VANILLA MUFFINS

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Sugar Oi!

Die von 1990 bis 2003 aktiven VANILLA MUFFINS aus Basel sind und waren in der Schweiz bis heute gänzlich unbekannt. Dabei hat noch keine hiesige Punkband je so viele Tonträger auf ausländischen Labels veröffentlichen können und ist mit etlichen internationalen Größen der Szene in Europa getourt. Ihre YouTube-Clips werden bis zu einer halben Million Mal angeklickt. Im Frühling 2020 hat mich Nat von Puke N Vomit Records aus Anaheim in Kalifornien um einen Kontakt zu den ehemaligen Bandmitgliedern angefragt. Doch alle meine Basler Punk-Kumpels konnten mir hier nicht weiterhelfen, somit musste ich dieses Interview mit Colin Brändle, dem Kopf und Songschreiber von VANILLA MUFFINS machen, um ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen. Im September erschien nun bei Puke N Vomit das Album „The Devil’s Fine Day“ von VANILLA MUFFINS mit den besten Songs der beiden Alben „The Devil Is Swiss“ und „Ultra Fine Day“. Weitere Rereleases sind für 2021 geplant.

Colin, die erste Veröffentlichung von VANILLA MUFFINS war ja eine Kassette mit dem Titel „Drei Amigos drehen durch!“. Darauf befinden sich die sieben Songs „D.G.“, „My doll“, „Pirates“, „Favourite vamp“, „10000 promises“, „House of mirrors“ und „Rave it on“. Ich vermute, sie erschien Ende 1991 oder Anfang 1992, da aufgenommen im November 1991, respektive die Tracks B2 and B4 im Dezember 1990. Dabei warst du an der Gitarre und hast gesungen, Per Gilomen am Bass und auch Gesang und eine Sarah am Schlagzeug, die beide danach nicht mehr auf einer VANILLA MUFFINS-Veröffentlichung auftauchen. Ich gehe mal davon aus, sie waren die „drei Amigos“. Dann sind mit Rimo T und Lax noch zwei Gastmusiker mit von der Partie.

Ja, das stimmt schon, das waren Schulfreunde, mit denen ich musizierte. Sie waren feste Größen in der Punk-Szene in Basel. Daneben ging ich aber immer noch zum Fußball und spielte mit Ian in der Band IAN’S BIRTHDAY PARTY. Wir hatten lange nur das Lied „FCB“ für den FC Basel. Ich spielte also in zwei Bands gleichzeitig, in zwei völlig unterschiedlichen Jugendkulturen. Heute ist es so, dass ich sagen kann, dass ich von beiden Szenen gelernt habe und etwas fürs Leben mitnehmen konnte.

Was heißt denn feste Größen in der Punk-Szene in Basel? Per und Sarah und sicher auch du wart vermutlich noch keine zwanzig damals und wie ich vermute, auch noch nicht ewig in der Punk-Szene unterwegs ...
Leute, die alle kannten, mit Verbindungen zu DIE GOLDENEN ZITRONEN und DIE TOTEN HOSEN. Die tourende Punkbands beherbergten. Zwei Jugendfreunde also. Nun, es waren meine zwei Musikerfreunde und so spielte ich mit ihnen in einer Band und mit Ian in einer anderen in einer anderen Szene ... Das war paradox, in der linken Punk-Szene war ich der rechte Fußballproll und in der rechten Fußballszene der linke Punk ...

Zum Fußball gehen und in einer Band sein, die Fußballsongs spielt, macht da scheinbar einen gewichtigen Unterschied.
Ja, COCKNEY REJECTS, eine Londoner Punkband, hat sich immer für ihren Lieblingsverein West Ham United stark gemacht. Ihre Platten in deren Vereinsfarben gedruckt, also Musik über Fußballschlägereien, die dann mit dem Schlachtruf „Oi!“ auch die Skin-Szene ansprach.

Anhand der Songtitel auf „Drei Amigos drehen durch!“ geht’s da aber eher um Horrorgeschichten, oder? Hier scheint Fußball kein Thema zu sein. Dies kam erst später, als auch Ian bei VANILLA MUFFINS einstieg, oder?
Genau, zwei völlig unterschiedliche Angelegenheiten ... Mit Ian kam einer, der wie ich tickte. Fußball ist das letzte große Theater und Punk die letzte große Oper. Wir waren absolut nicht an Politik interessiert. Weder linksextremer Anarcho-Müll, noch rassistischer, rechter Scheißdreck.

