Das Aostatal in Italien ist nicht gerade der zentralste Ort Europas. Im Norden und Westen grenzen die Alpen die Region zur Schweiz und Frankreich hin ab. Die einzige größere Autoverbindung Richtung Osten führt nach Turin, knapp hundert Kilometer entfernt. KINA waren eine dreiköpfige Hardcore-Band, die in den Achtziger und Neunziger Jahren immer wieder den Weg aus dem abgeschiedenen Tal heraus genommen hat, um landauf, landab in selbstverwalteten Clubs in ganz Westeuropa zu spielen. Neben Bands wie NEGAZIONE oder RAW POWER war das Trio einer der bekanntesten Vertreter des italienischen Achtziger-Jahre-Hardcores, dabei aber nie your average Italian hardcore band. Das zeigt sich am Artwork der Platten, an den Texten und natürlich an der Musik: Anhand ihrer sechs Studioalben lässt sich gut die Geschichte einer Band aufzeigen, die ihren Sound von simplen Italo-Hardcore-Smashern hin zu einer rockigen Hardcore-Variante entwickelt hat, musikalisch dann mit HÜSKER DÜ, MOVING TARGETS oder SCREAM vergleichbar war und textlich immer zwischen klaren politischen Aussagen und persönlichen Reflexionen zur eigenen Position als Individuum in der Gesellschaft wechselte. Durch den zweistimmigen Gesang von Drummer Sergio und Gitarrist Alberto klangen die Songs im Vergleich zu anderen Bands immer etwas einfallsreicher. Mein persönliches Lieblingsalbum ist „Se Ho Vinto, Se Ho Perso“ von 1989, hier hatten KINA für mich die perfekte Balance zwischen Melodie, Geschwindigkeit und Vielfalt erreicht. Danach folgten einige Live-Alben, was aufgrund der Tourfreudigkeit des Trios gut nachvollziehbar ist, und 1992 kam dann „Parlami Ancora“, wie alle anderen Alben ganz im DIY-Spirit auf dem bandeigenen Blu Bus-Label veröffentlicht, diesmal allerdings in Kooperation mit X-Mist Records aus Süddeutschland. Im Vergleich zum Vorgänger erscheint dieses vorletzte Album auf die ganze Distanz gesehen als sehr harmonische Einheit. Der wütende Opener „Strade vuote“ wurde von den Kollegen vom Gotanerv-Zine als „the Italian way to husker du“ bezeichnet, und es gibt eine Reihe von Songs wie „Mondo mai visto“ oder „Tempo di cambiare“, die noch bei den Gigs der wahrscheinlich letzten KINA-Tour 2019 zum festen Repertoire gehörten. Interessanterweise finden sich auf der CD-Version zwei Coversongs, die gut die Punk-untypischen Einflüsse der Band darstellen: Zum einen die Peter Gabriel-Nummer „Biko“ über den gleichnamigen, 1977 in Südafrika ermordeten Bürgerrechtler, und „Chicago“ von CROSBY, STILLS, NASH & YOUNG. Diese beiden Songs zeigen sehr gut, was KINA immer waren: ein Trio, das nie in enge musikalische Szenegrenzen passte, sich aber trotzdem immer als Hardcore-Band verstand.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #160 Februar/März 2022 und Gary Flanell