Mit ÜBERGANG aus Göttingen interviewe ich eine sehr interessante Band, die sperrigen Hardcore-Thrash-Metal spielt und bislang noch gar nichts veröffentlicht hat. Einige hundert Leute haben ÜBERGANG allerdings bereits seit den ersten Konzerten Ende 2015 gesehen. Die Shows hinterlassen Spuren. ÜBERGANG-Sänger „Cliff Nasty“ war bisher als Sebi von STOMPER 98 bekannt, der sich nun auf komplett anderen musikalischen Ebenen bewegt. Es ist davon auszugehen, dass bald das erste Album erscheinen wird.
Sebastian, du hast mit ÜBERGANG eine neue Band am Start. Worauf bezieht sich der Bandname? Ist das eine Umschreibung der aktuellen Situation, dass du dich mehr und mehr aus der Skinhead-Szene verabschiedest?
Für mich ist ÜBERGANG eher ein eigener Zustand, als dass der Name eine spezifische Bedeutung hätte. Es befindet sich alles im Wandel, permanent. Es gibt keinen Stillstand und keine rückblickende Verklärung vergangener Momente. ÜBERGANG befindet sich in der absoluten Gegenwart und in unserer Musik, in unseren Texten bewegen wir uns in der realen Welt, die um uns stattfindet. Der Bezug auf mich persönlich ist mit dem Bandnamen nicht absichtlich gegeben.
Bist du jetzt eigentlich komplett raus bei STOMPER 98 oder liegt die Band nur auf Eis? Habt ihr 2015 nicht hier und dort noch einige Konzerte gespielt?
Die Aktivitäten mit STOMPER 98 sind gerade ein wenig zurückgefahren, das machen wir ab und an mal gern über die ganzen Jahre. Da bleibt Platz für andere Dinge und wir selber freuen uns dann wieder, Zeit miteinander zu verbringen. 2015 waren wir in Russland, Barcelona und Oslo.
In den vergangenen Jahren warst du einer der bekanntesten Sänger aus der Skinhead- und Oi!-Szene in Deutschland. Du hast 2015 ein paar klare und deutliche Worte gefunden, warum du nicht mehr mitmischen willst. Was hat dich dazu veranlasst?
Dogmatismus verleidet mir viele Dinge und gerade das Internet zeigt mir immer wieder, wie es um die Gesellschaft bestellt ist. Du musst nur mal die Kommentare unter Videos oder Bildern bei YouTube oder Facebook lesen. Dort spielt sich mein Leben nicht ab. Das spiegelt sich auch in der Szene wider und ich bin sehr glücklich und zufrieden damit, wie es bei mir läuft. Ich bin ein unruhiger Mensch und fühle mich schnell eingeengt. Für viele Menschen kein großer Akt, für mich ist so was aber existenziell. In den letzten Jahren nahm das Überhand und ich verbringe meine freie Zeit am liebsten mit der Familie, im Proberaum oder laufend in der Natur. Nach einer schweren Verletzung letztes Jahr im Herbst musste ich erstmal wieder zurückfinden und da setze ich mich auch nicht mit anderen Dingen auseinander, die für mich nichtig sind. Es geht mir tatsächlich um dieses ganze „Szene“-Ding. Das brauche ich für mich so nicht, momentan lebe ich sehr zurückgezogen und damit geht es mir gut.
Auch privat gehst du inzwischen einen ganz anderen Weg. Du hast bis vor kurzem in der Logistik einer Pharmafirma gearbeitet, was als solches einen sicheren Job mit festen Einnahmen und planbarem Wochenende bedeutete. Was hat dich dazu gebracht, das aufzugeben?
Den Job wollte ich nie so lange machen und als die Firma vor zwei Jahren von einem amerikanischen Konzern aufgekauft wurde, war mir schnell klar, dass ich da raus muss. Diese Art von Geschäftsführung widerte mich nur noch an und die Unzufriedenheit in der Belegschaft war für mich kaum noch zu ertragen. Mehr Arbeit, weniger Kohle und Umstrukturierungen in meinem Arbeitsbereich führten dazu, dass es mich ankotzte, für irgendwelche US-Aktionäre zu malochen. Also suchte ich mir was Neues und habe jetzt die Möglichkeit bei der Jugendhilfe unter anderem mit jungen Flüchtlingen zu arbeiten. Innerhalb der Familie fand es große Zustimmung und dann bin ich den Schritt gegangen. Bei allem, was ich mache, muss ich auch irgendwie überzeugt sein und unzufrieden in einem Job dahinzuvegetieren, war wirklich nie mein Ziel. Bisher blieb mir das immer erspart.