„FCB“ von IAN’S BIRTHDAY PARTY, war das eine Eigenkomposition oder ein FCB-Song aus dem Fanblock? Wart ihr da zu zweit oder noch mehrere Musiker?
Unser Proberaum war nur ein paar hundert Meter vom St. Jakob Stadion entfernt. Nach den Spielen kamen Freunde vorbei und wir grölten zu einer Gitarre und einer Snaredrum. Es kamen viele und es gingen noch mehr. Eddie Jr. kam irgendwann aus der Heavy-Metal-Szene dazu. Wir liebten alle COCK SPARRER und somit war die Musikrichtung klar.

Auf was bezieht sich der Name IAN’S BIRTHDAY PARTY?
Dies stand auf einer Kassette eines Kindergeburtstages, die Ian aufgenommen hat.

So wie ich VANILLA MUFFINS verstehe, wart ihr eine Oi!-Punkband mit allem, was dazu gehört. Und somit auch zu Fußballspielen gehen, was viele Punk-Kumpels von mir noch heute machen. Fußball war schon immer Teil der englischen und somit auch der europäischen Punk-Kultur, oder?
Genau, in England gehört dies zur Kultur des Landes. Punk, Fußball-Hooligans, THE SEX PISTOLS, die Königin, Monthy Python, Skinheads, Mods, Ska etc. Sachen, die sich widersprechen, aber in England ist das Teil des kulturelles Erbes und wurde von vielen anderen Ländern importiert und kopiert.

Besagter Ian Norris wurde danach festes Mitglied bei VANILLA MUFFINS, oder?
Genau, Per und Sarah sind nach Hamburg ausgewandert. Ich stand mit Proberaum und Bandnamen da. Kurz darauf verstarb mein Vater – viel zu früh. Er war auch mein bester Freund. Wir nahmen das Lied „Tribute song“ auf, das ich als Widmung für ihn geschrieben habe. Kurz darauf bekamen wir dafür einen Plattenvertrag aus England. Ja, das eine Leben ging zu Ende, während ein anderes anfing.

Ich habe mir den „Tribute song“, den du für deinen Vater geschrieben hast, mehrmals angehört und auch den Text aus dem Netz gefischt. Inhaltlich wie musikalisch ein sehr starker Song. Ich kann gut verstehen, warum das Label Helen Of Oi! euch ein Vertragsangebot unterbreitete.
Die Aufnahme klingt viel zu rauh. Damals war ein besseres Tonstudio nicht drin. Aber für Helen Of Oi! klang es nach altem Oldschool-Punk und so bekamen wir dann den Plattenvertrag über zwei LPs und zwei Singles. Nach uns haben OXYMORON aus Erlangen ihre erste Single „Beware, Poisonous!“ auf Helen Of Oi! herausgebracht und davor waren CLOSE SHAVE mit ihrer sehr starken Single „Attack“ am Start. Wir befanden uns somit in bester Gesellschaft.

Wie haben sie von euch gehört? Ihr hattet ja noch keine Veröffentlichung. Gab es ein Demo, oder hat euch jemand auf einem Gig gesehen und angesprochen?
Ich gab unsere Demokassette einem Londoner West Ham-Fan, der beim Streetpunk-Label Step-1 Music arbeitete. Sie selber konnten keine Oi!-Sachen mehr rausbringen, aber kleinere Label bedienten diese Sparte weiter. In Basel oder sonst wo bekam man als Oi!-Band keine Auftrittsmöglichkeiten.

Warum gab es für euch in Basel oder sonst wo in der Schweiz keine Möglichkeiten?
Nun, alle Konzertlokale waren ja in Sozi-Hand. Da hatte verständlicherweise keiner Lust auf ein Grauzone-„Oi!“-Konzert und damit verbundenen Ärger.

Heißt das, ihr seit in der Schweiz in all den Jahren eures Bestehens nie wirklich aufgetreten?
Nein, das haben wir gelassen, es gab hier keine Oi!-Punk-Szene und so kam es, dass wir für Konzerte weit reisen mussten. Also was heißt „musste“, wir sind gerne gereist. In Deutschland und Italien gab es bereits Konzertorte und Fanzines.

