AC4

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Musiktheoretische Erörterungen

Im Oktober 2009 erschien das erste Album von AC4, der 2008 von Dennis Lyxzén gegründeten Band. Eindeutige Agenda der Formation, die er mit seinem alten REFUSED-Bandkollegen David Sandström, Jens Nordén von der Prä-REFUSED-Band STEP FORWARD und Karl Backman (Ex-VECTORS) gegründet hatte: klassischen Achtziger-US-Hardcore zu spielen. In kürzester Zeit entwickelte sich die Band zum Geheimtipp, begann zu touren, veröffentlichte ein paar Singles – und lag 2012 wegen der REFUSED-Reunion weitgehend auf Eis. Ende März kam mit „Burn The World“ das zweite AC4-Album (in den USA auf Deathwish, in Europa auf Dennis’ Label Ny Våg), und vor dem Konzert im Solinger „Waldmeister“ sprach ich mit Dennis Lyxzén (voc), Karl Backman (Gitarre) und Christoffer Röstlund Jonsson (Bass, Ex-DS-13). Dennis’ jüngerer Bruder Fredrik, der zwei Wochen vor Tourbeginn für den zwei Wochen vor Tourbeginn überraschend ausgestiegenen Jens Nordén als neuer Schlagzeuger eingestiegen war, saß (unbeteiligt) mit dabei.

Heute Abend läuft hier im Biergarten parallel zur Show Fußball … kommt euch das entgegen?


Dennis: Mir ja! Ich habe schon Auftritte verlegen lassen wegen Fußball, etwa bei Festivals. Fußball ist wichtig, ich liebe Fußball!

Christoffer: ... und ich hasse es! Ich hasse Sport ganz allgemein.

Diskutiert ihr bandintern über so was?

Christoffer: Nein, wir sind da tolerant. Wir haben ja auch in anderer Hinsicht ganz verschiedene Ansichten, etwa was Musik, Politik oder Ernährung betrifft.

Karl: Christoffer ist Fleischesser, ich bin Vegetarier, Dennis und Frank sind Veganer.

Karl: Genau, ich esse nur echtes Essen, nicht irgendwelchen Fleischersatz.

Worüber seid ihr noch nicht einer Meinung?

Karl: Essen, Sport ... äh, wird das das Interview, wegen dem wir uns auflösen? Hahaha.

Dennis: Wir haben einen ganz ähnlichen Hintergrund, in den wichtigen Dingen sind wir uns einig: Wir wollen lauten Hardcore spielen und sieben Tage die Woche „Fuck the system“ brüllen. Außerdem kennen wir uns schon ewig, wir ziehen uns gegenseitig auf, und wir wissen auch, wenn wir uns wirklich auf die Nerven gehen. Wenn ich Karl zum Beispiel richtig auf die Palme bringen will, muss ich nur QUEEN hören.

Unverständlich. An QUEEN gibt es doch nichts auszusetzen. Gerade erst haben die MELVINS „You’re my best friend“ genial gecovert.

Dennis: Hab ich noch nicht gehört. Aber kennst du die Version von „Tie your mother down“ von Lemmy und Ted Nugent?

Karl: Das haben die sicher gemacht, weil sie ein gemeinsames Interesse an Sex mit ihrer Mutter haben.

Lemmy mag ABBA – womit wir wieder bei Schweden wären.

Karl:
Jaaa, aber der ist ja auch alt, der mag auch die BEATLES ...

Nun gibt es aber auch in der Punkszene die Tendenz, alte Bands zu mögen. BLACK FLAG sind auch schon 35 Jahre alt ...

Dennis:
Ich mag die BEATLES, mich stört das nicht. Ich finde nichts dabei, alte Bands zu hören, die wegweisende Platten gemacht haben und großartige Musik spielten. Im Punkrock wird heute oft vergessen, was Bands wie BLACK FLAG, BAD BRAINS, MINOR THREAT und THE EXPLOITED zu so herausragenden Bands machte: sie schrieben einfach gute Songs, sie nahmen großartige Platten auf, die auch noch gut klangen. Für viele Bands war Punk lange Zeit einfach nur eine Äußerlichkeit, sie vergaßen, gute Musik zu schreiben und wie wichtig das ist, und das ist der Grund, warum wir heute so viele alte Punkbands hören und mögen. Über die Jahre gab es immer mal gute Songschreiber und gute Musik, aber es gibt einfach nur wenige Bands wie BLACK FLAG, die die musikalische Landkarte neu gestalteten.

