Dieses Album ist bis auf ein paar Tage genauso alt wie ich und hat mich auch ebenso lange begleitet. Mein 13 Jahre älterer Bruder hatte zur Zeit meiner Geburt Punkrock für sich entdeckt. Das hatte zur Folge, dass ich neben TOXOPLASMA und WIZO auch mit „Ameisenstaat“ von KNOCHENFABRIK groß geworden bin. Und bis heute läuft das Album immer wieder. Nur die Hits haben sich für mich verändert. Damals war es „Filmriss“ – ohne zu ahnen, worum es im Song eigentlich geht. Heute dagegen ist es „Glücklich“, der mit inhaltlicher Stärke und abwechslungsreicher, dreckiger Melodie überzeugt. „Knochenfabrik“ aber ist einer der stärksten Songs: „Fließband voller Leichenteile / Trenne ich mit Langeweile / Die inneren Organe von dem Rest.“ Eine im Wahnsinnstempo vorgetragene Dystopie. Während das ganze Album mit kurzen, schnellen Gitarren-Songs daherkommt, schafft es Sänger Claus Lüer, ebenso verständlich wie dreckig zu klingen. Seine Stimme kann man wohl mit Recht als sein Markenzeichen bezeichnen, denn sowohl bei CHEFDENKER, CASANOVAS SCHWULE SEITE als auch hier hört man ihn sofort raus und ist begeistert. Die Geschichte von KNOCHENFABRIK begann Mitte der Neunziger in Köln. 1996 veröffentlichten Achim Lauber (dr), Hasan Onay (bs) und Claus Lüer (gt, voc) die EP „Elvis“. Schon im Folgejahr erschien ihr Debüt „Ameisenstaat“ auf Vitaminepillen Records. Mit dem zweiten Album „Cooler Parkplatz“ folgte dann 1998 die Auflösung von KNOCHENFABRIK. Lauber, Lüer und Onay wurden aber nicht untätig und musizierten in anderen Bands weiter. Lauber spielte bei SUPERNICHTS, Lüer gründete CHEFDENKER und CASANOVAS SCHWULE SEITE, wo auch Onay mitspielte. 2008 sollte es dann aber nach einigen Benefiz-Konzerten wieder weitergehen und es erschien 2011 mit „Grüne Haare 2.0“ sogar noch eine EP. „Filmriss“ und „Grüne Haare“ sind die zwei wohl bekanntesten aller KNOCHENFABRIK-Songs, was mit Sicherheit auch der Grund ist, dass andere Lüer-Bands diese auch immer mal wieder live spielten. Dass der Bekanntheitsgrad vor allem von „Filmriss“ in den letzten Jahren nochmals enorm gestiegen ist, mag vor allem an Danger Dan und der ANTILOPEN GANG liegen. Auf dem Bonusalbum von „Anarchie und Alltag“ hat Lüer die ANTILOPEN GANG gesanglich im Song „Anti alles Aktion“ unterstützt. Der Song enthält im Refrain das bekannte „Filmriss“-Zitat „Wir hatten uns nicht vorgenommen, jemals auf die Welt zu kommen und trotzdem ist es irgendwie passiert“. Erst im letzten Jahr hat Danger Dan „Filmriss“ als Piano-Version veröffentlicht.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #162 Juni/Juli 2022 und Fynn-Ole Knobbe