Belgian Hardcore
In unserem Nachbarland Belgien gibt es eine ganze Reihe von guten Punkrock-Bands aus den verschiedensten Genre-Bereichen, ebenfalls erfreuen sich mehrere Festivals in Belgien wachsender Begeisterung und werden auch von vielen Deutschen besucht. Seit gut 35 Jahren bin ich mit den Leuten von CAPITAL SCUM aus Scherpenheuvel befreundet, die dieser Tage eine neue Split-12“ gemeinsam mit ihren Landsleuten AGATHOCLES auf Power It Up Records veröffentlicht haben. Anlass für mich, ein gemeinsames Interview mit CAPITAL SCUM-Sänger Peter „Pies“ Laeremans und AGATHOCLES-Sänger Jan Frederickx zu führen.
Jan, AGATHOCLES dürften trotz massig Releases vielen Ox-Leser*innen unbekannt sein. Kannst du die Band vorstellen und uns erklären, wie die Musik klingt, die ihr selbst als „Mince Core“ bezeichnet?
Wir sind ein Trio aus Belgien. Zwei von uns leben in Geel in der Nähe von Antwerpen, aber unser Gitarrist lebt jetzt in Holland. AGATHOCLES begannen 1985, also vor fast 35 Jahren, Lärm zu machen. Unseren Stil bezeichnen wir als Mince-Core, dabei handelt es sich um die erste Generation von Oldschool Grindcore in den Achtziger Jahren. Das ist minimalistischer, roher Grindcore, ohne die Metal-Griffe, wie ihn sie so viele heutige „Grind“-Bands verwenden. Unsere Einflüsse stammen von Bands wie CYANAMID, WRETCHED, LÄRM, NEOS, den ersten DISCHARGE-Singles, HELLHAMMER, frühen NAPALM DEATH und DISORDER, STATE CHILDREN. Zum zweiten ist für den Mince-Core die DIY-Ethik sehr wichtig, da wir versuchen, so wenig wie möglich aus den Händen zu geben und mit einem großen Netzwerk von Freunden/Gleichgesinnten weltweit zusammenzuarbeiten. Also nicht mit Managern oder großen Mainstream-Labels. Auch das soziale und politische Bewusstsein ist für das Bandgefüge sehr wichtig.
AGATHOCLES haben seit 1985 eine sehr lange und unfassbar umfangreiche Geschichte an Plattenveröffentlichung. Ihr seid vielleicht die Band mit den meisten Split-Releases weltweit in der Underground-Szene. Wie viele Platten habt ihr bisher gemacht? Und wie viele Split-Releases gibt es?
Ich denke, dass wir alles in allem auf etwa 600 Veröffentlichungen kommen, wovon mehr als die Hälfte Split-Veröffentlichungen sind. Split-Veröffentlichungen haben mich schon immer fasziniert, schon als Kind. Ich finde sie sehr interessant und sie waren immer in der Punk-Szene zu finden, wie die X-PULSION/STREETS-7“ von 1978, die WRETCHED/INDIGESTI-7“ von 1982 oder die TERVEET KADET/KAAOS-12“ von 1984. Das sind alles legendäre Platten von legendären Bands.
Kennst du einen eingefleischten Fan oder Nerd, der alle eure Veröffentlichungen besitzt?
Haha, nein, ich kenne niemanden, der alle unsere Veröffentlichungen hat. Ich habe selbst nicht alle, aber ich versuche, sie alle zu sammeln. Es gibt einige Platten, die es als halbe Bootlegs gibt, die ich nicht habe. Die Jagd nach diesen Platten ist also immer ein Abenteuer. Außerdem gibt es viele Platten in verschiedenen Vinyl-Farbvarianten, von denen ich aber auch nicht alle Versionen habe.
Erzähl uns etwas über eure neuen Songs auf der Split 12“ mit CAPITAL SCUM. Welche Art von AGATHOCLES-Songs können die Fans erwarten?
Für diese Split 12“ mit der legendären belgischen Hardcore-Band CAPITAL SCUM haben wir vier neue Songs aufgenommen, die sich am Sound von anderen alten belgischen Hardcore Punk-Bands wie ZYKLOME A und NO DEBT orientieren. Oder an WULPSE VARKENS, MORAL DEMOLITION, CAPITAL SCUM, VORTEX, KOYAANISQUATSI und DE JEUGD VAN TEGENWOORDIG. Die Texte dieser vier Songs singen wir auf Flämisch. Das ist wie Niederländisch, nur mit einem anderen Akzent. Englische Übersetzungen der Texte sind aber auf der Platteninnenhülle abgedruckt, so dass du verstehen kannst, worüber wir singen.