Musikalisch gehst du mit ÜBERGANG einen ganz anderen Weg. Der neue Sound ist metallisch, thrashig, dazu auch noch sperrig, wütend und nichts für zarte Gemüter. Mit welchem Vorsatz seid ihr an eure Musik herangegangen?
Das hast du schon ganz gut beschrieben. Wir haben Ende August 2014 zum ersten Mal ernsthaft zusammengeprobt. Da waren wir noch zu dritt. Jeff spielte Gitarre, Dukk an den Drums, ich am Mikro. Wir wussten nur, dass es schmerzhaft, hart und schnell werden sollte. Das Songwriting verläuft eher unkonventionell. Wenn wir das Gefühl hatten, ein Song ist fertig, dann haben wir da auch nichts mehr dran gemacht. Künstlich in die Länge gezogen oder extra was eingebaut, das kommt für uns nicht in Frage. Wie wir klingen wollen, war uns nicht gleich klar, doch entwickelte sich schnell ein recht eigensinniger Sound. Am wichtigsten war es, dabei nichts mit dem Kopf zu entscheiden. Spielen, ausprobieren und akribisch proben und nochmal proben. Es gibt Breaks und Parts in den Songs, keine Ahnung, die haben wir hundertmal und mehr üben müssen, damit es so klingt, dass es sich für uns schlüssig anhört. Da sind wir zum Glück alle fünf ähnlich gestrickt und sehr ehrgeizig, in dem Moment alles für diesen Song mögliche zu tun.
Ihr seid aus Göttingen. Wann und wie seid ihr zusammengekommen und wer spielt außer dir noch bei ÜBERGANG?
Die Band besteht neben meinem Alter Ego Cliff Nasty aus Mikey Lawless an der Leadgitarre, Jeff Insanity an der Rhythmusgitarre, Tony Custom am Bass und Dukk Maniac an den Drums. Wir haben im August 2014 unsere erste Probe gehabt und nicht wieder aufgehört. Tony kam letzten Sommer dazu und vorher haben wir praktisch ein Jahr lang nichts anderes gemacht als geprobt. Es war auch nie gleich als Band geplant, doch schon nach zwei, drei Sessions zu dritt war klar, dass wir jetzt weitermachen. ÜBERGANG bestimmt mittlerweile bei uns fünf sehr den Ablauf und die Planung, weil wir nicht oft genug in den Proberaum können. Unseren alten Raum haben wir nach einem Jahr verlassen und Tony hat nicht nur unseren Sound und die Band als Person bereichert, er hat auch einen absolut perfekten Raum am Start, wo wir eigentlich 24/7 reingehen können und den wir uns mit befreundeten Elektro-Muckern teilen. Musikalisch trieben sich alle fünf bereits in diversen Hardcore-, Metal- und Punkrock-Bands rum, da ist Göttingen eben auch eine kleine Stadt, wo jeder jeden kennt.
Bei eurer Live-Performance fällt mir auf, dass du dich wie ein waidwundes Tier auf der Bühne bewegst. Du greifst dabei ganz tief in die emotionale Kiste, um die Texte eurer Lieder „greifbar“ zu machen, so mein Eindruck. Wie siehst du das?
Ich lasse mich fallen und denke nicht nach. Die Musik, die Texte, diese Band spiegelt alles wider, was mich bewegt und emotional im Griff hat. Dabei ist es egal, ob im Proberaum oder auf Konzerten. Es passiert einfach. Das schlägt sich auch in den Texten nieder. „Im Schildwall des Lebens, suche ich Halt, im Schutz vor dem Ausmaß der rohen Gewalt“, heißt es in „Kämpferherz“ oder „Mit Gefühlen bewaffnet, auch mich packt die Angst, im Schoß der Natur, vor jedem Kampf“ in „Nichts zu verlieren“. Kein Lied ist nicht emotional aufgeladen, wir haben sehr viel Zeit damit verbracht, an den Worten zu feilen und die Gefühlsschwankungen in Musik und Texten sind brutal. Diese Lieder zu spielen hat für mich etwas von einem Ritus. Es fühlt sich an wie nach Hause kommen.
