich die Leute, die da hingehen, bedienen und viele merken wahrscheinlich gar nicht, dass sie nur veganes Zeug essen. So klappt es am besten. Wir beide sind Vegetarier und nerven damit keinen, viele schauen interessiert zu und machen dann letztlich mit. Und nach ein paar Wochen fleischloser Ernährung fühlen sie sich körperlich plötzlich besser – uns ging es jedenfalls so.
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