Mit „Yesterday’s Kids“ ist dieser Tage ein Buch über 77 Punks und Skins aus Deutschland erschienen, die alle die 40 überschritten haben und die Tim Hackemack auf 500 großformatigen Seiten porträtiert und interviewt. Während andere Bücher dazu neigen, eine gewisse Ära oder eine Band vornehmlich positiv darzustellen, bekommt man hier ein ungeschöntes und dennoch warmherziges Plädoyer für den Zeitgeist von vor 30, 40 Jahren, der letztendlich der Grund war, warum so mancher Punker oder Skin wurde.
Tim, wie bist du auf die Idee gekommen, dieses Projekt anzugehen?
Das war während der ersten Schwangerschaft meiner Frau. Ich war mir unsicher, wie sich nach der Geburt mein Leben ändern würde – würde ich noch auf Konzerte gehen können oder war das jetzt vorbei? Gerade zu dieser Zeit waren wir viel unterwegs und ich wollte das nicht aufgeben. Dann kam mir mein Kumpel Frank Herbst in den Sinn, der drei Kinder hat und trotzdem immer noch unterwegs ist. Irgendwo zwischen diesen wirren Gedanken kam dann die Buchidee auf, die ich auch gleich mit Frank besprochen habe. Der fand sie auch direkt gut und ich habe mir weitere Gedanken gemacht. Bis zum ersten Fototermin hat es dann noch mal knapp zehn Monate gedauert.
Was verbindet dich mit der Punkrock-Szene? Und welchen Stellenwert hat das Fotografieren in deinem Leben?
Punk spielt in meinem Leben eine große Rolle. Anfangs angefixt nur durch die Musik, kam ich circa 1992 langsam in die Szene. Die war aber damals für mich sehr klein, da ich in einem Kaff in der Nähe von Münster aufgewachsen bin. Ohne Auto kam man nicht sehr weit. Das änderte sich aber mit der Zeit. Eine Weile habe ich auch mal viel Rockabilly und Psychobilly gehört, aber Punk war immer wichtig für mich. Heute ist das für mich, auch durch die Arbeit an dem Buch, vielleicht noch etwas greifbarer geworden. Ich bin der festen Überzeugung, dass ich heute ein sehr trauriges Leben führen würde, hätte ich Punk damals nicht für mich entdeckt. Mit der Fotografie habe ich nach vielen Jahren Pause 2011 wieder angefangen. Ich habe schnell gemerkt, dass es mir gefällt und auch recht gute Fortschritte mache. 2012 begann ich auch schon mit der Arbeit an „Yesterday’s Kids“.
Du hast 77 Leute im Buch porträtiert und interviewt. Warum 77?
Es sind ja eigentlich ein paar mehr. Die 77 kam mir ganz am Anfang in den Sinn. Viele Leute betrachten 1977 als das Geburtsjahr des Punk und dem Klischee habe ich Tribut gezollt. Wenngleich ich natürlich weiß, dass das mit 1977 nicht so ganz stimmt.
Nach welchen Kriterien hast du die Leute ausgesucht, die du fotografieren wolltest? Es sind ja nicht ausschließlich Leute dabei, die in Bands spielen oder eine bestimmte Funktion in der Szene ausüben, sondern auch einfach Menschen, die sich seit mehr als drei Jahrzehnten darin tummeln.
Das war mehr oder weniger eine Frage der Sympathie. Einige kannte ich schon vorher, manche durch Bands oder eben einfach durch Konzerte. Vieles entstand aber auch aufgrund von Empfehlungen, Frank Herbst hat mich bestimmt an zwanzig Leute verwiesen. Immer wenn ich jemand Neues getroffen habe, habe ich mich gefragt: Wer würde noch dazu passen? Dadurch kam eine bunte Mischung zustande. Ein paar Wunschkandidaten hatte ich aber vorher auch schon, etwa Mabuse aus Hamburg, Elf von SLIME und Fabsi.
Die 77 Leute werden im Buch immer nur mit ihrem Vornamen vorgestellt. Als Außenstehender muss man erst die Interviews lesen, um herauszufinden, um wen es sich hier genau handelt. War das Absicht?
Viele sagten von Anfang an, dass sie ihren kompletten Namen nicht preisgeben möchten. Anfangs habe ich noch darauf bestanden, aber schnell gemerkt, dass die meisten mit dem Namen, der in ihrem Pass steht, in der Punk-Szene gar nicht bekannt sind. Also wurde Jens zu Adolf, Andrea zu Schleimi und Michael zu Elf. Ich finde es schön so.
In den Interviews erfährt man eine Menge darüber, wie die porträtierten Leute zu Punks und Skins wurden und warum sie der normierten konservativen Gesellschaft ablehnend gegenüber stehen. War das die Quintessenz, auf die du es inhaltlich in deinem Buch abgesehen hattest?