Christoffer: Ich sehe das etwas anders. Ich höre viel japanischen Punkrock und Hardcore, der oft vor allem aus Lärm und Aggression besteht – CONFUSED beispielsweise. Die hatten keine guten Songs, aber die machten großartigen Lärm. Ich schätze an Musik also auch diesen Aspekt. Letzten Endes, und da stimme ich Dennis zu, lande ich dann doch immer wieder bei DEAD KENNEDYS, MINOR THREAT, BLACK FLAG – Bands, die aggressiv waren und gute Songs hatten. Manchmal brauche ich aber auch einen Japaner mit zehn Distortion-Pedals, der einfach nur in die Saiten haut.

Dennis: Stimmt schon, und auch unter den „UK 82“-Bands, die Karl schätzt, gibt es viele, die wirklich gute Songs hatten und deren Alben sich bis heute von der Masse abheben. Viele Leute scheinen heute zu vergessen, wie wichtig der Aspekt des Songwritings in der Arbeit einer Band ist.

Christoffer: Man verbringt ja viel mehr Zeit mit dem Schreiben von Songs als etwa mit dem Aufnehmen oder dem Proben – oder mit Interviews.

Dennis: Es ist das Songwriting, das besonders Bands ausmacht.

Christoffer: Genau, denn es ist nicht leicht, gute Songs zu schreiben, also etwas Einzigartiges zu schaffen.

Dennis: Man kann sich immer mit ein paar Leuten treffen und irgendwas raushauen, aber das bringt einen nicht weiter.

Karl: So fängt es aber meist an. Später dann wurden gute Songs daraus.

Dennis: Genau das meine ich, es braucht Zeit, und deshalb hören wir alte Bands. Karl war elf, zwölf, als er anfing, Punk zu hören, ich war 14, 15, und diese Musik zu entdecken, das trifft dich wie ein Schlag, das ist eine Erfahrung, die dein Leben verändert. Wenn man die Songs von damals dann 20, 30 Jahre später wieder hört, bedeuten sie einem immer noch eine Menge. Oldschool ist für mich deshalb bis heute meine Musik.

Was „Oldschool“ ist, hängt aber letztlich auch vom Alter ab.

Dennis: Klar, als ich Punkrock 1987 entdeckte, lösten sich BLACK FLAG gerade auf. Wenn du Punkrock 2000 entdeckt hast, sind vielleicht GREEN DAY oldschool für dich. Oldschool ist für mich eben die Musik, mit der ich aufwuchs – „Give Me Convenience Or Give Me Death“ von DEAD KENNEDYS kaufte ich mir 1987, als die Platte gerade erschienen war.

Christoffer: Ich bin viel jünger als Karl und Dennis, und als ich Punk entdeckte, begeisterten mich Bands, die damals aktiv waren. Ich las Interviews mit denen, und wenn die andere Bands erwähnten, versuchte etwas über diese herauszufinden. Meist war es dann so, dass ich die als Einfluss genannten Bands besser fand. Auf diesem Weg entdeckte ich die meisten meiner heutigen Lieblingsbands – sogar über ein GUNS N’ ROSES-Interview ...

Dennis: Ich war schon immer Music-Nerd, und das bedeutete, dass ich über BLACK FLAG die SEX PISTOLS entdeckte, und darüber THE WHO, und von da an geht es immer weiter in die Vergangenheit. Wir haben uns neulich noch genau darüber unterhalten. Karl und ich lieben Little Richard, Chuck Berry und so weiter – und Christoffer nicht!

Christoffer: Ich hab ja nichts gegen die, sie mich interessieren nur einfach nicht.

Mein „Problem“ mit vielen aktiven, jungen Bands ist, dass die zwar ständig live spielen und man sie immer wieder sieht, ich aber oft genug echte Hits vermisse, Songs, die wirklich hängen bleiben. Bei alten Bands finde ich die viel eher – wo sind die modernen Entsprechungen zu „TV party“ oder „California über alles“?

