AGEN 53 aus Verden waren von 1981 bis 1989 aktiv und sind mir zum ersten Mal auf der „Keine Experimente! Vol. II“-LP von Weird System aufgefallen, die 1984 erschien. Dieser Sampler zeigte, wohin sich Punk in der BRD bewegte, weg vom Knüppel-Pogo-Sound hin zu eher von US-Punk beeinflussten Klängen. Die aktuelle Veröffentlichung einer Compilation-LP von AGEN 53 mit dem Titel „Spätgeburten ...“ nehmen wir zum Anlass, um ihren damaligen Sänger Todde nach den Gründen für diesen Rerelease zu fragen, wie kreativ die Szene in Verden war und welche Rolle das dortige JZ Dampfmühle dabei spielte.
Dreieinhalb Jahrzehnte nach euer Auflösung erscheint jetzt „Spätgeburten ...“. Wie kam es dazu?
Der Kontakt zum Label lief über meinen guten Freund Helge Schreiber. Wir haben die Köpfe zusammengesteckt und Ideen für die Veröffentlichung entwickelt. Parallel dazu habe ich zu Hause mein Archiv durchforstet, Kassetten und Fotos gesichtet, alte Kontakte wiederbelebt und eine Menge cooles Zeugs exhumiert, das es wert ist, posthum ans Licht der Welt zu kommen. Dazu gehören unveröffentlichte Studioaufnahmen, Rohmixe, Ü-Raum-Aufnahmen und etliche Live-Tracks. Das Ganze kommt mit einem umfassenden Beiheft mit unveröffentlichten Fotos, der Bandhistorie mit Diskografie und so weiter.
Gibt es jetzt auch eine Reunion?
Die gab es ja schon zur Feier des dreißigjährigen Jubiläums vom JZ Dampfmühle in Verden. Das ist aber auch schon wieder über zehn Jahre her. Das hatte Ballo von Break The Silence damals organisiert und uns ein bisschen dahin gepusht, diese Auftritte zu spielen. Eine weitere Reunion wäre wohl ziemlich schwierig, die Gesundheit macht teilweise nicht mehr so mit. Aber wer weiß ... ? Geplant ist allerdings nichts.
Du hast das JZ Verden erwähnt. Habt ihr da auch proben können?
Zuerst probten wir bei Goldi im Keller und zwar jeden Tag. Keiner von uns konnte vorher spielen, aber das tägliche Üben hinterließ Spuren. Nach circa einem Dreivierteljahr stieß Amok als Bassist hinzu, der vorher schon Gitarrenunterricht hatte. Irgendwann wurde es Eltern und Nachbarn zu laut und zu bunt, weil das technische Equipment auch besser wurde. Von da an begann eine kleine Odyssee durch mehrere Kellerräume bei Freunden, bis wir dann schließlich DIE KASTRIERTEN PHILOSOPHEN beerben konnten und in den Katakomben des JZ Verden für den Rest unserer Bandzeit einen Übungsraum hatten.
Wie sah die Punk-Szene in Verden aus? Welche Bedeutung hatte das JZ über die Möglichkeit zu proben hinaus?