Was beinhaltete der Vertrag konkret? Es gab da ja eine Single-Auskoppelung mit zwei Songs in einer Auflage von 1.000 Exemplaren und vermutlich danach die „Sugar Oi Will Win!!!“, in drei verschiedenen Vinylfarben.
Ja, das Label bezahlte die Studiokosten und es gab Freiexemplare. Bei der LP war es so, dass wir zuerst immer ein Lied aufnahmen und es Bob Burridge zuschickten, und wenn es ihm gefiel, kam es auf die LP. Wie ich finde, ein Riesenvorteil, nicht alle Lieder auf einmal abliefern zu müssen. Dazu kam noch, dass er alle Lieder annahm. Als er „Storm over England“ hörte – für mich das beste Lied der LP –, wollte er es als Single auflegen, aber er hat sich wohl finanziell übernommen. Das Presswerk in Tschechien wurde teurer etc. ... Später hat Bob das ganze Label verkauft. Schade, er war gut.

Was genau bedeutet „Sugar Oi“? Ist das ein Begriff, den ihr erfunden habt?
Viele Boxer gaben sich, um smart, aber hart zu wirken, den Namenszusatz „Sugar“. Zum Beispiel „Sugar Ray Robinson“, oder auch andere Ringnamen wie „Smokin’ Joe“. Es sollte eine Mischung aus Popmusik und Oi! sein. Kein Gewaltgelaber oder Politik.

Auf dem LP-Cover steht: „Knocked down in the first round, booed and now this great comeback!!!“. Dies wird mit einem Boxer in Siegerpose und Siegeskranz illustriert. Da klingt meiner Meinung nach wie ein Statement ... Was ist die Geschichte dahinter?
Nun es geht um den Helden, der verloren schien, aber wieder aufgestanden ist. Das ist Rocky Marciano, der laut Buchmacher gegen Joe Lewis keine Chance hatte. Heute wissen wir, dass er ihm den Arsch versohlte. Beide Boxer sagten vom anderen, dass er, also der jeweilige Gegner, der Beste sei, den es gibt. Ähnliches Fairplay und Respekt wie, als Bobby Moore vor dem Spiel gegen Brasilien über Pelé sagte: „Er ist der Beste, den ich je gesehen habe.“ Und Pelé: „Nein, nein, Bobby Moore ist der Beste.“ Mir gefällt dieses sportliche Sich-Messen mit Respekt für den Gegner. Leider hat Boxen, seit Mike Tyson abgetreten ist, im Vergleich zum Fußball jeglichen Pfiff verloren.

Dann noch ein kleines Detail rechts unten: „incl. the Top Hits ‚good night elvis‘, ‚tribute song‘ and more“. Waren das etwa schon Hits?
Nein, das war schlichte Angeberei.

Nachdem euer erstes Album „Sugar Oi Will Win!!!“ 1994 erschien, seid ihr vom Label auf eine Englandtour eingeladen worden.
Ja, das war so geplant. Wir sind zwei Wochen auf Tour gegangen worden und spielten mit BUSINESS, MAD PARADE, SPECIAL DUTIES und Frankie Flame. Mit Frankie Flame hat sich dann eine langfristige Freundschaft entwickelt. Micky Fitz, der Sänger von BUSINESS, hat dann, als wir beschlossen haben, in London aufzunehmen, das Lied „You come back to Switzerland“ für uns produziert. War ein netter Kerl. Der Song erschien zuerst in Italien auf einer Single und danach 1997 auf dem deutschen Label Oi! The Boys Records auf der LP „The Devil Is Swiss“.

Wie ist das so abgelaufen, in den ersten Jahren mit Auftritten im Ausland, und wie war das mit euren Jobs, die ihr vermutlich hierzulande hattet? Viele Bands spielen ja nur am Wochenende und man kann das ja easy im eigenen Land organisieren, aber wenn man im Ausland spielt, muss man flexibler sein und mehr Zeit dafür aufbringen.
Nun, das war Stress pur, wir arbeiteten ja alle Vollzeit. Das hieß, unter der Woche Überstunden machen, um am Freitag freinehmen zu können, um dann Freitag und Samstag Konzerte zu geben. Montags natürlich wieder arbeiten und anstatt in die Sommerferien fuhren wir auf Tour. Dazu musste man ja unter der Woche noch proben, neue Lieder schreiben und nach London reisen, um die Songs aufzunehmen. Ich hatte damals eine andere Lebensenergie. Wenn ich daran zurückdenke, an diesen konstanten Stress, wird mir schlecht davon. Wir waren in den Neunzigern eigentlich nur auf Tour.