Christoffer: Ich weiß, was du meinst: Oft genug war ich auf einem Konzert einer echt coolen jungen Band, man trinkt Bier, grölt rum und kauft sich begeistert die Platte. Zuhause stellt man dann fest, dass die Platte echt nichts besonderes ist – man stellt sie in die Ecke und hört sie nie wieder an. Mist, sorry, das klingt, als ob wir jetzt gerade alle anderen Bands schlecht machen wollen ...

Dennis: Es stimmt ja auch nicht, es gibt viele gute Bands und gute Songs, auch heute. Das Ding ist einfach, dass es insgesamt nur wenige Songs gibt, die das Potenzial haben, dir echt das Hirn wegzublasen. Als ich das erste Mal „Police truck“ von den DEAD KENNEDYS hörte, ging mir das eben genau so. Mit zwanzig Jahren mehr auf dem Buckel hätte ich das vielleicht gerade mal als ganz guten Songs empfunden. Es hat also was mit dem Alter zu tun, in dem man Bands und Songs kennenlernt.

Karl: Ja, ich war zehn, als ich Punk entdeckte, und vieles, was mich bis heute begeistert, hörte ich mit elf oder zwölf. Die Musik war damals brandneu, das ist das eine, und zum anderen ist der Eindruck, den Musik auf Kinder und Jugendliche macht, ein ganz anderer als bei Erwachsenen. Wie alt bist du?

Ich bin 44.

Karl:
Und ich 43. Wir haben wahrscheinlich schon so ziemlich alles gehört, und wenn eine junge Band was aufnimmt, klingt das für uns doch fast immer wie eine Kopie von irgendwas, was wir bereits kennen.

Christoffer: Genau, und wäre ich zehn gewesen, als SLIPKNOT gerade groß wurden, wäre ich wahrscheinlich auf die abgefahren.

Dennis: Wir haben gerade erst auf dem Monster Bash-Festival gespielt, zusammen mit RISE AGAINST. Das sind alte Bekannte, auch mit THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY habe ich mit denen schon gespielt. Das sind supernette Typen, auch wenn ihre Musik nicht ganz mein Fall ist. Aber ich sehe, dass viele Menschen im Publikum extrem auf die abgehen, und ich bin mir sicher, die sitzen in 20 Jahren so zusammen wie wir jetzt und unterhalten sich darüber, dass es kaum noch Bands gibt, die so geile Songs schreiben wie RISE AGAINST. Wir sind einfach alt.

Christoffer: Genau, du bist zu alt, um uns solche Fragen zu stellen, und wir sind zu alt, sie zu beantworten, hahaha. Man kann einfach nicht wiederholen, wie man als Kind empfunden hat. Ich weiß noch genau, wie ich damals mit zwölf oder dreizehn METALLICA vergötterte und die dann VENOM als Einfluss zitierten. Also kaufte ich mir „Welcome To Hell“, hörte den ersten Song „Sons of Satan“, und der hat mich einfach weggeblasen. Das war purer, roher Lärm, die bolzten unglaublich. Wenn ich den Song heute mit 35 Jahren höre, finde ich den immer noch ganz okay, aber als so schnell und brutal empfinde ich das nicht mehr.

Karl: Ich erinnere mich, dass ich „In God We Trust“ von den DEAD KENNEDYS damals als unglaublich schnell empfand, aber heute ... na ja, es ist eine geile Platte, aber schnell?

Dennis: Mit 14 oder 15 fuhr ich damals in die Stadt und kaufte mir zwei Platten: „Give Me Convenience Or Give Me Death“ von den DEAD KENNEDYS, weil mir jemand gesagte hatte, es sei die schnellste Band der Welt, und da musste ich die natürlich haben. Und ich kaufte „Dealing With It“ von D.R.I. Zuhause legte ich dann zuerst DEAD KENNEDYS auf, hörte mir „Police truck“ an, war begeistert, aber auch ein klein wenig enttäuscht, denn so schnell, wie erwartet, war das nicht. Und dann legte ich D.R.I. auf und wusste, dass das wirklich schnell war. Bald darauf war ich mit einem Freund in eine Radiosendung eingeladen, wir durften Platten mitbringen, und ich weiß noch genau, dass der DJ dort nicht glauben wollte, dass die DEAD KENNEDYS-Platte nicht bereits auf 45 läuft, sondern auf 33 –so schnell kam das dem vor, hahaha.