In Verden war richtig viel los. Irgendein Radiomoderator soll es einmal das London der norddeutschen Tiefebene genannt haben. Ob es tatsächlich so gewesen ist oder reine Legendenbildung, versuche ich noch zu recherchieren. Auf jeden Fall traf es den Nagel gut auf das Kreuz, hehe – kleine Anspielung auf das Verdener Stadtwappen, ein Nagelkreuz – hatten wir doch mit OFFENSIVE HERBST 87, kurz OH 87, eine Band im Ort, die mit ihrem Beitrag auf dem Sampler „Soundtracks zum Untergang“ für uns wegweisend war. Die Jungs waren ein paar Jahre älter und gehörten zu einer Clique von etwa zwanzig Musikerinnen und Musikern, die in verschiedenen festen Bands wie T5, NOTLÖSUNG und REIHE 19 spielten, aber dazu noch in verschiedenen Projekten und Sessions musizierten. Die Doppelsingle „Katastrophe Provinz“ ist inzwischen ein gesuchtes Zeugnis dessen und lief bei uns damals hoch und runter. Auch Verdens wichtigster Musikexport, KASTRIERTE PHILOSOPHEN, ging aus dieser Generation hervor. Im September 1981 haben eben diese Musiker ein Festival in einem Landgasthaus in Westen, einem Dorf bei Verden, organisiert: „Die Verdener Unterwelle schwappt zurück“. Das war unser erstes Konzert, das wir als 14- und 15-jährige Punk-Kids alle besuchten. Im Mai 1982 folgte das „Beste Welle“-Festival in Blender mit OH 87, KASTRIERTE PHILOSOPHEN, T5 und TIC, TRIC UND TRAC aus Osnabrück, NIVEAU NULL aus Bremen hatten sich wohl vorher aufgelöst. Apropos NIVEAU NULL, bei ihrem Gastspiel mit ORGANBANK im Verdener JZ Ende 1980 gab es einen Großeinsatz der Polizei mit zahlreichen Festnahmen und Randale am Bahnhof. Danach war erst mal Schicht im JZ. Im Januar 1983 waren wir die Ersten, die dort wieder ein Konzert veranstaltet haben. Wir mussten dem Sozialarbeiter allerdings versprechen, dass wir alles aufräumen und ordentlich hinterlassen werden. Abgesehen davon, dass wir zu viel Geld für eine gemietete PA bezahlt haben, hat das Konzert gut funktioniert, so dass wir im Dezember 1983 den „Tanz in den Advent“ aus der Taufe hoben, der dann in der Folgezeit jährlich stattfand und quasi unser regelmäßiges Heimspiel bis 1989 gewesen ist. Auch andere Freunde und Musiker wie zum Beispiel AKTION S fingen an, Konzerte selber zu organisieren. Daraus entstanden dann verschiedene Konzertinitiativen – Gruß an Wolle und Ballo an dieser Stelle –, die regelmäßig Konzerte organisierten, was dazu führte, dass das JZ ein wichtiger Auftrittstort in Norddeutschland wurde.
Ihr seid mir zum ersten Mal auf „Keine Experimente! Vol. II“ von Weird System aufgefallen Wie ist der Kontakt zustande gekommen? Wie hast du die Zusammenarbeit in Erinnerung?
Weird System hatten auf dem Beiblatt zum ersten „Keine Experimente!“-Sampler Bands dazu aufgerufen, ihnen ihre Aufnahmen zuzuschicken. Da haben wir ihnen direkt unser Split-Tape mit A.V. BLOX geschickt und einen ziemlichen Verriss erhalten. Zumindest fing das Antwortschreiben so an: Zu schematisch, zu Standard, Klischeethemen und so weiter ... Aber dann war da ja noch der Song „American dream“, der hatte Mansur und Matthias viel besser gefallen, so gut, dass er für den Sampler gesetzt war. „Flucht“ haben wir dann praktisch extra dafür geschrieben. Ein Bekannter musste uns nach Berlin fahren, weil wir alle noch keine 18 waren und noch ziemlich Kidpunk-mäßig waren. Weird System waren da schon deutlich professioneller unterwegs. Die Abwicklung und Abrechnung verlief völlig transparent und korrekt. Die Platten kamen, ein bisschen Geld kam auch. Und später gerade auch im Hinblick auf unsere eigene Single und Mini LP standen uns Weird System immer sehr hilfreich mit Rat und Tat zur Seite. Wir sind in all den Jahren sporadisch in Kontakt geblieben. Dass „American dream“ noch mal auf der amtlichen CD-Box „Punk Rock BRD Volume 3“ gelandet ist, war dann eine späte Wertschätzung und unsere Ankunft im digitalen Zeitalter.
