STAGE BOTTLES

Foto© by Boris Schoeppner

Wir brauchen uns

Und plötzlich sind drei Jahrzehnte vorbei. Die Frankfurter STAGE BOTTLES feiern 2023 einen runden Geburtstag und beschenken sich selbst (und uns) nach zehn Jahren (und einer Quasi-Auflösung) mit einem neuen Album, dessen Titel und Openersong mit dem Refrain „We need each other“ fast schon ungewohnt versöhnlich klingt. Da gab es auch mal andere, wütendere Zeiten, wobei ... Wut ist da immer noch, wir reden ja von (Oi!-)Punk und einer ablehnenden Grundhaltung gegen die Scheißigkeit der Welten ganz allgemein und rechtem Gesindel im Speziellen. Frontmann Olaf nahm sich die Zeit, unsere Fragen in der nötigen Ausführlichkeit zu beantworten. Eine Leerstunde in Sachen antifaschistischer Skinhead-Kultur.

Olaf, ihr feiert 2023 dreißig Jahre STAGE BOTTLES – und habt quasi in letzter Sekunde noch im Dezember euer neues Album „We Need Each Other“ an den Start gebracht. Wieso habt ihr zehn Jahre dafür gebraucht?

Das hat viele Gründe. Ich hatte mich zwischenzeitlich aus privaten Gründen etwas mehr auf andere Dinge konzentriert, das lag auch an meiner letzten Beziehung, in der etwas andere Erwartungen in mich gesetzt wurden, als dass ich andauernd mit der Band unterwegs bin. Hat übrigens erstaunlich lang gedauert, bis ich verstanden hatte, dass da was dran ist. Ich hatte dann zwischenzeitlich sogar die Band kurzzeitig aufgelöst, das Feeling stimmte bei mir zeitweise nicht. Das, was ich privat lebte, war gefühlt nicht mehr ganz so Punkrock. Für die STAGE BOTTLES erwarte ich aber von mir selbst ein authentisches Gefühl, also das Gefühl, dass STAGE BOTTLES sich harmonisch in mein gesamtes Leben einbetten. Auch inhaltlich. Davon hatte ich mich, auch um meine Beziehung führen zu können, zeitweise entfernt. Ich habe versucht, mich selbst abzuschaffen. Ich kann nur jedem/jeder raten, dass nur bis zu einem gewissen Grad zu versuchen. Eigentlich war mir ziemlich früh klargeworden, dass ich die STAGE BOTTLES in meinem Leben als persönliche Ausdrucksform und musikalische Selbstverwirklichung brauche. Und natürlich auch das ganze Drumherum wie Konzerte, Leute treffen und so weiter ... Selbst nach der „Auflösung“ habe ich den Proberaum weiter behalten, da ich mir eigentlich gar nicht vorstellen konnte, dass es das jetzt gewesen sein sollte. Nun proben wir wieder in besagtem Proberaum. Alles richtig gemacht, zumindest was die Band angeht.

Aber ...?
Nach dieser Phase, die mit dem Ende meiner Beziehung dann auch vorbei war, kam dann der Ausstieg unseres Gitarristen Marcel. Schnell hatten wir wieder einen Nachfolger, den Holger, doch dann stieg plötzlich Easy aus familiären Gründen auch aus. Wir veranstalteten einen Casting-Tag und lernten dabei glücklicherweise Michael kennen, der wie Holger optimal zu uns passt und in jeder Hinsicht ein Gewinn ist. Ein bisschen Glück braucht man dann schon, fähige und passende Leute zu treffen. Nicht jeder könnte bei den STAGE BOTTLES mitspielen, da gehört schon eine gewisse Überzeugung und Dickhäutigkeit dazu. Währenddessen kam dann auch noch Corona. In Offenbach, wo unser Proberaum ist, waren die Zahlen teils so hoch, dass es monatelang das Verbot der Ansammlung von mehr als drei Personen und ein Ausgehverbot nach 21 Uhr gab, wenn ich mich recht erinnere. Das machte das Proben eigentlich unmöglich. Allgemein wollten wir auch uns und unsere Mitmenschen nicht gefährden. So fielen viele Monate weg, in denen wir schon hätten produktiv sein können. Der Versuch, übers Internet miteinander zu proben oder Songs zu schreiben, scheiterte. Da kam nicht die notwendige Atmosphäre auf, um mit hoher Motivation gute Songs zu schreiben oder weiterzuentwickeln. Nach dem ganzen Hickhack und nachdem Corona nicht mehr so präsent war, konnten wir endlich beginnen, an den neuen Songs zu arbeiten, wobei ich viele bereits schon im Kopf hatte, und teilweise hatte ich auch schon Layouts aufgenommen. Da unser Drummer relativ weit weg von uns allen wohnt, waren auch immer nur Probewochenenden möglich. Andere Bands treffen sich locker einmal in der Woche und proben. Das war und ist bei uns nicht möglich. Und zack, schon sind eben plötzlich zehn Jahre vergangen.

