Jedes Lied auf dieser Platte ist gut. Jeder Song hat seine Stärken und Schwächen, aber im Endeffekt ist jedes einzelne der neun Lieder gut. Der Sound ist roh, ungeschliffen, unsauber, manche Details sind sogar schlampig gespielt. Trotzdem ist das LP-Debüt der Frankokanadier ein Schlag in die Fresse. VOIVOD setzen hiermit ein Statement: Das sind wir, so sind wir, so werden wir weitermachen. Kommt klar damit oder fuck off and die. Obwohl „War And Pain“ allen „Black- and Power-Metal-Fans worldwide“ gewidmet ist, sind diese beiden Genres kilometerweit von dem entfernt, was wirklich auf dieser Scheibe zu hören ist. Auch die Thrash-Metal-Schublade ist nicht die richtige. Klar, die Zutaten sind die gleichen wie bei den drei genannten Genres – nur die Mischung ist eine völlig andere. Und das, was dabei herauskam, musste erst mal verdaut werden. Ich war in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre oft mit HALLE 54 unterwegs, um irgendwo in der Republik in einem AZ oder Juzi oder besetzten Haus zu spielen. André, unser Drummer und Fahrer, legte jedesmal zu Beginn der Reise „War And Pain“ in den Kassettenplayer. „Oh nein, nicht schon wieder!“, dachte ich. „Dieser Lärm, dieses heisere Gebell, diese krumme Rhythmik! Wie soll ich das bis (Saarbrücken, München, Neumünster, whatever) aushalten?“ Nach der fünften Fahrt quer durch die BRD hatten VOIVOD mich. (Und eigentlich haben wir mit HALLE 54 auch nichts anderes gemacht. Lärm, heiseres Gebell, krumme Rhythmik. Nur halt, na ja, schlechter.) Wer mit dieser Scheibe aufgewachsen ist, wer diese Musik durchdrungen und verstanden hat, war gut gewappnet für die kommenden Herausforderungen. Sei es Musik von BEEFEATER, PENTHOUSE, AT THE DRIVE-IN, MESHUGGAH, REFUSED – sogar MR. BUNGLE wurden mit der Hilfe von VOIVOD verständlicher. Das Problem ist nur: Erkläre das heutzutage mal jemandem. Ich empfehle VOIVOD oft und gerne. Wer aber nicht mit dieser Musik, diesem Sound und diesen Empfindungen groß und erwachsen worden ist, kann mit dieser 40 Jahre alten Musik nichts anfangen. VOIVOD bedienten (und bedienen) kein einziges Metal-, Punk-, Progrock- oder sonstiges Klischee. Die Musik ist immer zuerst sperrig und macht es dem Neuling nicht einfach. Man braucht Zeit und Geduld dafür. Wer hat so was heute noch? Trotzdem: Wer wissen will, wo eine Band herkommt, muss von vorne anfangen, muss also im Falle von VOIVOD mit „War And Pain“ von 1984 beginnen. Wer sie nach dem fünften Durchgang immer noch nicht mag, darf dann aufhören und sich eine andere Band suchen. In der Hoffnung, dass es da draußen weiterhin Menschen gibt, die open-minded, neugierig und zu allen musikalischen Seiten hin offen sind, empfehle ich: Hört VOIVOD. Von Anfang an. Es wird euer Schaden nicht sein.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #175 August/September 2024 und Chrisz Meier