Der heute nicht unumstrittene Frankie Flame ist auf einigen Aufnahmen von euch mit dabei. Meistens als Sänger oder für Backing-Vocals zuständig. Wie kam es dazu?
Pure Freundschaft. Wenn wir nach London kamen, brachten wir ihm Zigaretten mit. Dafür hat er dann mal ein Intro geklimpert oder backing gesungen, waren alles Freundschaftsdienste. Wir verstanden uns sehr gut, durch den Humor und ähnlichen Musikgeschmack wie Sechziger/Siebziger-Jahre-Pop und Beat-Songs. Es gäbe noch so viele Geschichten über ihn zu erzählen, er war damals ein toller Mensch, tolle Stimme. Leider ist er in den letzten Jahren nach rechts abgerutscht und hat charakterlich versagt.

COCKNEY REJECTS sind ja irgendwie die Begründer des Musikgenre, im dem sich auch VANILLA MUFFINS positioniert haben. 2018 habe ich sie zum ersten Mal auf einem Festival im Coupole Chessu im AJZ-Biel live gehört und gesehen. Sie waren Headliner und ihr Sänger Jeff „Stinky“ Turner hat das Konzert dazu genutzt, fit zu bleiben, indem er wie ein Boxer, der er ja mal war, herumtänzelte und trainingsmäßig Schatten boxte. Ich fand das Ganze recht stumpf und bin auch recht schnell abgehauen. Es ist immer wieder eine Gratwanderung, seine alten Helden vierzig Jahre später zum ersten Mal live zu sehen.
Völlig richtig, ja doch, das waren sie. Nicht so sehr musikalisch, sondern mehr vom frechen Auftreten. AuA, also Auge um Auge, Image, Vereinsfarben mit ausgeschlagenem Schneidezahn vertreten ... und Oi! Oi! Oi! Sie sehen wirklich wie Straßenjungs aus, Rotzlöffel aus Ostlondon mit großer Schnauze. Ja, das hat mir gefallen. So antischweizerisch, dort wo die meisten Angst vor dem eigenen Mut haben. „Beginning of the end“ und „Badman“ sind Hammer-Songs, die Billy Idol hätte singen können.

Jetzt, da du es sagst, stimme ich dir klar zu, das sind 100% Billy Idol-Songs. Sollte ihm mal jemand sagen, so dass er wieder Mal gute neue Stücke im Repertoire hat. Habt ihr mit COCKNEY REJECTS zusammen spielen können oder sie persönlich kennen gelernt?
Ja, wir waren auf Tour mit ihnen, sie waren wie THE BUSINESS sehr nett, musikalisch überschaubar, unglaublich unvorbereitet. Sie hatten da einen Pseudomanager. Ihr Gitarrist hatte kein langes Gitarrenkabel und so schickten sie ihn immer, mich fragen. Sie haben nie alles auf die Karte Musik gesetzt. Jeff Turner ist verheiratet und hat drei Töchter. Im Gegensatz zum ebenso netten Micky Fitz, dem Sänger von BUSINESS, der plötzlich ein Rockstar wurde, dank RANCID. Ich habe ihn noch einmal als Kokain-Alk-Rock’n’Roll-Trottel in Berlin getroffen. Den Micky Fitz, den ich noch aus dem Tonstudio kannte, gab es da schon lange nicht mehr. Das Haifischbecken Rock’n’Roll hat ihn das Leben gekostet, sein Sohn hatte auch nicht mehr viel von ihm. Da ist mir Stinky Turner lieber, zu dem ich in Leipzig sagte: „Hast du gesehen, da gibt es hübsche Mädchen.“ Darauf zeigte er auf seinen Ehering: „I can’t, I’m married, I’m a very rich man.“ Daneben verglichen der ebenso nette Micky Fizz, der sich aber die Säufernase angetrunken hat, sich um Sohn und Frau nicht groß scherte. Es ist so ein schmaler Grat zwischen „gerade noch gut gegangen“ und „totale Katastrophe“. Micky ging vor die Hunde. Stinky Turner hat den Hunden in den Arsch getreten. Ich habe jetzt eine Tochter und einen kleinen Sohn. Ich würde sie nie für „Rock’n’Roll Fame“ zu kurz kommen lassen. Ich bleibe lieber wie ’ne gealterte Band so wie COCKNEY REJECTS.