Bei STOMPER 98 kamen immer viele Melodiebögen in deinem Gesang rüber. Bei ÜBERGANG klingt das wie eine Dekonstruktion deines früheren Gesangsstils.
Hm, weiß ich gar nicht so genau. Ich habe 1990 mit zwei Freunden eine Kiddie-Hardcore-Band gehabt mit Namen 138. Wir sind nie über ein Demo hinausgekommen, da habe ich aber auch schon so versucht, zu singen wie heute bei ÜBERGANG. Die Phrasierungen der Texte auf die Musik ist mir wichtig. Es ist eine Herausforderung, das klassische Musikschema zu brechen und eben nicht vorhersehbar zu singen. Das findet sich viel im Atmospheric Black Metal. Das wirkt oft im ersten Moment sperrig, aber wenn es sich einem erschließt, ist es kaum möglich sich dem zu entziehen. Der Zugang und die Eingängigkeit kommen erst beim wirklichen Einhören und Befassen.
Welche Themen sind dir in deinen Texten seit deinem „Neuanfang“ wichtig geworden? Live fand ich den Text zu „Zeichen der Zeit“ sehr einprägsam. Worum geht es hier?
Meine Texte sind immer eine Bestandsaufnahme des aktuellen Moments, meiner Gefühle, Eindrücke und Stimmung. Grundsätzlich finde ich es anmaßend, Künstler an dem zu messen, was sie vor fünf, zehn oder fünfzig Jahren von sich gegeben haben. Das geschriebene oder gesungene Wort ist immer eine Momentaufnahme. Wie ein roter Faden zieht sich durch meine Texte eigentlich die dunkle Aussicht auf die Zukunft. Und trotz der Dunkelheit sehe ich immer einen Ausweg, ein Licht, das einem hilft weiterzumachen. Bei „Zeichen der Zeit“ betrachten wir die Gesellschaft, in der wir leben, und als ich den Text schrieb, kam mir vorher die Bibelgeschichte von Sodom und Gomorrha in den Sinn. Viele sogenannte Hochkulturen sind an sich selbst gescheitert, an den Einflüssen von außen und letztendlich an der eigenen Arroganz. Ich empfinde die globale Situation der westlichen Welt in höchstem Maße beunruhigend und diese permanente Missachtung und der fehlende Respekt vor der Natur treiben mich in den Irrsinn. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass unsere Lebensweise und Ignoranz dafür sorgen wird, alles an die Wand zu fahren. Alleine das Festhalten an tiefsitzenden nationalistischen Gefühlen, Mord und Totschlag aus Glaubensgründen und einfach der fehlende Respekt vorm Leben sind offensichtliche Gründe für nicht überwindbare Probleme innerhalb der Menschheit. Da müssen wir gar nicht tiefer gehen. Und trotzdem habe ich den Glauben, dass es auch besser werden könnte, irgendwie nicht ganz verloren, denn im Kleinen, in der Welt, die jeder um sich herum mit Freunden und Familien hat, da klappen viele Dinge und Mitgefühl und Zuneigung sind die Eckpfeiler für eine funktionierende Gesellschaft.
Welche inhaltlichen Anregungen erwarten den Hörer, wenn er Texte zu Songs wie „Ich glaube zu finden“, „Von innen nach außen“ als auch „Nichts zu verlieren” hört?
