YOU AM I

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Mine is a Gin Tonic

Als Frontman und Songwriter der seit 1989 existierenden Rock'n'Roll-Band YOU AM I gehört Tim Rogers heute zu den Elder Statesmen der australischen "Alternative"-Szene. Während einige jüngere und international erfolgreichere, australische Bands wie beispielsweise THE LIVING END, JET ,THE VINES oder WOLFMOTHER in Deutschland bekannt sein dürften, scheint es im Falle von YOU AM I anders zu sein.

Lee Renaldo von SONIC YOUTH produzierte 1993 ihren Debut-Longplayer "Sound as ever?, man tourte gemeinsam mit SOUNDGARDEN in Australien und USA, später mit den LEMONHEADS in Europa, und veröffentlichte im weiteren Verlauf der Neunziger drei aufeinanderfolgende, in den nationalen Charts mit No.1 vertretene Alben, doch über einen Geheimtip-Status hinaus schaffte man es in Deutschland nicht. Musikalisch bewegen YOU AM I sich bis heute auf unterschiedlichen Pfaden, ihr Alternative Rock wurde anfangs oft mit Grunge umschrieben, ihr 60s beeinflusster Mod Rock wurde gelegentlich als Powerpop bezeichnet. Tim Rogers begegnete mir selbst das erste Mal vor 5 Jahren auf dem Cover des 700-seitigen Buches "The Encyclopedia of Australian Rock and Pop", auf dem ausser ihm einzig Johnny O'Keefe, der erste populäre australische Rock'n'Roller, abgebildet ist. In den letzten paar Jahren las ich in den kostenlosen australischen Programm-Heften einige Interviews und legte mir nach und nach die Tonträger von YOU AM I zu. Vor nicht langer Zeit begegnete Rogers mir erneut - in Form des Gemäldes "Tim" von Esther Elrich, mit dem hier in Melbourne eine Kunstausstellung beworben wird. In Natura traf ich den sympathischen Enddreissiger nach einem Gig seiner Zweitband THE TEMPERANCE UNION im Corner Hotel. Via eMail schickte ich ihm Mitte April ein paar Fragen.

Nach der Veröffentlichung eurer siebten regulären CD "Convicts" auf dem amerikanischen Label Yep Roc seid ihr gerade zurück von einer US-Tour, habt beim SXSW-Festival gespielt. Wie war es?

Ich schätze, bei jeder Tour, wo am Tag der Ankunft sofort drei Shows gespielt werden, wobei die zweite Show direkt beinhaltet, Roky Erickson live spielen zu sehen, weiß man, dass es sich dabei um eine abenteuerliche Angelegenheit handelt. Dass viele Leute zu den Gigs gekommen sind, war schön. Ebenfalls, ein paar gute Freunde wieder zu treffen. Wir waren mit der Absicht rüber geflogen, ein paar eher subtile Songs zu spielen. Die Shows entwickelten sich dann aber zu jeder Menge lautem Krach, inklusive schlechtem Benehmen und großartigen Lachern.



Du bist in Kalgoorlie, einer kleinen Stadt mitten im Outback, in der Nähe des Nullarbor, aufgewachsen. Wie bist du da zur Musik gekommen?

Tja, mit Musik habe ich erst angefangen, als ich nach Adelaide umgezogen bin. Ich habe beim Hören meiner Platten zu Hause dazu Gitarre gespielt. Ich fing erst an, mit anderen Leuten zusammen zu spielen, als ich in den Vorstädten von Sydney lebte. Die üblichen Schülerbands eben. Kalgoorlie ist aber der Ort, an dem ich mich eines Tages zur Ruhe setzen will. Er hat was Besonderes.



In den Neunzigern hatten YOU AM I drei aufeinander folgende Nummer 1 -Alben in den australischen Charts. Warum hat es mit dem internationalen Erfolg dann nicht so recht geklappt?