Nun haben wir die ganzen Zeit von Songs geredet, die hängen bleiben – welche eurer Songs bleiben denn hängen?

Karl: Das wird man in 20 Jahren entscheiden müssen, das können wir heute nicht sagen.

Dennis: In 20 Jahren werden die Leute fragen „AC wer?“. „Ach ja, Dennis erfolgloses Hardcore-Experiment, das das Ende seiner Karriere bedeutete“, hahaha. Nein, schwer zu sagen, wir haben darüber auch schon diskutiert. Ich glaube, „Diplomas is dead“ vom neuen Album ist so ein Song, der sticht hervor, weil er ein wenig anders ist. Die Platte bietet einfach eine Menge schnellen Hardcore. Wenn ich mir unser erstes Album jetzt anhöre, würde ich einen anderen Song auswählen als zur Zeit der Aufnahmen. Die Wahrnehmung ändert sich mit der Zeit.

Karl: Die Setlist für heute Abend enthält Songs von beiden Alben, die uns gefallen.

Christoffer: Ich bin ja erst seit der zweiten Platte dabei, und mir fällt bei Konzerten auf, dass die Leute die alten Songs besser kennen und dazu mehr abgehen.

Mir fällt immer wieder auf, dass Leute zu Songs abgehen, wo ich mich frage, warum die den Text und den Refrain auswendig können.

Christoffer: Ganz einfach: die haben den Song auf YouTube gesehen, hahaha. Und vor allem: viele Leute tun nur so, als ob sie mitsingen –gerade bei Hardcore-Songs.

Dennis: Hahaha, auf jeden Fall, das ist ja meist auch nicht zu schwer. Wenn ich den Songtitel dann auch noch ankündige und das zugleich der Refrain ist, fällt das nicht schwer. „Eye for an eye“, 20-mal wiederholt, das bekommt jeder hin.

Dennis, was ist für dich das Reizvolle daran, in einer im Vergleich zu deinen bisherigen Bands doch recht anderen Formation zu spielen?

Dennis: Egal, was ich sonst so gemacht habe, ob nun Noise Conspiracy oder THE LOST PATROL BAND, so war doch Hardcore immer da. Ich ging auf Hardcore-Konzerte, wenn ich zuhause war, brachte Hardcore-Platten auf meinem Label raus, interessierte mich für die Szene zuhause, sammelte Hardcore-Platten. David und ich unterhielten uns vor ein paar Jahren darüber, wie wichtig uns Hardcore ist, und als mich bald darauf Karl besoffen ansprach, dass er gerade mit David eine Hardcore-Band gegründet habe, war meine Antwort nur: „Meinst du die Band, in der ich ab sofort singe?“ Er sagte nur: „Genau die!“ Und so gründeten wir AC4. Wir wollten einfach nur die Musik spielen, die wir lieben und mit der wir aufgewachsen sind. Wir wollten alles so simpel wie möglich halten und möglichst viel Spaß haben – ganz unkompliziert. Jetzt sind wir eine richtige Band, gehen auf Tour, haben zwei Platten raus, aber das war nie geplant. Wir wollten einfach nur Punkrock spielen und ein paar Konzerte machen.

Karl: Das war nie als „Karriere“ geplant.

Dennis: Nein, überhaupt nicht, das war nur ein Spaßprojekt. So wie die Bands, in denen Chris früher war, ETA, DS-13 und IMPERIAL LEATHER.

Komplexe technische Systeme haben das, was man einen „Fallback-Modus“ nennt, also einen simplen Betriebszustand, der bei Ausfall von Komponenten die grundsätzliche Funktionalität gewährleistet. Ist Hardcore und Metal so was ähnliches? Ich beobachte immer wieder, dass Musikfans jenseits von 30, 40 sich wieder ihrer Metal-, Punk- oder Hardcore-Wurzeln besinnen.