Weird System hatten auf dem Textblatt zum ersten „Keine Experimente!“-Sampler geschrieben: „Gehobene Chancen haben in Zukunft Bands im Ami-Stil von FLIPPER, SS DECONTROL, BLACK FLAG, SUICIDAL TENDENCIES“. Da stellt sich mir die Frage nach euren Einflüssen ...
Die waren äußerst vielfältig. Wir haben damals alles an dieser neuen Musik aufgesogen wie die Schwämme das Nass. Zuerst viele deutsche Sachen, insbesondere natürlich auch die aus unsere Heimatstadt, dann die ganzen England-Bands, 77er- und Frühachtziger-Punk und -Oi!. Aber dann sind wir doch ziemlich schnell auf US-Hardcore-Bands abgefahren. Die Jungs und Mädels waren deutlich weniger am Rumposen und musikalisch einfach fitter. Das BAD BRAINS-Konzert im Schlachthof in Bremen im Mai 1983 war eine echte Offenbarung, Musik von einem anderen Planeten, ein Initiationsritus. Von da an war nichts wie vorher. Später kam auch so Post-Punk-Zeugs dazu wie XMAL DEUTSCHLAND, THE CHAMELEONS und NEW MODEL ARMY. Auch Sixties-Garage-Sachen wie THE FUZZTONES oder NOMADS wurden gerne und häufig goutiert. Unter dem Strich waren das doch alles sehr gitarrenlastige Sounds.
Ihr habt eure Single „Ich wünsch dir für die Zukunft etwas mehr Glück, junge Welt“ und die Mini-LP „Fortschritt“ selbst veröffentlicht. Was waren die Gründe? Wie lief das ab?
Der Sampler „Keine Experimente! Vol. II“ war für uns ein Türöffner, wir haben etliche Gig-Anfragen erhalten und auch andere Labels wurden aufmerksam. Viele haben wegen Tapesampler-Beiträgen angefragt. Das war ja das Medium jener Tage und wir haben etliche Songs in meist guter Qualität zu zahlreichen Compilations beigesteuert. Aber es gab auch ein kleines Label, das mit uns eine LP rausbringen wollte. Ende 1985 sind wir auch tatsächlich in ein ziemlich fettes Studio in Ostwestfalen eingeladen worden und haben dort vier Songs aufgenommen. Es fehlten noch ein paar Gesangsspuren und das Finetuning, aber dann riss plötzlich der Kontakt zu dem Label ab ... Funkstille. Bis sich das Studio ein halbes Jahr später meldete und fragte, ob wir nicht die Aufnahmen kaufen und zu Ende bringen wollten. Nö, wollten wir nicht, weil wir damals nicht das Geld gehabt und durch den zeitlichen Verzug inzwischen andere Songs favorisiert haben. Wir haben ein halbes Jahr später ein Wochenende im Masterplan Studio in Hildesheim gebucht und vier andere Songs für unsere EP aufgenommen, die im Sommer 1987 in 500er-Auflage erschien. Das hat uns nicht davon abgehalten, ein Jahr später die 6-Song-Mini-LP „Fortschritt“ aufzunehmen und Anfang 1989 in 1.000er-Auflage in Eigenregie rauszubringen.
Habt ihr oft in anderen Städten gespielt? Wie wurden die Konzerte in einer Zeit ohne Internet organisiert?
Wir haben ungefähr fünfzig Auftritte und zwei Reunion-Shows gespielt, die meisten davon im norddeutschen Raum. Das machen heute Bands mit einem ähnlichen Bekanntheitsgrad locker in einem Jahr. Allerdings muss man dazu sagen, dass Deutschland damals noch geteilt und die Szene deutlich kleiner war. Wir haben damals hauptsächlich in Jugendzentren und besetzten Häusern gespielt. Es wurden Kassetten an Konzertveranstalter verschickt, mit der Post natürlich. Das dauerte schon ein paar Tage, bis die Warensendung ankam, und es gab auch noch nicht so viele tourende Bands aus England oder den USA. Das ging erst in den späteren Achtzigern los. Wir haben zwei Konzerte mit NOMEANSNO auf ihrer ersten Tour gespielt – in Meldorf und im Kling Klang in Wilhelmshaven. Wir waren außerdem in Dänemark und Holland, wo wir jeweils drei Auftritte hatten.