Wie bist du mit Thomas von Power It Up Records in Kontakt gekommen? Gab es schon irgendwelche anderen Platten von euch auf seinem Label?
Ich denke, das war vor fast 20 Jahren durch Tauschkontakte. Und 2004 veröffentlichte Thomas die KADAVERFICKER/AGATHOCLES-Split-7“ auf seinem Label. Power It Up-Platten hatten immer eine sehr interessante Mischung aus Hardcore/Punk/Death Metal/Grindcore-Veröffentlichungen von Bands zu bieten, die ich liebe, wie KUOLEMA, MESRINE, RIGHTOUS PIGS, INFERNO, UNHOLY GRAVE, SORTO, KATASTROFIALUE, TERVEET KÄDET, KANSANTURVAMUSIIKKIKOMISSIO und viele mehr. Bald wird Power It Up auch unser Studioalbum von 1996 wiederveröffentlichen, mit einer extra LP mit Bonussongs.
Neben der Band gibt es noch das 13 Times-Festival in Geel in Belgien. Wie oft habt ihr dieses Festival bisher veranstaltet? Und wann wird es das nächste geben? Was macht euer Festival aus?
Das 13 Times-Festival in Geel wird von meinem jüngeren Cousin Maarten und Nils, unserem Schlagzeuger, organisiert. Ich bin nicht am Festival beteiligt. Von 1990 bis 2000 organisierte Burt Beyens, der alte Schlagzeuger der AGATHOCLES, das Open-Air-Festival „Wee Lawaat“, was „mehr Lärm“ auf flämisch heißt. Ich war stärker an diesem Festival beteiligt, aber es wurde 2000 eingestellt. Das 13 Times-Festival fand zum 11. Mal am 6. und 7. September 2019 in Geel statt. Früher fand das Festival im örtlichen Jugendzentrum statt, aber wegen Problemen mit der rechtsextremen Szene hier in Geel war es dort nicht mehr erlaubt. Seit ein paar Jahren findet es also an einem anderen schönen Ort statt. Im Laufe der Jahre spielten dort einige legendäre Bands wie EU’S ARSE, WARFARE, BLUTTAT, LES SLUGS, DEPRESSION. Das Festival bietet einen netten Mix aus rohem Punk, Hardcore, Noisecore und Grind-Bands. Und zu einem günstigen Eintritts-Preis, netter Atmosphäre und alles läuft im DIY-Stil.
Was machst du neben der Musik beruflich? Und bist du sonst politisch aktiv?
Nils und ich arbeiten als Sozialarbeiter. In meinem Job bin ich politisch für eine Interessengruppe tätig, die sich um die Rechte von Menschen mit Behinderung kümmert, um ihr Recht auf Wohnen, Einkommen und Beschäftigung. Ansonsten bin nicht wirklich aktiv in einer politischen Bewegung, dafür aber politisch bewusst in sozialen Angelegenheiten.
Peter, CAPITAL SCUM sind eine der ältesten Punkbands aus Belgien. Ihr habt gerade eine Split-12“ mit euren Landsleuten AGATHOCLES herausgebracht. Welche Songs habt ihr für diese Split-LP aufgenommen? Warum habt ihr euch für diese Songs entschieden?
Es ist lange her, dass wir an neuen Songs gearbeitet haben. Als AGATHOCLES uns baten, mit ihnen eine Split-12“ für Power It Up Records zu machen, beschlossen wir, einige unserer ältesten Songs aufzunehmen, die noch nie zuvor richtig aufgenommen wurden. Die meisten Songs existieren auf Live-Bändern und einige davon auf unserem ersten Demo von 1981. Es sind alte Songs, die wir alle immer noch gerne live spielen, weil wir diese tolle Oldschool-Stimmung lieben. Einer der Songs war auf dem Album „Burn The Witch“ von meinem Horrorpunk-Projekt BLOOD CURSE, das wir von 2009 bis 2011 betrieben. Mit dabei war mein Bruder Larrie, mit dem ich auch bei CAPITAL SCUM spiele, dazu am Bass Dirk Ceustermans von Ex-EAR DAMAGE und Hugo van Speybroeck, ehemals CPD, am Schlagzeug. Dieser Song hört sich nach DISCHARGE meets MISFITS an und passt perfekt zu den anderen Songs. Ein Old-School-D-Beat-Massaker.