Ich wollte ein liebevolles Porträt einer Generation von Menschen zeichnen, die, obwohl sie eigentlich nichts gemeinsam haben, insgesamt etwas geschaffen haben, das mein Leben stark beeinflusst hat. Anfangs wollte ich fast nur mit Bildern arbeiten, aber nach einer gewissen Zeit merkte ich, dass die persönlichen Geschichten dieser 77 Personen einen guten Teil der Geschichte des Punks in Deutschland erzählen werden. Da wäre es einfach nur dumm gewesen, diese Zeit nicht zu investieren.
Du hast Leute quer durch die ganze Republik getroffen. Über welchen Zeitraum hinweg hast du diese Aufnahmen gemacht? Das Reisen war ja nicht unbedingt billig. Selbst wenn man nur die reinen Spritkosten betrachtet, wirst du finanziell wohl kaum Gewinn mit dem Buch machen. Was sollte für dich dabei herumkommen?
Insgesamt kamen circa 15.000 Kilometer in drei Jahren zusammen. Ich habe mir die Beträge nicht aufgeschrieben, das würde mir jetzt nur die Stimmung versauen. Aber spätestens wenn das Hörbuch auf den Markt kommt, gelesen von Ur-Punk Ben Becker, erwarte ich, im Geld zu schwimmen, haha. Im Grunde war es immer mein Traum, ein Buch zu veröffentlichen. In meinen Regalen gibt es genauso viele Bücher wie Platten – beides vierstellig – und da ich schon einige LPs mit meinen Bands veröffentlicht habe, musste etwas Neues her. Hinzu kommt, dass ich die journalistische Arbeit als Fotograf immer interessanter fand, als den Dienstleister machen zu müssen. Vom reinen Verkauf von Büchern kann man sich aber nicht finanzieren.
Am Ende deines Buches sind einige Leute nur fotografisch abgebildet, ohne begleitendes Interview. Warum?
Bei manchen Leuten reichte die Zeit einfach nicht oder der Kontakt kam nur schwer zustande, sie waren mir aber trotzdem wichtig. Also habe ich sie gefragt, ob es auch okay wäre, nur die Bilder abzudrucken. Damit waren die meisten dann auch einverstanden.
Es gab es doch bestimmt eine Menge spannender Momente, wenn du die Leute getroffen hast.
Es ist immer schwer, da einzelne Momente zu nennen. Mit Falk durch Hamburg zu fahren und zu sehen, wie er reagiert, wenn zwei Bullenwagen die Straße blockieren, war spannend. Für mich war es aber hauptsächlich interessant, neue Leute kennen zu lernen und ihre Geschichten zu hören. Ich denke, ich sollte mich hier auch mal bei allen Beteiligten bedanken dafür, dass sie so offen und ehrlich an das Projekt herangegangen sind.
Wie hast du den Hirnkost Verlag gefunden, der dein Buch veröffentlicht hat? Hattest du noch andere Möglichkeiten? Oder haben die anderen Verlage aufgrund der vorhersehbaren Monstrosität des Umfangs – 500 Seiten, 2,2 Kilogramm – direkt abgesagt?
Mein Kumpel Karl Nagel hat mir den Tipp gegeben, Klaus Farin anzuschreiben. Dieser hat mit etwas Verspätung reagiert, zeigte sich aber sofort interessiert. Wir haben uns dann einmal in Berlin getroffen und das war es auch schon. Nachdem ich das Angebot vom damaligen Archiv der Jugendkulturen hatte, habe ich mich nicht mehr aktiv umgeschaut. Daher kann ich das jetzt gar nicht sagen, ich denke aber, dass es schwierig geworden wäre, denn ein Buch dieser Größe zu veröffentlichen, stellt schon ein immenses finanzielles Risiko dar. Somit danke ich dem Hirnkost Verlag und besonders Klaus Farin, dass er sich getraut hat, mit mir zusammenzuarbeiten. Immerhin war ich ja vorher und bin immer noch ein Unbekannter in der Punk-Szene.
Begleitend zur Veröffentlichung gibt es auch eine Ausstellung, die erste fand in der Sold Out Gallery in Bochum statt. Wird es noch weitere geben?
Ja, erst Bochum, dann Deutschland und dann die ganze Welt.
Wie zufrieden bist du mit deinem Buch?
Ich glaube, es ist schon das geworden, was ich mir gewünscht habe. Klar entdeckt man immer kleine Fehler, wenn man es dann in der Hand hält und merkt, was man hätte besser machen können, aber insgesamt bin ich zufrieden.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #127 August/September 2016 und Helge Schreiber
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #127 August/September 2016 und Joachim Hiller