Welche Konzerte sind dir in besonderer Erinnerung geblieben?
Wir haben damals mit vielen guten und wichtigen Deutschpunk-Bands zusammengespielt wie RAZZIA, EA80, UPRIGHT CITIZENS und mehrfach mit NEUROTIC ARSEHOLES, später mit DROWNING ROSES. Vor allem mit letzteren, insbesondere mit Zahni, hat sich eine langjährige Freundschaft entwickelt. Das Persönliche war uns damals ziemlich wichtig. Darüber hinaus sind sicher eine ganze Menge Konzerte in guter Erinnerung geblieben wie etwa das in Aalborg, wo wir 1989 im 1000Fryd – das gibt es heute noch – mit VERNON WALTERS spielten. Da kamen die Leute rein, hängten ihre Jacken auf, tanzten völlig ausgelassen vom ersten Ton an und waren nach dem Auftritt wieder genau so schnell weg, wie sie gekommen waren. Oder in München, wo wir vor dem vielleicht härtesten Publikum spielten. Lauter Lederjacken-, Nieten- und Irokesenträger, die kurz davor waren, die erste Band von der Bühne zu prügeln, und bei uns eine wilde Pogo-Orgie feierten. Zugegebenermaßen spielten wir auch ziemlich gut und einen Tick schneller und wilder als sonst.
Apropos Lederjacken-, Nieten- und Irokesenträger: Verden und Hannover liegen ja nicht so weit auseinander – wart ihr auch auf den Chaostagen?
Goldi und ich waren 1983 bei den ersten Chaostagen. Wir sind mit der Bahn hin, haben schon im Zug die ersten Punks getroffen und ihnen ein paar unserer damaligen Kassetten verkauft. Das Konzert von DIE ALLIIERTEN und DAILY TERROR im UJZ Kornstraße war auch richtig klasse, bis von der einen Seite Neonazis und von der anderen Seite Bullen aufmarschierten und sich vor dem Tor eine wüste Straßenschlacht entwickelte. Darauf hatten wir aber nicht so den Bock, so dass wir uns mit einigen anderen Punks und Skins über den rückseitigen Hinterhof und bis zum Bahnhof durchschlugen. Dort lungerten wir mit zahlreichen Punx aus allen Teilen der Republik rum, bis wir morgens den ersten Zug wieder zurück nach Verden nahmen. Das war es für mich mit Chaostagen und Skins und Punx united.
Was bedeutete Punk damals für dich und wie ist das heute?
Punk war für uns die größtmögliche musikalische und künstlerische Freiheit und Kreativität, der Bruch mit sämtlichen Konventionen und verkrusteten Strukturen. Auf zu neuen Ufern und Wegen, das tun und lassen, was man wollte, deswegen lieferten auch EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN für die Gründung einer eigenen Band mehr Inspiration als die SEX PISTOLS. Zugleich war es ein Lebensgefühl wie ein großer bunter Abenteuerspielplatz aus Musik, Kleidung, Einstellung, Sinnhaftigkeit, Gemeinschaft und Kommunikation – und all das war natürlich auch ein Ventil für den Alltagsfrust, gegen die Langeweile im verschlafenen Vorort von Verden.
Exzessiven Alkohol- und Drogenkonsum, gab es den bei euch oder in eurer Szene?