Karl: Du meinst so eine Art Regression? Unserem alten Drummer Jens ist so was widerfahren, hahaha. Wir beide waren früher zuerst Metalheads und kamen dann zu Punk und Hardcore. Vor ein paar Jahren wurde er dann wieder zum Metalhead, hörte zwar auch noch Punk, aber eigentlich interessierte er sich nur noch für Metal.

Christoffer:[/b] Ich habe nie einen großen Unterschied zwischen Metal und Hardcore gesehen, und viel von dem Hardcore, den ich schätze, ist nah dran am Metal. Das war schon früher so, hör dir mal CRO-MAGS oder JUDGE an.

Dennis: Oder POISON IDEA!

Um auf meine Frage zurückzukommen: Ist Hardcore euer Fallback-Modus?

Dennis: Oh ja! Würdest du uns zuhause besuchen und dir unsere Plattensammlungen anschauen, wäre die Antwort eindeutig. Bei mir ist es US-Hardcore, bei Karl britischer Punkrock – wir kennen uns ungefähr seit 1988. Als ich Punk wurde, gab es in meiner Heimatstadt sieben Punks, und ich und Karls Bruder gingen in die gleiche Schule. Ich hatte damals lange Haare, trug in der Schule ein RAMONES-Shirt, und sein Bruder sprach mich an – und so wurden wir Freunde. Später hatte ich dann zusammen mit Jens, unserem Ex-Drummer, eine Band namens STEP FORWARD, das war die erste richtige Hardcore-Band in unserer Gegend. Karl mochte die, David auch, und so kam es dann Jahre später zur Gründung von AC4, um an die Band von damals anzuknüpfen und der Idee von damals neues Leben einzuhauchen. Als STEP FORWARD damals auseinander brachen, machten Jens und Karl zusammen mit einer Band weiter, und David und ich auch – und Jahre später kamen wir dann doch wieder zusammen.

Wir haben bislang viel von den Achtzigern geredet, doch dann kamen die Neunziger, die im Hardcore, der bis dahin recht unverändert geblieben war, jede Menge neuer, seltsamer Experimente brachten, ob nun Crossover-Elemente oder New School – und damit auch REFUSED.

Karl: Aus Punk war in den frühen Achtzigern Hardcore geworden, dann kam Thrash-Metal, und man gelangte an einen Punkt, wo man diese Musik ja eigentlich nicht noch minimalistischer gestalten konnte. Es musste also in die andere Richtung gehen.

Dennis: Wie schon gesagt kam ich aus dem Punkrock, und David, der Drummer, war ein Thrash Metal-Kid. Aus diesen Elementen entwickelte sich die Band – und ich versuchte, immer Punk zu bleiben, auch als REFUSED am metallischsten waren. Die Neunziger sind ein Jahrzehnt vieler fehlgeschlagener musikalischer Experimente, es gab da viel schreckliche Musik – aber auch viel gute.

Christoffer: In den USA gab es damals eine Menge guter D.I.Y.-Underground-Hardcore-Bands, um die sich keiner kümmerte. Ich bin ein großer Crust-Fan – die beiden anderen hier hassen den –, und da ging eine Menge. Es geht also auch immer um die Aufmerksamkeit, die bestimmte Aspekte des Undergrounds erfahren.

Dennis: Wir sprechen aber von zwei verschiedenen Phänomenen. Es gab immer gute Bands, die zum Beispiel wie die SEX PISTOLS klangen. Aber in den Neunzigern entwickelte sich das so, dass immer mehr Leute auf Punk und Hardcore stießen. New School gehört dazu, und manche der Bands waren gut, andere schrecklich – etwa Rap-Metal ...

Christoffer: Wenn AC4 1996 schon existiert hätten, hätten wir höchstens mal vor 20 Leuten gespielt. Heutzutage wollen uns beim Groezrock 700 sehen – alles Leute, die uns mögen. In den Neunzigern wäre das unmöglich gewesen. Ich gründete meine Band DS-13 damals sogar als Reaktion auf REFUSED, weil mir die zu intellektuell und anspruchsvoll geworden waren und anfingen, schlechte Musik zu machen. Wir wollten mit DS-13 stattdessen einfachen, von mir aus auch dummen Hardcore machen.

