Vermutlich ist „Das Model“ vom Album „Die Mensch-Maschine“ einer der erfolgreichsten und auch meist gecoverten Songs (beispielsweise von BIG BLACK) der Düsseldorfer Elektropioniere KRAFTWERK. Die Idee zum Text von „Das Model“ stammt von Emil Schult, der auch das Cover zum Album „Autobahn“ von 1974 gestaltete, nie festes Mitglied der Band war, aber zum inneren Zirkel der Kraftwerker gehörte und 1973 bei Auftritten von KRAFTWERK auch als Gitarrist fungierte. Schult, Meisterschüler von Joseph Beuys und Gerhard Richter an der Düsseldorfer Kunstakademie, war tatsächlich in ein Model verliebt, schrieb aber zunächst eine zu gitarrenlastige Version des Songs, die Karl Bartos und Ralf Hütter dann dem Sound von KRAFTWERK anpassten. „Das Model“ ist mit unter vier Minuten der kürzeste und eingängigste Song auf dem Album, was auch seinen Charterfolge erklärt. Der Einfluss speziell dieses Albums, dessen Cover im Stil des russischen Konstruktivismus gehalten ist, auf so ziemlich jeder elektronische Band der unmittelbaren Folgezeit ist nicht genug hervorzuheben und ist nicht nur musikalischer Natur. TUBEWAY ARMY-Frontmann Gary Numan, der genau ein Jahr nach „Das Model“ mit „Are ,friends‘ electric?“ für vier Wochen Platz 1 der britischen Single-Charts belegte, übernahm das KRAFTWERK-Bühnenoutfit mit Anzug und Krawatte. Und DEPECHE MODE stellten ihre Synthies zu Beginn ihrer Karriere auf der Bühne wie KRAFTWERK in einer Reihe nebeneinander auf.
Das Album war 1978 seiner Zeit weit voraus. Und als Punk sich Anfang der Achtziger Jahre zu New Wave weiterentwickelte, wurde der KRAFTWERK-Sound der Maßstab fast jeder elektronischen Musik. Der Synthie-, Electro- oder Wave-Pop Anfang der Achtziger Jahre in England wäre ohne KRAFTWERK nicht denkbar gewesen. So wurde zum Bespiel das zweite OMD-Album „Organisation“ von 1980 nach dem Vorläuferprojekt von KRAFTWERK benannt. Im Ausland war ihr Einfluss und Erfolg weit größer als hierzulande: Das Quartett stand für Perfektion, Innovation, Kühle, Distanziertheit, Genauigkeit, Minimalismus und Abstraktion. In visueller Hinsicht sprachen selbst Kunstkritiker von Retrofuturismus, was der Band auch zahlreiche Auftritte in Museen bescherte. KRAFTWERK stehen wie kaum eine zweite Band für ein Gesamtkunstwerk aus Musik und Ästhetik. Sie schafften den extrovertierten und charismatischen Frontmann ab, für sie ein Konzept von gestern. In dieser Hinsicht sind sie die perfekte Antiband: „It’s the song, not the singer“. Übrigens veröffentlicht der Autor Sascha Lobo bei Spiegel-Online mittlerweile aktuelle Beiträge über Neuerungen im Internet und virtuelle technische Errungenschaften unter der Kolumnenüberschrift „Die Mensch-Maschine“.