30 Jahre später: CHUMBAWAMBA

Foto

Anarchy (LP, One Little Indian, 1994)

Als 1994 mit „Anarchy“ das sechste Album der englischen Anarchopunks veröffentlicht wurde, war der Aufschrei groß. Ausverkauf lautete der Vorwurf. Mal wieder. CHUMBAWAMBA, die sich seit „Anfang der Neunziger von einer Polit-Punkband zur Agit-Pop-Formation entwickelt hatten, als sie Mitte [...] der Neunziger zum chartkompatiblen ‚Act‘ geworden waren, der aber (fast) nichts an Deutlichkeit und Aussageschärfe eingebüßt hatte“ (Joachim in Ox #49), konnten jedenfalls erstmalig einen Charterfolg verbuchen und gleich auf Platz 29 in die britischen Top 40 einsteigen, wo sie immerhin drei Wochen bleiben sollten. Probleme bereitete der Band beziehungsweise der Plattenfirma von vornherein das Covermotiv, das einen Geburtsvorgang zeigt, bei dem nur der Babykopf aus der Vagina ragt. Anarchy in ihrer reinsten und natürlichsten Form, aber einige Plattenläden weigerten sich, das Album zu verkaufen, andere steckten es in undurchsichtige Hüllen. Inzwischen wurde das Motiv durch gemalte Rosen ersetzt. Das Buch „Being Born“, aus dem das Foto ursprünglich stammt, ist immer noch erhältlich. Doppelmoral, wie sie im Buche steht. Jedenfalls verfeinern CHUMBAWAMBA auf „Anarchy“ die Kunst, scharfe sozialkritische, anarchistische und antifaschistische Lyrics in eingängige und tanzbare Songs zu kleiden. Nach dem groovigen Opener „Give the anarchist a cigarette“, einem Zitat von Bob Dylan aus der Doku „Don’t look back“, in der sein Manager zu Dylan „They’re calling you an anarchist now“ sagt und dieser mit eben jener Zeile antwortet, folgt mit „Timebomb“ der erste Klassiker des Albums, der auch heute noch ab und an im Radio gespielt wird und von der glasklaren Frauenstimme lebt. „Homophobia“ thematisiert eben diese. Neben einigen weiteren Albumsongs sind auch dreißig Jahre später vor allem „Mouthful of shit“ und ganz besonders „Enough is enough“ von höchster Relevanz, denn hier gelingt es CHUMBAWAMBA auf sehr clevere Art und Weise, ihre Weltanschauung in gefällige Musik zu kleiden, so dass irgendwann jeder fröhlich die Zeile „Give the fascist man a gunshot“ mitsingen will. Dieses Kunststück hatte zuvor Frank Zappa mit „Bobby Brown“ vollbracht, dem dieses Album auch gewidmet ist. Auch wenn der Band aus Leeds mit „Anarchy“ noch nicht der ganz große Wurf gelungen ist, erahnt man durchaus, dass schon genug Potenzial da war, um drei Jahre später mit dem Album „Tubthumper“ und dem Song „Tubthumping“ Welthits zu landen. Wer CHUMBAWAMBA nur wegen „Tubthumping“ oder gleich gar nicht kennt, dem sei dringend angeraten, sich mit ihren früheren Alben auseinanderzusetzen, angefangen mit dem wütenden „Pictures Of Starving Children Sell Records“ von 1986.