Es ist eher so, dass ich schon immer so ticke und jetzt erst mit den Texten rausgehe. Seit ich zwölf, dreizehn bin, schreibe ich Texte und Gedanken nieder und habe nur ein Bruchteil dessen wirklich vertont und veröffentlicht. Bei dem Sound von ÜBERGANG passt genau diese Art von Texten und Worten, die ich eher für mich behalten habe im Laufe meines Lebens. Es dreht sich um die Frage des eigenen Seins, der Bestimmung und wie es weitergeht. Für jede Tür, die ich öffne, verschließt sich eine andere. Den Schlüssel dafür muss ich dann wieder finden. Mancher bleibt für immer verschollen, ist allerdings auch nicht schlimm, denn irgendwie geht es immer weiter. Ein weiteres Thema, das mich irre macht, ist der Gedanke an Glauben und Selbstbestimmung. In einer christlich geprägten Umgebung fällt es mir unwahrscheinlich schwer, dem zu folgen, wie die Menschen agieren und handeln. Gerade die hier verbreiteten monotheistischen Religionen sind reiner Selbstbetrug. Nichts ist so beständig wie der Kreislauf der Natur. Es gibt kaum etwas emotional Bewegenderes, als bei Sturm und Regen im Herbst im Wald oder Gebirge zu sein und sich bewusst zu machen, wie wenig unsere Lebensweise mit dem zusammenpasst, wie die Natur eigentlich funktioniert und sich das gedacht hat. Ob das unbedingt als Anregung dienlich ist, möchte ich nicht beurteilen, denn jeder zieht ja aus Büchern, Gedichten und musikalischen Vertonungen von Texten andere Schlüsse. Und das macht es ja so spannend zu sehen, was andere daraus machen.
Und welches „Monster im Kopf“ plagt dich so vehement?
„Kennst du die Geister vergangener Tage, ich kann ihre Anwesenheit spüren, die weiße Weste hat heute Ärmel, die mir die Arme auf den Rücken schnüren ...“ Das ist aus dem ÜBERGANG-Song „Monster im Kopf“. Irgendwann kam es, dass ich merkte, ordentlich einen an der Schalmei zu haben. Die Selbstreflexion tut sehr gut und es hilft unwahrscheinlich dabei, einigermaßen vernünftig durch die Welt zu kommen. Ich habe das Schreiben, die Musik, mein Laufen und tolle Menschen um mich herum, da haben die dunklen Wolken keine Chance. In der Kindheit und Jugend war es eher so, dass Lehrer, Psychologen und Sozialarbeiter nicht wirklich hilfreich waren, einen klaren Kopf zu bewahren. Da konnte ich am Ende nur selbst die eingefahrenen Strukturen und Denkweisen verlassen, um ansatzweise eine klare Linie zu erkennen.
Rück doch bitte mal ein paar Details raus, wann wir was von euch erwarten dürfen? Habt ihr schon ein Label für das Album gefunden?
Wir haben im Dezember 2015 angefangen 13 Songs aufzunehmen. Eigentlich wollten wir es selbst mit unseren Soundmann Mathias Wendt im Proberaum machen, stießen aber mit dem, was wir wollen, und den Möglichkeiten, die wir dort haben, an unsere Grenzen. Pro-Tools ist nicht alles, auch der Raum, das Equipment und so weiter kann für den Sound entscheidend sein. Dennis von den GUANO APES hat in der näheren Umgebung zusammen mit seinem Partner Godi das Katzbach Tonstudio, also fragten wir, ob wir dort zumindest die Drums einspielen können. Da wir ohne Label arbeiten und alles selbst finanziert ist, müssen wir genau schauen, was und wie wir Dinge angehen. Schon nach ein paar Tagen war uns klar, die ganze Platte dort aufzunehmen, wäre kaum möglich gewesen. Wie gesagt, es sind 13 Songs und Interlude und es geht permanent an die Grenze der Raserei und Irrsinns. Es gibt kaum Atempausen und trotzdem haben wir es sehr abwechslungsreich gestaltet. Die Aufnahmen sind fast abgeschlossen und es ist ein deutschsprachiges Crossover aus Thrash, Black Metal und Hardcore. Für das Mastering haben wir Jacob Hansen gewinnen können und sobald wir fertig mit allem sind, schauen wir, ob es ein Label gibt, das vielleicht Interesse hat, die Platte zu veröffentlichen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #144 Juni/Juli 2019 und Helge Schreiber
© by Fuze - Ausgabe #67 Dezember/Januar 2017 und Georg Büchner
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #135 Dezember/Januar 2017 und Helge Schreiber