Unsere Manager waren gute Freunde, die uns etwas Arbeit abnehmen sollten, anstelle von Leuten, die durchkalkulierte Entscheidungen treffen. Ich kann nicht besonders gut singen, und es ist ganz gut möglich, dass wir vielleicht nicht so gut sind, oder vielleicht besser ausgedrückt, dass wir nicht gerade die Musik machen, die die große Masse anspricht. Wir haben Touren in Amerika und Europa unternommen, um Erfahrungen zu sammeln, nicht für den internationalen Erfolg. Rückblickend war ich damals, ehrlich gesagt, mental viel zu zerbrechlich, um noch mehr zu ertragen, als das, was wir ohnehin schon erreicht hatten. Als man an mich herantrat, meinen Songwriting-Stil zu ändern, um mehr Radioplay zu bekommen, fühlte es sich schon beschissen an. Es machte mich ärgerlich. Wir hingen eine Zeit lang mit Leuten herum, die wir noch nicht mal respektierten. Auf der anderen Seite sind wir durch unseren Erfolg auch mit Leuten in Kontakt gekommen, die wir wirklich mögen. Egal, durch die Erfahrungen sind wir als Band besser geworden. Ich glaube stark daran, dass wir musikalisch noch nicht das erreicht haben, wozu wir in der Lage sind. Ich glaube, wir haben ein paar Alben gemacht, auf die die Zusammenarbeit mit einem Major abgefärbt hat und ich bereue es. Aber wir haben nie etwas geschrieben, um "erfolgreich" zu sein, wir waren es einfach leid, immer wieder gefragt zu werden, genau das zu tun.



Tim, du hast hier wegen einer körperlichen Auseinandersetzung mit dem Moderator von "Australian Idol" Aufsehen erregt. Deine Texte, die oft in der Art eines Storytellers à la Ray Davies sind, zeigen dich allerdings von einer sensibleren Seite.

Ich bin aufgewachsen mit Football-Spielern und degenerierten Rock'n'Rollern als Helden, ein australisches Vorstadt-Kid, das Großstadt-Musik liebte. Ich war früher sehr nervös, ein Angeber, fasziniert von Alkohol und Drogen, der dennoch einen Drang verspürte, etwas Kreatives zu machen. Wie jeder ein Bündel von Widersprüchen und Ablenkungen. Da ich anfällig bin für Depressionen und Angstzustände, drehe ich entweder voll auf oder ich verkrieche mich irgendwo. Ich wünschte, ich wäre etwas geradliniger und ausgeglichener, vor allem wegen meiner Tochter, aber ich arbeite daran. Meine Texte und das gelegentliche Verhalten sind Produkt meines beschriebenen Zustandes, schätze ich mal.



Ihr habt im Laufe der Jahre mit einigen namhaften Bands wie SOUNDGARDEN, ROLLING STONES, THE WHO, OASIS und THE STROKES zusammen getourt. Du bist ebenfalls von Wayne Kramer gefragt worden, bei DKT/MC5 während ihrer Australientour Gitarre zu spielen. Warum ist nichts daraus geworden?

Ich musste Wayne absagen: "Sorry dude, gotta play with THE WHO." Mensch, erst dachte ich, es wäre ein Witz, ich hätte liebend gerne mit ihm zusammen gespielt, er war großartig, sweet und trotzdem tough. Aber es wäre nur ich gewesen, das hätte ich meinen Jungs nicht antun können, weil wir zur gleichen Zeit das Angebot hatten, für THE WHO während ihrer Australientour zu eröffnen. Vor allem Davey wäre mir sonst glatt an die Gurgel gegangen.



Euer Song "Berlin chair" wurde von den Hörern des Radiosenders Triple J zum besten australischen Song der Neunziger gewählt. Was ist ein "Berlin chair"?

Das ist eine Skulptur, von der ich mal gedacht habe, sie wäre analog zu meinem Charakter. Schreckliche Lyrics.



Mit deiner eher Country- und Folkrock-orientierten Band THE TEMPERANCE UNION hast du bisher zwei Alben veröffentlicht. Hast du eine bestimmte Strategie beim Songwriting?

Ich habe beim Songwriting keine Strategie, welcher Song für welche Band ist. Ich fühle mich zu beiden Bands hingezogen, mit einem Drang, Songs für sie zu schreiben, wobei sie beide wirklich sehr unterschiedlich sind. I'm the luckiest bastard around to play in two dynamite bands. Zum Glück sehen sie auch noch alle besser aus als ich.



Im letzten Jahr warst du während der T'N'T-Tour mit Tex Perkins auch in Deutschland unterwegs. Hast du vor, in Zukunft mit YOU AM I dort zu spielen?

In diesem Jahr komme ich erstmal alleine, später dann mit YOU AM I. Hamburg gefällt mir viel zu gut, warnt mal besser eure Einwanderungsbehörde vor.



Sonst noch was?

Ich fange am Montag mit einer neuen Platte an. So, und für mich jetzt bitte einen Gin Tonic.



Matt Henrichmann