Wenn wir schon bei der Vergangenheit sind: Drösel uns doch bitte mal auf, wie das damals alles losging mit euch in und um Frankfurt. Wer war dabei, was war die Idee – inhaltlich wie musikalisch -, was habt ihr sonst so getrieben?
Wichtig ist, dass ich zuvor in der englischen Band BLAGGERS ITA Erfahrungen mit einer ziemlich professionellen und sehr politischen Band sammeln durfte. Dort spielte ich zunächst nur Saxofon. Diese Band lebte bereits das vor, was wir mit STAGE BOTTLES dann quasi übernahmen: eine antifaschistische Gang um uns herum, viele mit Skinhead-Hintergrund, natürlich gehörte dazu auch Fußball und Punk. Neben einem offensiven, provokanten Auftreten gegenüber den Faschos, immer klare Kante zeigen, auch auf der Straße. Zudem gab es eine große Offenheit in Bezug auf die musikalische Ausrichtung. Damit meine ich die Kombination von Punk, HipHop, und das noch begleitet von Bläsern; das war der BLAGGERS-Stil. Der Feature-Track „You’ll never stop us“ mit MOSCOW DEATH BRIGADE auf unserem neuen Album ist insofern auch ein Produkt dieser Zeit, da ich durch meine Erfahrung mit BLAGGERS musikalisch viel offener wurde. Als ich den Song schrieb – der Text ist von MDB –, hatte ich immer auch die BLAGGERS im Hinterkopf, weshalb ich unbedingt Rap-Gesang drin haben wollte. Einer unserer ersten Songs war „All you need is hate“. Wenn man genau hinhört, erkennt man da den musikalischen Stil der BLAGGERS. Als es dann mit den BLAGGERS ITA Ende 1992 für mich vorbei war und ich aus London zurück nach Deutschland, also wieder nach Frankfurt zog, hatte sich gerade aus der Frankfurter SHARP-Szene – „Skinheads Against Racial Prejudice“ – heraus eine Art Band gebildet. Ich wurde gefragt, ob ich nicht singen wolle – auch aufgrund dessen, dass ich mir durch die BLAGGERS bereits einen Namen gemacht hatte. Die Band hieß damals noch anders und hatte unter dem Namen nie einen Auftritt.

Was war die Idee für die neue Band?
Ganz wichtig war für uns zu dieser Zeit die Verteidigung der unserer Meinung nach ursprünglichen, nicht-rassistischen, der Arbeiterklasse nahestehenden Skinhead-Kultur. Berlin und Frankfurt waren die offensiven Vorreiter der SHARP-Bewegung in Deutschland, und wir kooperierten mit gegenseitigen Besuchen. Wir scheuten keine Konflikte mit den Faschos. Die STAGE BOTTLES wurden im Zuge diverser Ereignisse dahingehend immer mehr zum Aushängeschild eines offensiv, auch körperlich ausgelebten Antifaschismus in Kombination mit der Skinhead-Kultur. So verstanden wir uns damals auch. Allerdings waren wir von Anfang an offen für alle Menschen und sahen uns nicht als Skinhead-Elite. Nur gegenüber Faschos hatten wir ein in jeder Beziehung ausgeprägtes Überlegenheitsgefühl.