Der Song „Violent Crimes“ stammt aus dem Jahr 1981, wie es auf dem Textblatt zitiert wird. Aber soweit ich mich erinnere, wurden CAPITAL SCUM erst 1983 gegründet. Also geht dieser Song noch auf die Zeit vor eurer offiziellen Gründung zurück. Kannst du das kurz erklären?
Larrie, unser Gitarrist, ist mein großer Bruder. Wir begannen in den frühen Achtziger Jahren gemeinsam Songs zu schreiben. Später, 1981, begannen wir mit einem Schlagzeuger und Bassisten in der Garage zu proben. Viele Freunde kamen zu den Proben und es gab viel zu trinken. Das waren tolle Zeiten! Aber mit einem stabilen Line-up und Live-Shows begannen wir erst 1984 unter dem Bandnamen CAPITAL SCUM. Daher stammt der Song „Violent Crimes“ aus unseren Garagenjahren. Wenn wir auch die Garagenjahre dazu zählen, haben wir mit der Band bereits1981 angefangen.
Eure letzte eigene offizielle Veröffentlichung mit neuen Songs stammt aus dem Jahr 2005, die „100% Guilty“-CD. Wäre es nicht an der Zeit, brandneue Songs für eine zukünftige Veröffentlichung aufzunehmen?
Die letzten neuen Aufnahmen waren für die „Yesterday! Today! Tomorrow!“, das war eine Split-CD mit insgesamt vier Bands auf Rocknroll Radio Records aus dem Jahr 2008. Später haben wir noch einige GG Allin- und DAMNED-Cover für eine Compilation-CD für den legendären Musikclub Pits in Kortrijk aufgenommen. Aber in der Tat ist es an der Zeit, ein paar brandneue Songs zu schreiben. Texte und Riffs sind fertig und wir haben Pläne für eine baldige Veröffentlichung mit brandneuen Songs. Viele Besetzungswechsel im Laufe der Jahre sind der Grund, warum wir nie an neuen Songs gearbeitet haben. Wir waren zu beschäftigt, um den neuen Mitgliedern beizubringen, wie man die alten Songs spielt. Auch in den BLOOD CURSE-Jahren haben wir eine komplett neue Liste von Songs für dieses Nebenprojekt erstellt. Eine Schande, dass wir sie nie aufgenommen haben. Vielleicht sollten wir sie mit CAPITAL SCUM aufnehmen und das Album „Blood Curse“ nennen? Wie auch immer, neue Songs sind auf dem Weg.
In einem früheren Interview hast du mir erzählt, dass CAPITAL SCUM nach dem Ende der Band Ende der Achtziger Jahre bereits 2002 wieder angefangen hatten zu spielen. Wie würdest du die letzten 17 Jahre beschreiben? Was hat die Band euch gebracht?
Wir haben viele neue Orte gesehen und gute Freunde fürs Leben gefunden, wir hatten gute und schlechte Zeiten. Millionen von Gehirnzellen wurden durch Alkoholmissbrauch geschädigt! Höhen und Tiefen. Line Up-Änderungen machen nicht immer Spaß, sie verlangsamen die Band, halten sie aber auch am Leben. Aber ich liebe jeden, der in der Band gespielt hat. Es gab der Band immer eine andere Stimmung. Es ist, wie es ist. Die 17 Jahre waren großartig. Für mich ist das Spielen in einer Band auch eine Therapie, die sich mit dem täglichen Leben beschäftigt. Wir spielten zusammen mit vielen Bands, die uns gefallen haben. Wir haben in diesem Jahr auch zum ersten Mal in Italien gespielt, was eine eine tolle Erfahrung war. Wir haben viel Liebe und Respekt von den tollen Menschen dort erfahren dürfen. Und im Moment sieht die Zukunft von CAPITAL SCUM wirklich gut aus. Wir sind sehr glücklich und stolz auf diese neue Veröffentlichung zusammen mit den AGATHOCLES auf Power It Up Records. Und wir spielen in den kommenden Monaten Konzerte zusammen mit Bands wie HEIBEL, SUBHUMANS, DR. KNOW oder SHAM 69. Da freuen wir uns wirklich darauf.
