35 Jahre später: SMITHS - s/t (LP, Rough Trade, 1984)

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Als THE SMITHS im Jahr 1984 ihr Debütalbum veröffentlichten, erfuhr es eine enorme Resonanz insbesondere bei jungen Männern, die in ihrer Adoleszenz auf Sinnsuche waren. Mit Morrissey hatte die Band einen Sänger, der nicht müde wurde, Zitate von Oscar Wilde zu passenden und unpassenden Gelegenheiten unters Volk zu bringen. Die Hommage an Oscar Wilde führte gar so weit, dass Morrissey, wie sein Blumen liebendes Idol, bei Konzerten Unmengen Narzissen und Gladiolen ins Publikum streute. Morrissey verfügte über einen gehörigen – mitunter bitteren – Zynismus, und so fand sich in seiner Person eine probate Ikone, der man ohne Einschränkungen folgen konnte. Er kokettierte mit allem, was junge Sinnsuchende emotional bewegte: eine (seine eigene) depressive Jugend, eine oft nicht eindeutige sexuelle Orientierung (wenn überhaupt eine in seinem Fall), Sehnsuchtsmotive, die kleinen Rebellionen, der Rückzug aus der Gesellschaft, aber auch eine kompromisslose politische Haltung gegen Margaret Thatcher.

Morrissey war die Galionsfigur der Missverstandenen, die aber auch nicht verstanden werden wollten. Das Album, eingespielt in sechs Wochen für ca. 6.000 Pfund, glänzt mit ewigen Highlights wie „What difference does it make?“, „Hand in glove“ oder „Pretty girls make graves“. Die markante Jingle Jangle-Gitarre von Johnny Marr prägte den Sound der Band und wurde zum musikalisches Aushängeschild von THE SMITHS und irgendwie auch bestimmend in den Achtziger Jahren für die britische Independent Music. Ursprünglich wollte Morrissey das Album über Tony Wilson bei Factory Records veröffentlichen, der war aber nicht interessiert. Die erste Version des Albums wurde mit Troy Tate, Gitarrist von THE TEARDROP EXPLODES produziert. Da die Band damit unzufrieden war, wurde John Porter engagiert, der bereits ROXY MUSIC betreute. Das Songschreiberduo Morrissey, der selbst kein Instrument spielt, und Johnny Marr, die sich bei einem Konzert von Patti Smith über Gitarrist Billy Duffy (THE CULT) kennen gelernt hatten – Morrissey war vor THE SMITHS mit Billy Duffy bei den THE NOSEBLEEDS –, war ein Glücksfall, oft verglichen mit John Lennon und Paul McCartney.

Der NME ließ sich zu der Aussage hinreißen, die SMITHS seien „the most influential artist ever“. Das Cover ihres Debüts zeigt ein Foto des Schauspielers Joe Dallesandro aus dem Andy Warhol Film „Flesh“ von 1968. Und selbst der junge Noel Gallagher (OASIS) verstand die Zeitenwende, die sich angekündigt hatte: „When THE JAM split, THE SMITHS started, and I totally went for them.“ Im Dezember 1986 spielten THE SMITHS nach vier wunderbaren Alben ihr letztes Konzert in der Brixton Academy in London, doch dies ahnte niemand an diesem Abend.