Das gab es schon, bei uns weniger, in unserem Umfeld aber durchaus auch heftiger, und einige Leute haben es leider nicht überlebt. Wir haben frühzeitig die Kurve gekriegt, haben uns nie völlig abgeschossen, weil wir sonst die Songs, die im Laufe der Zeit immer komplexer wurden, wohl auch nicht hinbekommen hätten. Auch da haben wir uns eher an der positiven Attitude der US-Bands orientiert, ein klares Mindset war uns da schon wichtig.
Und wann bist du damals auf Punk aufmerksam geworden?
Da lief vieles parallel Anfang der Achtziger. New Wave und THE POLICE waren die Einstiegsdroge, dann ging es los mit IDEAL, DAF und der Neuen Deutschen Welle. Und dann war vor allem John Peel eine stete Inspirationsquelle. Je mehr man sich damit befasste, desto mehr neue Bands lernte man kennen. Ein Mitschüler aus der Parallelklasse steckte mir dann eine Kassette zu mit der ersten SLIME-LP und dem „Soundtracks zum Untergang“-Sampler. Ab da war klar, dass Punk mein Ding war. Dazu kam dann das Erscheinungsbild. Im Stadtbild tauchten immer mehr Typen mit schwarzen Lederjacken und Stiefeln auf – das sah gefährlich aus. Das war neu und umso interessanter.
Gab es von deiner Seite aus von Anfang an die Idee, Musik zu machen?
Na ja, zuerst war da das Konsumieren von Musik. Wir – Goldi, Micha, Tobi und ich – haben nachmittags viel zusammengehockt und Musik gehört. Bis wir plötzlich eine alte Akustikgitarre entdeckt haben und anfingen, dieser mit alten Mikros und Übersteuerung merkwürdige Sounds zu entlocken. Ab da ging’s relativ schnell, wir haben uns nach und nach Instrumente besorgt, Verstärker gebastelt, den Kellerraum mit Eierpappen ausstaffiert. Nur Tobis Keyboard wurde irgendwie nicht fertig ... Später hat er uns am Mischpult im JZ den guten Sound gemacht.
Wer hatte die Idee zu eurem Namen, also sich nach einem Verhütungsmittel zu benennen?
Der Name sollte kurz und prägnant sein. AGEN 53 war mindestens der dritte Name nach STÖRFAKTOR 81 – zu lang – und ABFLUSS – zu blöd. AGEN 53 fiel uns damals bei einer Anzeige in einem Jugendmagazin ins Auge: „Wenn Liebe heiter und unbeschwert sein soll“, hieß damals deren Slogan. Genau das Richtige für uns, zumal das mit der Zahl im Namen damals echt geläufig war, ebenso wie die Benennung nach Produkten, so wie HANS-A-PLAST, KLEENEX oder ÖSTRO 430.
Bist du heute noch musikalisch aktiv? Und wie sieht es mit den anderen aus?
Eigentlich nicht mehr. Ich bin schon noch sehr an Musik interessiert und leidenschaftlicher Plattensammler und Konzertgänger. Dabei habe ich meistens eine Kamera dabei, um Live-Fotos zu machen. Laute Musik und Fotografie bei meist schlechtem Licht. Das ist schon meins. Man findet mich bei Flickr. Wir alle leben außerdem etwas verstreut in der ganzen Republik zwischen Fulda und Stade und sind sporadisch in Kontakt. Der Einzige, der noch in einer Band spielt, ist unser Drummer.
Denkst du, dass eure Texte immer noch aktuell sind?
Einige Texte klingen aus heutiger Sicht schon etwas merkwürdig, weil sie sich nur im zeitlichen Kontext voll erschließen. Es war eben authentisch das, was wir damals gedacht und gefühlt haben, natürlich teilweise sehr zugespitzt. Allerdings sind Sachen wie „Naziterror“ leider immer noch genauso aktuell wie damals, da hat sich in vierzig Jahren wenig verändert, der Rechtsruck ist vielleicht sogar noch gravierender geworden.
