Wäre ich Jello Biafra, wäre ich auch sauer. Vor über zwanzig Jahren zerstritten er und seine ehemaligen DEAD KENNEDYS-Bandkollegen sich heillos wegen unsauberer Abrechnungen seitens Biafras Label Alternative Tentacles. In der Folge übernahmen East Bay Ray und Klaus Flouride die Kontrolle über das musikalische Vermächtnis der Band, reaktivierten die DEAD KENNEDYS mit verschiedenen Jello Biafra-Darstellern, blieben aber neue Songs schuldig – im Gegensatz zu Biafra, der bis heute exzellente Alben mit neuen Liedern veröffentlicht. Diverse Neuauflagen der DEAD KENNEDYS-Platten sowie Live-Alben wurden in der Folge veröffentlicht, laut Jello, ohne dass er in den kreativen Prozess der Überarbeitung eingebunden worden wäre. Entsprechend Biafras Reaktion auf die Ankündigung dieses Rereleases: „People are asking, so I guess I have to say something. Listen before you buy!! This was done almost totally behind my back. Intentionally. It was not ‚overseen by the band‘, as their press release claims. I was deliberately locked out. Not one person from the band or the labels reached out to me at all. Nor did Chris Lord-Alge, who did the remix. I guess he didn’t care, or value anything I brought to the band at all. Without me those songs wouldn’t exist. In fact, it took several letters from a lawyer for their ‚manager‘, Kevin Raleigh, to cough up much detail of what they were up to. So is it really, ‚adding depth without losing any of its original energy‘?? Not to my ears!! Sure, some people may like this version a little better, depending on taste. But, ‚incredible new clarity‘? ‚Taking the music from 2D to 3D?‘ I don’t think so! What does that even mean, anyway? I hate to say this, but to me it’s ... well ... kinda boring. Sure, the sound is a little fuller, a little warmer, with a little more bottom end. But the top-end presence and power, so crucial to full-on in your face Punk, sounds rolled off and smoothed over, even muffly. And East Bay Ray, whose ego knows no bounds, actually turned his guitars down! They’re lower and a little muddier than the real thing. It just sounds weak to me, I’m sorry.“ So viel zur Einschätzung des Rereleases durch Jello. Die Rest-Band und das Label, Cherry Red aus UK, wo einst schon 1980 das Original erschien, sehen das natürlich anders. Die ganze Geschichte des Albums und der Gründungsphase der DEAD KENNEDYS lässt sich übrigens in Alex Oggs Buch „California über alles“ nachlesen. Die Frage freilich, wie sehr in so eine historische und ikonische Veröffentlichung anlässlich einer Neuauflage eingegriffen werden kann und darf, ist akademischer Natur. Es gibt Menschen, die bevorzugen bestimmte Pressungen eines Albums, weil hier oder da (vermeintlich) Unterschiede im Masteringprozess herauszuhören seien, und auch bei diesem Rerelease nun ist diese Frage gestattet. Die Frage ist aber auch, ob nicht die Art der Wiedergabe – von Vinyl (welche Pressung?) oder CD, von Download oder Stream, über eine gute Stereoanlage mit dicken Boxen oder über Bluetooth-Speaker – eine weitaus größere Rolle spielt als die Involvierung eines in Sachen Punkrock-Kompetenz sicher fragwürdigen Chris Lord-Alge als Mix-Verantwortlichen. In erster Linie ist „Fresh Fruit For Rotten Vegetables“ ein ikonisches Punkrock-Album, eines der zehn wichtigsten überhaupt, mit Über-Songs wie „Kill the poor“, „Let’s lynch the landlord“, „Chemical warfare“, „California über alles“, und „Holiday in Cambodia“ – eine enorme Hitdichte, die andere Bands auf fünf Alben nicht erreicht haben. Die CD erscheint in einer buchähnlichen Aufmachung, es gibt einige historische Fotos sowie etwas willkürlich ausgewählte Testimonials zur Bedeutung des Album und der Band sowie werbetextliche Linernotes von Amy Linden (einst Bandroadie) und East Bay Ray. Wer anno 2022 das Album nicht hat und besitzen will, kann durchaus auf diese Version zugreifen, aber das Gebrauchtangebot für CD und Vinyl all der bisherigen Versionen ist gigantisch. Nur eines ist klar: Haben muss man die Platte, irgendwie. Deshalb auch die Wertung.
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