Boxt du auch?
Ja, ich habe circa neun Jahre im Boxclub Basel trainiert und bei meinem London-Aufenthalt im Boxclub Kilburn, wo ich der einzige Weiße war. War spitze, gute Leute. Aber ich habe nie im Ring für Meisterschaften geboxt, es war mehr für die Fitness.

Es gibt den Sampler „Oi! The Album“ aus dem Jahr 1980. Da ist Jeff Turner in dieser für ihn typischen Pose abgebildet. Diese find ich wieder auf eurem Album „Ultra Fine Day“. Was das Mädel genau in der Hand hält, kann ich nicht erkennen. Ist dies eine Referenz an die COCKNEY REJECTS oder Jeff?
Sie hat Tränengasspray in der Hand. Als Wink mit dem Zaunpfahl, dass man auch Pfefferspray oder so abkriegen kann, wenn man nur nach der Zeit fragt. Ein superdoofes Cover, mit dem ich bis heute nichts anfangen kann. Hat das Plattenlabel gemacht, einfach grauenhaft.

Ich war ja 1987 kurz Sänger bei den GEEKSTOMPERS, einer Nachfolgeband der ersten Schweizer Oi!-Band MICKEY UND DIE MÄUSE. Was nicht ganz ohne war, da ich eine große Schnauze hatte, aber keinen ausgeschlagenen Schneidezahn. Dafür am Schlagzeug einen ehemaligen Skinhead-Rudelchef und am Bass einen stadtbekannten Streetpunk, der ohne Vorwarnung sofort zuschlug. Auch haben wir zusammen nur ein paar Gigs im Raum Zürich gegeben, wo auch immer genug von unseren Fans, die Jungs von der Pöbel-Gang anwesend waren, also mit kompletten Back-up, so dass ich mein Ding durchziehen konnte. Wie war das bei euch? Ich kann mir gut vorstellen, dass ihr da bei Live-Gigs einiges durchstehen musstet, oder?
Gut, es gab ja immer Saalschutz. Aber gegen uns, nein ... Das hängt sicher damit zusammen, dass wir kein einziges gewaltverherrlichendes Lied in unserem Repertoire haben, sprich: wir schufen nie eine Atmosphäre für Fressengeballer. Wir wurden speziell in Ostdeutschland auf Händen getragen und waren die gern gesehenen Underdogs ohne das Rockstar-Gehabe einiger US-Bands oder Wessis. Wir quatschten stundenlang mit den Leuten. Es gab da aber eine andere Art von Stress und zwar mit konkurrierenden Bands, mit denen wir zusammen spielten. Da gab es die eine oder andere Szene. Mit PETER AND THE TEST TUBE BABIES und ihrem Scheiß-Manager könnte ich noch bis an mein Lebensende Dinge tun, dass es sogar dem Teufel schlecht wird. Bei den britischen OXYMORON herrschte auch immer verdammt dicke Luft und bei der Rockabilly-Band DEMENTED ARE GO konnten wir nicht mal auf den Lokus, da sie sich stundenlang backstage geschminkt haben und sie es gestört hätte. Egal, wir konnten uns wehren.