Gibt es Texte beziehungsweise Songs, die du so heute nicht mehr schreiben oder auch spielen würdest?
Es gibt schon ein paar Songs, die heute einfach nicht mehr passen, gerade aus der Frühphase, der wilden Sturm- und Drangzeit. Die haben wir ja damals zum Teil auch schon aussortiert, aber die 1988er Setlist würden wir weiterhin so spielen. Das haben wir ja auch bei unseren beiden Reunion-Shows im JZ 2008 und 2009 gemacht, da haben wir nur teilweise die Texte leicht angepasst und aktualisiert.
Im Rückblick, wie war es für dich, in den Achtzigern in einer Punkband gespielt zu haben?
Eine definitiv wichtige Phase im Erwachsenwerden, wir sind ein bisschen rumgekommen, haben coole Leute kennen gelernt, von denen einige heute auch noch zu meinem Freundes- und Bekanntenkreis zählen. Wir haben gelernt, Dinge selber anzupacken und zu organisieren, DIY. Möglicherweise ...
Als wie männlich/machistisch oder emanzipatorisch hast du die damalige Szene wahrgenommen?
Das war eigentlich nicht so ein großes Thema damals beziehungsweise wurde weniger thematisiert und reflektiert. Natürlich gab es weniger Frauen in Bands und vielleicht auch in der Szene, aber für uns war Punk immer antisexistisch, von Gleichberechtigung, Respekt und Toleranz geprägt.
Wundert dich das Interesse – die Compilation Platte, unsere Interviewanfrage – nach all den Jahren?
Nein, mich wundert eher, dass es so spät kommt, hahaha! Und dass Punk nach über vierzig Jahren noch immer so eine große Relevanz hat und irgendwie immer weiterlebt. Dabei scheint man sich auch gerne an die Anfangstage und gemeinsame Zeiten zurückzuerinnern. Gleichzeitig scheint der Mensch auch davon beseelt zu sein, Neues zu entdecken. Das scheint wohl in der Genetik so angelegt zu sein, da macht Punk keine Ausnahme. Vor einigen hundert Jahren waren es vielleicht Kontinente und Länder, in den Sechzigern Drogen und heute sind es unveröffentlichte Songs deutscher Punkbands der Achtziger. Von daher wundert mich das Interesse an den ganzen Wiederveröffentlichungen und Jubiläumsfeiern nicht. Das geht mir ja genauso. Liebevoll aufgemachte Werkschauen mit vielen interessanten Bandinfos kann ich auch selbst gut abfeiern. Da möchte ich schon gerne wissen, wo kommen die her, was haben die gemacht, was sind die Geschichten hinter den Fotos. Wer sich mit Punk in der BRD der 80er Jahre beschäftigt, der kommt zwangsläufig auch auf AGEN 53 – wohl nicht ganz vorne im Regal, da stehen die bekannteren Bands, aber ein Stück weiter hinten. Und wenn Leute sich an uns erinnern, vielleicht mit Interesse das Interview lesen und Spaß an der neuen Platte haben werden, dann hat sich die Mühe gelohnt. Da steckt doch eine Menge Herzblut drin. Kommerzielles Interesse? Definitiv nein, hatten wir schon damals nicht, vielmehr ein Stück Liebhaberei und eine Möglichkeit, die Dinge noch ein bisschen länger zu bewahren, bevor sie dann tatsächlich auf dem Müllhaufen der Geschichte landen werden.
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Diskografie
„Wissen, was gut ist.“ (Split-MC w/ A.V. BLOX, Self-Released 1983) • „Einigkeit ...?“ (MC, Self-Released, 1984) • „Ich wünsch dir für die Zukunft etwas mehr Glück, junge Welt“ (7“, 53 Records, 1987) • „Fortschritt“ (12“, 53 Records, 1989) • „Fortschritt 2.8“ (CD, 53 Records, 2008) • „Spätgeburten ...“ (LP, Compilation, Power It Up, 2023)
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