Welche Rolle spielte damals der Fußball ... und heute?
Ganz am Anfang spielte der Fußball tatsächlich überhaupt keine Rolle. Wir sahen uns ja als Teil der linken Szene an. Da war Fußball nur negativ besetzt, da die Strukturen innerhalb der – damals auch viel kleineren Fanszenen – doch fast ausschließlich von Rechten geprägt waren, und diese ja auch nicht ungefährlich waren. Sprich: es war schlicht zu gefährlich, ins Stadion zu gehen. Einige fingen dann im Zuge der kurzzeitig positiven Entwicklung von Eintracht Frankfurt – Bein, Yeboah, Okocha, Gaudino, Trainer Jupp Heynckes – an, dorthin zu gehen. Das lief aber zunächst alles ohne mich ab, da ich absolut im Fokus der rechten Szene auch in Frankfurt stand und einfach nicht ungefährdet ins Stadion hätte gehen können. Die Kneipenviertel hatten wir halbwegs unter Kontrolle, im Stadion hatten noch andere das Sagen. Dann gab es ein einschneidendes Ereignis: Eine Frau, Beate Matthesius, schrieb ein Buch über die Offenbacher Hooligan-Gruppe „Anti-Sozial-Front“. Ein Frankfurter Hooligan, der erste, der zu uns stieß, wurde auch in dem Buch erwähnt. Er stand mit Beate Matthesius in Kontakt, so dass sie von uns SHARP-Skins in Frankfurt wusste. Ich und ein Freund wurden zu einem Blockseminar von der Uni, wo sie Dozentin war, eingeladen, um einen Vortrag über die „wahre Skinhead-Kultur“ zu halten. Dabei traf ich dann Markus H., damals Anführer und Mitbegründer der ASF. Da das Blockseminar übers Wochenende in einer Jugendherberge stattfand, lernten wir uns besser kennen und freundeten uns an. Bis heute übrigens, ich rede gerade von 1993. Markus war selbst mal ein rechter Schläger, hatte sich aber mittlerweile total verändert, war aber immer noch Hooligan. Als er uns dann in Offenbach „vorstellte“ und einer der Hooligans ihn in der Kneipe mit „Sieg Heil, H.“ begrüßte, wurde von Markus mit Hilfe eines zur Verstärkung der Argumentation gegenüber dem Gruß-August eingesetzten Aschenbechers dem Rest der Truppe mitgeteilt, dass „ab jetzt ein anderer Wind wehen“ würde. Erstaunlicherweise funktionierte das ganz gut.

Und wie ging es für dich weiter?
Ich wurde tatsächlich Teil der Gruppe. Ein Satz, der später, als für die Offenbacher alles schon ganz normal war mit der Anwesenheit von „Linken,“ von einem der Hools gesagt wurde war, dass er immer dachte, „Linke sind Langhaarige mit Sandalen, aber mit euch kann man ja feiern und ihr könnt euch boxen.“ In Offenbach zeigte sich aufgrund des subkulturellen Gesamthintergrunds – Skinhead, Fußball, Musik –, dass Kommunikation und etwas positiver Vorbildcharakter doch auch bei politisch bereits verloren geglaubten Leuten noch starke Veränderungen bewirken kann. Aber das ist natürlich ein ganz besonderes Setting, das nicht einfach so in anderen Situationen abgerufen werden könnte. Auf alle Fälle hatten wir jetzt auch gestandene Hooligans bei uns, die sich sehr darüber freuten, dass mit den STAGE BOTTLES für sie plötzlich ein Tor zur Welt aufging. Mit denen konnten wir natürlich auch besser gegenüber Faschos einen Dicken machen. Für die Nazis war es ein Albtraum, dass wir jetzt auch Hooligans dabeihatten. Allerdings kamen auch einige ins Grübeln und es folgten uns plötzlich auch ein paar Hooligans aus anderen Städten. Da ich nun auch immer mehr Vollblut-Hooligan bei den Offenbachern wurde, begann ich auch auf der Bühne, immer mehr fußballmäßig rumzuprollen. Zu der Zeit, so 1997, nahmen wir dann auch „You’ll never walk alone“ mit LOS FASTIDIOS auf.