Mit Per Gilomen hast du ja VANILLA MUFFINS gegründet, und wie ich bei Discogs sehe, taucht da ein Colin „The Real Deal“ Brändle ab 2004 wieder vermehrt bei der deutschen Band SEXMACHINES auf. Hier aus dem Ox: „Die VANILLA MUFFINS sind tot, lang leben die SEXMACHINES. So oder so ähnlich könnte ich mir eine Vorstellung der neuen Band um Muffins-Boss Colin Brändle in einem Boxring vorstellen. Der ersten Single folgt nun das erste Album des Trios aus Basel, Hamburg und Berlin. Aufgenommen in London unter Zuhilfenahme vom Londoner Skinhead-Urgestein Frankie Flame an der Orgel – provinziell geht anders. Auch Colins Rhythmussektion weiß gute musikalische Referenzen vorzuweisen.“ Wie kam es dazu?
Nun, ich denke der Anfang vom Ende begann, als Ian sich ab dem Jahr 2000 mehr und mehr nach einem gutbürgerlichem Leben sehnte. So kam es, dass Eddie und ich Konzerte zu zweit spielen mussten. Unter anderem in Berlin beim Holidays in the Sun Festival. Also warfen wir ihn raus oder er ging, wie du es drehen willst. Das spielte ja keine Rolle. Per Gilomen zog zu dieser Zeit von Hamburg nach Berlin und war ohne Band. Für mich menschlich sowie musikalisch ideal. Wir nahmen dann zu dritt in London das Album „The Drug Is Football“ auf, was dann der größte „Erfolg“ für VANILLA MUFFINS werden sollte. Wir spielten am 1. Februar 2003 für die Rapid Wien-Hooligans ein Konzert in Wien zum zehnjährigen Bestehen der Fan-Freundschaft von Rapid und Panathinaikos Athen. Leider funktionierte es zwischenmenschlich zwischen Eddie und Per gar nicht. Sie konnten sich schlicht nicht mehr leiden. Es ist sehr mühsam, ein Konzert in einer Dreierformation zu spielen, in der zwei sich nicht leiden können. Wir nahmen dann ein Video auf und veröffentlichten auf Knock Out Records das Album und die Konzertangebote schnellten nach oben. Auch die Gagen hatten umgehend hinten eine Null mehr. Leider bin ich im März 2003 gesundheitlich vor große Probleme gestellt worden. Mein Leben veränderte sich völlig. Ich musste Chemotherapie und Bestrahlungen über mich ergehen lassen. Meine Freundschaft zu Per blieb. Von Ian und Eddie habe ich nie mehr was gehört. Es war für ’ne gewisse Zeit okay und dann war es vorbei. Ich möchte auch beide nicht mehr treffen, sie mich sicher auch nicht. Nachdem ich mich wieder erholt hatte, war es so, dass ich noch viele Lieder geschrieben habe, welche ich aber nie aufgenommen hatte. Per Gilomen erzählte mir dann was von einem Schlagzeuger, der so laut in die Felle haut, dass er sich wegdrehen muss. Das war Carsten Zisowsky, der Schlagzeuger von OHL. Wir nahmen dann 2006 in London das SEXMACHINES-Album „Fight Like Cats And Dogs“ auf, aber für mich war es vorbei. Zu Hause hatte ich eine Tochter, und auch Per wurde Vater. Ich musste einsehen, dass ich nicht mehr den Elan hatte wie mit Mitte zwanzig. Das einzig Blöde an der ganzen Sache ist, dass viele Bands ihr bestes Album am Anfang rausbringen. Bei uns war es so, dass wir das beste Album am Schluss aufgenommen haben. Das war ehrlich gesagt schlechtes Timing.

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Tribute song
You looked for a time so bright and free, / The days at work with all your mates. / You were too quick-witted for the psycho therapist. / Your protection was the breeding ground in my life! / Always the screwdriver in your hand. / I’m proud that I could be your son. / Look at us now, we’re on the verge of tears. / Our unity was always without a doubt. / If I could know, if I could know that we will win, / If I could know, if I could know that we will win, / If I could know, if I could know that we will win, / If I could know, if I could know that we will win, / Where are our glorious days, our victory? / We will, we will win! / What’s your legacy who’s on the right track. / I wonder if you could help me. / The time too short but it was high quality, / So we’ll hope and wait that we can see us then ...

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Diskografie
VANILLA MUFFINS: „Drei Amigos drehen durch!“ (MC, self-released, 1991) • „Sugar Oi Will Win!!!“ (LP, Helen Of Oi!, 1994) • „The Devil Is Swiss“ (LP/CD, Oi! The Boys, 1997) • „Ultra Fine Day“ (10“/CD, Walzwerk, 1998) • „Gimme Some Sugar Oi!“ (LP/CD, Knock Out, 1999) • „Hail! Hail! Sugar Oi!“ (2LP/2CD Comp, DSS, 2000) • „The Power Of Sugar Oi!“ (CD/Comp, Reality Clash, 2001) • „The Drug Is Football“ (LP/CD, Knock Out, 2003) • „The Great Sugar Oi Swindle!“ (CD/Comp, Neuroempire, 2004) • „The Greatest Sugar Oi! Swindle“ (CD/Comp, Sexmachines, 2005) • „The Triumph Of Sugar Oi!“ (LP/CD/Comp, Spirit Of The Streets, 2014) • „The Devil’s Fine Day“ (LP/Comp, Puke N Vomit, 2020) • SEXMACHINES: „Fight Like Cats And Dogs“ (CD, Sunny Bastards, 2006)