Inzwischen ist auch Euer ursprünglicher Bassist Jurgenowski wieder in die Band eingestiegen. Wann ist das gewesen?
Jurgenowski war unser zweiter Bassist. Wir begannen 1984 mit Gunther am Bass live zu spielen. Als wir mit Hageland Records zusammenarbeiteten, wurde Gunther durch Jurgenowski ersetzt, der dann bei allen Hageland-Aufnahmen den Bass spielte, bis sich die Band 1988 auflöste. Dann kam er 2002 wieder in die Band, hörte aber wegen seines Jobs nach zwei Shows wieder auf. Er arbeitete damals fürs Fernsehen und musste immer monatelang weg. Danach folgten als Bassisten unser guter Freund aus Kindheitstagen „H.P.“, gefolgt von Jasper und Jakke. Das gleiche gilt für die Schlagzeuger, da Sox die Band nach 19 Auftritten verließ. Nach Sox kamen Seger und Fonne. 2008 haben wir CAPITAL SCUM auf Eis gelegt, um etwas anderes zu machen. Ich bin ein großer MISFITS-Fan und wollte schon immer mal ein Horror-Punk-Projekt machen. Das war genau die richtige Zeit, wo Larrie und ich von 2009 bis 2011 BLOOD CURSE gemacht haben. 2011 machten wir dann mit CAPITAL SCUM mit Jurgenowski am Bass und Seger am Schlagzeug weiter. Dies ist eine sehr gute Besetzung und wir spielen immer noch konstant zusammen. Seger ist einer der besten Schlagzeuger der Welt. Wir spielten einmal mit D.O.A. und nach der Show kam Joey Shithead zu mir und fragte: „Wer zum Teufel ist dieser Typ am Schlagzeug?“ Er hatte die Leute von D.O.A mit seinem erstaunlichen Drumstyle regelrecht begeistert.
Ihr preist immer sehr die „Hageland Hardcore“-Szene an. Könntest du denen, die noch nie etwas davon gehört haben, erklären worum es sich handelt?
„Het Hageland“ ist der Name der Region, in der wir leben. Als wir die Band gründeten, beschlossen wir die Musik „Hageland Hardcore“ zu nennen. Wir waren sehr gute Freunde von Werner Exelmans, der leider vor zwei Jahren verstorben ist. Werner organisierte damals viele Shows und gründete sein eigenes Plattenlabel. Die Bands, Auftritte, Veröffentlichungen und Massen an Publikum auf Konzerten machten die Hageland Hardcore-Szene aus. Viele Bands und Leute aus der ganzen Welt, die sich der Hageland Hardcore-Szene anschlossen, kamen zu Shows, spielten live und nahmen tolle Platten für Hageland Hardcore Records auf. Die Szene hatte natürlich seine Highlights in den Achtziger Jahren. Heutzutage gibt es keine große Hageland-Szene mehr, aber es gibt immer noch ein paar Hardcore-Punk-Bands, die richtig gut sind. Also promoten wir weiterhin die Hageland Hardcore-Szene.
Ich gehe davon aus, dass die Zeichnungen auf dem CAPITAL SCUM-Textblatt von dir gemacht wurden. Bist du immer noch aktiv dabei, deine eigenen Comics zu machen?
Die Zeichnungen auf dem Textblatt stammen von Larrie. Er hat einen anderen Zeichenstil als ich. Er war mein Mentor, was das Zeichnen betrifft. Ich beobachtete ihn beim Zeichnen, als ich ein kleines Kind war und er hat mich dazu gebracht, auch zu zeichnen. Ich male Cartoons und liebe es, fiktive Monster zu zeichnen. Ich habe zwei Comics voller Cartoons unter dem Titel „Beelzeburps“ zusammen mit einem meiner besten Freunde Ronald De Leeuw aus Holland veröffentlicht, der leider auch genau wie Werner vor zwei Jahren gestorben ist. Ich werde irgendwann mit meiner Monster-Kunst an Ausstellungen teilnehmen und habe dieses Jahr auch das CD-Cover Artwork für die belgische Punkrock-Band BRUCE gemacht. Ihr solltet die CD dieser Band anhören, weil sie sehr guten Hageland-Punkrock spielen.