Das war ein entscheidender Moment, oder?
Ich unterstelle, dass STAGE BOTTLES zu der Zeit einen großen Anteil am Einzug der linken Szene in die Fußballwelt hatten. Mir wurde erst später klar, dass sich zu der Zeit ja auch viele Ultra-Gruppierungen in der Gründungsphase befanden. Wir begleiteten viele dieser Gruppen von klein auf bis heute. So spielte ja zum Beispiel auch Easy, einer der ersten Anstimmer der Ultras Frankfurt UF97, jahrelang bei uns mit und ist heute noch bei uns eingebunden. Das war ein Resultat dieser oben beschriebenen Entwicklung und verstärkte die Bindung zur Szene natürlich ungemein. In den ganzen letzten Jahren kamen immer Sachen hinzu, die meinen Kontakt zur Eintracht-Fanszene immer mehr intensivierten: Teile unseres Umfelds begannen für das Klamottenlabel Hooligan Streetwear zu arbeiten, auch ich machte diverse Jobs wie Jubiläumsfestivals und Sampler, natürlich mit der entsprechenden politischen Konsequenz für Hooligan Streetwear; Hooligans und Ultras leisteten in meiner Einrichtung ihre Sozialstunden ab; ich half beim Organisieren von Spendenaktionen der Ultras, wir traten bei diversen Jubiläen von Frankfurter Fangruppen auf. Dass ich eigentlich ursprünglich mal bei der Eintracht geächtet war, auch wegen der ASF, und dass ich eigentlich in erster Linie Fortuna Düsseldorf-Fan bin, spielte irgendwann keine Rolle mehr. Es wuchs zusammen, was zusammengehört. Wir haben nach wie vor viele Kontakte in der Fußballszene, und wir spielen auch noch viele Gigs im Rahmen von Fußball-Gruppierungen, und wir tun das sehr gerne. Es darf nicht unterschätzt werden, wie viel Einfluss eine politische Ausrichtung von Ultra-Gruppierungen auf die jeweilige Stadtgesellschaft hat. Aber es bestehen eben auch jahrzehntelange Freundschaften und da ist nach wie vor die Liebe zum Fußball und dem Drumherum, deshalb bleiben wir am Ball.

Was hat sich in deinem persönlichen Verhalten verändert seitdem?
Was ich nicht mehr wirklich mache, ist das fußballmäßige Rumgeprolle auf der Bühne. Also nur noch ganz selten. Ich möchte heute etwas seriöser rüberkommen als früher, mein Verhalten sozusagen dem mittlerweile den STAGE BOTTLES eigenen inhaltlichen und musikalischen Niveau anpassen, also auch nicht unnötig irgendwelche Leute verprellen, und auch um von ernsthafteren, wertvollen Leuten inhaltlich ernster genommen zu werden, so dass sich wertvolle Kontakte ergeben können. Und, ganz klar, früher habe ich mich in meinem Fußball-Dasein sehr wichtig genommen, heute ordne ich das sicherlich auch meinem Alter entsprechend realistischer im, sagen wir mal, „Weltgeschehen“, ein. Das macht einen dann auch etwas leiser. Dennoch regen sich bei manchen Gelegenheiten noch niedere Hooligan-Instinkte in mir. Keine Ahnung, ob das jemals weggeht, aber ich habe nicht mehr das Verlangen, das noch auszuleben. Aber Fußball ist nach wie vor für viele Bandmitglieder der STAGE BOTTLES ein fester Bestandteil ihrer Freizeitgestaltung.

Die Geschichte der STAGE BOTTLES ist auch die eines sich zigfach verändernden Line-ups. Die ersten Jahre hattet ihr noch Co-Sängerin Manu dabei, was den Sound prägte, seitdem seid ihr eine reine „Herrenrunde“. Wer ist beim aktuellen Album dabei, und was machen die ganzen „Ex-Bottles“ – noch Kontakt?
Ja, tatsächlich, es gab sehr viele Umbesetzungen. Unser jetziger Drummer O2 – weil er auch Olaf heißt, und ich der „erste“ Olaf in der Band war –, ist der erste Schlagzeuger, der mit „We Need Each Other“ ein zweites Album mit den STAGE BOTTLES eingespielt hat. Das sagt schon viel aus. Zur Sängerin: Manu und unser damaliger Schlagzeuger bekamen ein Kind, die beiden heirateten, das passte nicht mit einer recht aktiven Band zusammen. Leider waren die beiden nicht dieser Ansicht, was ein paar Verstimmungen zur Folge hatte. Deshalb gab es dann auch kein Zurück mehr. Wir haben aber wieder lockeren, entspannten Kontakt zueinander. Aber es ist erstaunlich, dass wir immer noch auf die Zeit mit Manu, die nun schon 25 Jahre zurückliegt, angesprochen werden. Ihr Auftreten war sicher in den Neunzigern noch eher untypisch für eine Frau: selbstbewusst und voll akzeptiert in einer doch noch männerdominierten Welt, auch in der Skinhead-, Fußball- und Punk-Szene. Wenn wir am 16.12.23 unsere 30-Jahr-Feier machen, werden wir versuchen, alle Ex-Mitglieder einzuladen und dazu zu bringen, das eine oder andere Liedchen mitzuspielen. Wir haben grundsätzlich zu keinem der Ex-Mitglieder komplett den Kontakt verloren. Nur unser erster Schlagzeuger Hoschi ist leider schon vor ca. zwanzig Jahren viel zu jung verstorben. Die vielen Wechsel in der Bandbesetzung selbst waren meist sich verändernden Lebensumständen der einzelnen Bandmitglieder geschuldet. Familiäre Gründe waren die häufigsten. Oft hatte ich das Gefühl, okay, jetzt war’s das. Wie schon zuvor erwähnt, kann ja nicht jede:r in der Band mitspielen, aber letztendlich fanden wir, auch mit Hilfe unseres großen Umfelds, immer wieder passende und coole Musiker. So schlich sich aber auch der Fokus, eine Skinhead-Band sein zu wollen, immer mehr aus, da die neuen Mitglieder ganz einfach keine Skinheads mehr waren. Überhaupt nicht schlimm, finde ich.