Dennis: Damit hatten sie Erfolg, hahaha. Das dritte Konzert wurde mit einem Flyer angekündigt, auf dem stand „anti-intelectual hardcore“ – „intellectual“ mit einem L, hahahaha.

Christoffer: Haha, ja, das war ich ... das war nicht mal Absicht, ich wusste es einfach nicht besser. Besonders interessant ist es vor dem Hintergrund, dass ich heute meinen Lebensunterhalt als Journalist verdiene.

Das Potential einer Band wie AC4 ist dennoch begrenzt, zumindest was den Publikumszuspruch betrifft. Mit eurem klassischen Hardcore-Sound stößt man irgendwann an seine Grenzen, denn zum Massenphänomen wird die Musik nie taugen. Mit REFUSED und THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY war das anders, damit kann man auf Festivals auch zehntausend Leute erreichen. Warum eigentlich?

Christoffer: Weil Hardcore sehr schnelle Musik mit sehr kurzen Songs ist.

Dennis: Hardcore ist roh und aggressiv, das gefällt nicht jedem. Bei AC4 ging es aber noch nie darum auszutesten, wie groß die Band vielleicht werden kann. Nein, es geht darum, zusammen Hardcore zu spielen, nicht darum, mit dieser Band seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Ich finde es beeindruckend, dass dennoch manche Punk- und Hardcore-Bands so einen starken Eindruck hinterlassen haben in der Musikgeschichte, auch wenn sie nie richtig groß waren.

Christoffer: Bands wie METALLICA oder FOO FIGHTERS sind von Hardcore beeinflusst, bei den RED HOT CHILI PEPPERS oder RAGE AGAINST THE MACHINE spielen Leute, die aus der Hardcore-Szene kommen. Das Problem ist einfach, dass das, was wir als einen „catchy hook“ wahrnehmen, beispielsweise „Straight edge“ von MINOR THREAT, ein wirklich eingängiger Song, von den Leuten, die bei großen Labels Bands unter Vertrag nehmen, nicht als potentieller Hit angesehen wird. Dass extreme Bands wie METALLICA oder SLAYER große Stadien füllen, ist kein Gegenargument, denn Metal ist ein ganz anderes Genre als schneller, aggressiver Hardcore.

Dennis: Aber vielleicht ändert sich das mal, denn Radio-Airplay wird immer unwichtiger für den Erfolg einer Band. Aber es gibt auch einen anderen wichtigen Grund, weshalb Punk- und Hardcore nie ein Massenpublikum erreichen werden: Wir wollen das nicht! Sobald eine Band aus der Punk- und Hardcore-Szene halbwegs erfolgreich ist, wenden sich die Leute von ihr ab und die Basis bricht weg. Ein paar Kids begeistern sich dann vielleicht noch für sie bei den Sommerfestivals, aber das war’s. Das ist echt ein großes Problem der Punk- und Hardcore-Szene, dass wir es nie zulassen, dass jemand von uns erfolgreich wird.

Karl: Das ist das gleiche Problem wie in der Arbeiterklasse. Sobald einer aus diesen Kreisen wirtschaftlich erfolgreich ist, wird gleich „Ausverkauf!“ gebrüllt. Das erinnert mich an das Bild mit den Fröschen im Eimer: Alle wollen raus, aber schafft es einer bis an den Rand und versucht sich hochzuziehen, ziehen ihn die anderen wieder herunter. Und so ähnlich ist das auch in der Punkszene.

Dennis: Viele Leute wollen einfach in ihrer Punk-Szene unter sich bleiben. Die sind zufrieden mit dem, wie es ist – die freuen sich über die 100 Leute, die zu einem Konzert kommen. Wenn man aber Musiker ist, will man auch mal über diese hundert Leute hinauskommen und ein größeres Ziel anstreben. Auf dem, nun, Rücken der Punkszene geht das aber nicht. Es ist hart, aus dieser Szene zu kommen und diesen Support zu haben – und dann diese Feststellung machen zu müssen. Chris wird dir das bestätigen können, seine Band DS-13 war vor allem in der D.I.Y.-Punkszene angesagt, aber als die dann immer größer wurden, kamen sofort Sellout-Vorwürfe. Wir Hardcore-Leute haben eine Band eben immer gerne für uns, und wenn wir auf einem Konzert zwei andere Leute mit dem gleichen Band-Shirt sehen wie das, das wir selbst tragen, möchten wir das am liebsten ausziehen und ein anderes anziehen, haha. Dieses Denkmuster ist für mich ein Grund, warum man als Band in unserer Szene schnell an seine Grenzen stößt.

Christoffer: Ich bin gespannt, wie viele Leute angesichts der FLAG/BLACK FLAG-Auftritte jetzt ihre BLACK FLAG-Patches von der Jacke reißen, weil die jetzt ja nicht mehr cool sind ...

Karl: Ehrlich gesagt mache ich mir aber nicht allzu viele Gedanken darüber, ob irgendwer der Meinung ist, dass irgendwas, was ich tue, nicht Punk genug ist. Und besonders gestört hat mich schon immer, wenn Veranstalter Punk als Entschuldigung angebracht haben, sich nicht ordentlich um eine tourende Band zu kümmern und sie im Dreck schlafen lässt. Mit AC4 ist das kein Problem, aber mit meiner alten Band THE VECTORS habe ich das oft erlebt.

Dennis: Ich liebe Hardcore und Punk, die Lebensweise und die Ideale haben mich geprägt. Aber wenn Punk als Entschuldigung dienen soll für die eigene Inkompetenz, dass man es nicht hinbekommt, einen Veranstaltungsort halbwegs in Ordnung zu halten, für eine ordentliche PA und was Brauchbares zu essen zu sorgen, man das mit „Ach, das ist doch Punk“ abtut – dann bin ich raus. Metalbands drehen in so einem Fall auf der Schwelle um und kommen nie wieder dorthin zurück – Punkbands finden sich damit ab und kommen wieder.

Christoffer: Das hat auch etwas mit dem nicht vorhandenen Unterschied zwischen Band und Publikum zu tun, dass es keine Rockstars gibt – was ich wunderbar finde. Bis die Leute auf die Bühne gehen, kann man keinen Unterschied zwischen Band und Publikum ausmachen. Das darf aber nie als Entschuldigung dienen – und ich habe echt schon unter Bedingungen übernachtet, die wahrscheinlich mit den Bedingungen in einem russischen Jugendknast vergleichbar sind ... und man kommt trotzdem wieder zurück, hahaha. Und am nächsten Tag sieht die Welt ja auch schon wieder anders aus und man hat eine weitere gute Tourgeschichte.

Dennis, du dürftest den Unterschied bei den AC4-Touren am deutlichsten erleben. Mit REFUSED wirst du letztes Jahr ja eher schicke Hotels geboten bekommen haben, oder ...?

Dennis: Bei der Tour letztes Jahr waren wir mit Nightliner und Crew unterwegs und ich musste nichts tun, außer auf die Bühne zu gehen und das Konzert zu spielen. Bei dieser Tour ist alles natürlich viel simpler, aber wir haben uns erbeten, jeden Abend ein Hotel gestellt zu bekommen und ordentliches Essen – ich finde, das ist keine unmögliche Forderung. Wenn jemand nicht bereit ist, das zu bieten, dann kommen wir eben nicht. Wir fühlen uns ehrlich gesagt auch einfach zu alt, um mit Schlafsack auf Tour zu gehen. Abgesehen davon liebe ich auch den Kontrast von Konzerten wie heute Abend mit dieser winzigen Bühne und dem Gefühl letztes Jahr, als REFUSED Headliner beim Groezrock waren. Unterschiede in meiner Art des Bühnenverhaltens oder so gibt es aber kaum. Punkrock hat mich eben auch gelehrt, dass es egal ist, ob 20 oder 6.000 Leute vor mir stehen, jeder Einzelne verdient es, ein gutes Konzert zu sehen. Letzten Endes geht es um die Musik, darum, live zu spielen, und nicht um die Umstände eines Konzertes.