Wie schwer war und ist es, eine Band zusammenzuhalten, am Laufen zu halten – gerade auch im gesetzteren Alter, wenn Wochenendausflüge mit viel Bier womöglich etwas an Reiz eingebüßt haben?
Schwierig. Zumindest war es das zwischenzeitlich, wie gesagt auch mit Auflösungstendenzen allerorten. Das Schöne ist jetzt, dass wir alle einfach nur glücklich sind, dass mit den STAGE BOTTLES gerade wieder viel Spannendes passiert, also dass es uns noch gibt. Wir sind in Bewegung, wir werden wahrgenommen, wir haben ein geiles neues Album aufgenommen, das zu unserer Lebenswirklichkeit passt. Zudem gehören wir zum Glück einer Generation an, wo viele „Rockmusiker“ gemeinsam alt werden. Als ich zwanzig Jahre alt war, gab es noch keine „alten“ Rockmusiker. Es war auch im allgemeinen gesellschaftlichen Denken eher freakig und illegitim, ab einem gewissen Alter noch den „Punk rauszulassen“. Heute ist das ganz normal, auch für jüngere Leute, die sich das anschauen. Deshalb passt alles, obwohl es uns jetzt dreißig Jahre gibt. Womit du aber recht hast: Wir müssen schon auf uns achten. Neben unseren Jobs wäre es ohne Hilfe nicht zu stemmen, was gerade so anliegt. Deshalb haben wir jetzt mit Solar Penguin eine Booking-Agentur. Wir bestehen in der Regel in Verbindung mit Konzerten auch auf Hotels, ich sogar auf ein Einzelzimmer, weil ich montags auf der Arbeit fit sein muss. Immerhin arbeite ich als Sozialarbeiter mit Menschen in diversen Notlagen mit diversen psychischen Erkrankungen zusammen. Ohne einen gewissen Komfort ist das nicht mehr zu packen. Außerdem ist mir allgemein nicht mehr ganz so egal, in welchem Zustand ich mich befinde, wenn ich zur Arbeit gehe. Früher bin ich auch mal total durch zur Arbeit oder auch auf die Bühne gegangen. Heute wäre mir das tatsächlich teilweise peinlich, und ich lege mehr Wert auf Qualität als früher. In allen Lebensbereichen und auch was mein eigenes Handeln angeht.

Was „nervt“ besonders?
Gewisse Wiederholungen nehmen wir manchmal als anstrengend wahr. Das Rumhängen vor und nach Soundchecks oder lange Fahrten im nicht ganz so bequemen Bandbus zum Beispiel. Aber grundsätzlich macht uns allen das Feiern nach tollen eigenen Konzerten auch noch Spaß. Es ist toll, dass wir oft alle gemeinsam nach Konzerten noch weitermachen und mit Publikum und Veranstalter:innen in Kontakt kommen. Es sind ja permanent coole Leute, die man im Rahmen von Konzerten trifft. Ganz wichtig ist, dass sich bei uns was tut, also dass zum Beispiel das zur Zeit Anstehende eigentlich nichts ist, was wir so schon mal erlebt haben, und seien es nur die neuen Lieder, die uns allen viel Spaß machen und live schon vor der Veröffentlichung auffällig gut ankommen. Stillstand wäre anstrengend und langweilig. Da hätte ich auf Dauer keinen Bock drauf. Neulich hatte ich ein geradezu reizendes Erlebnis, als wir in Madrid gespielt haben: einer der jungen Musiker einer unserer Supportbands – sehr zu empfehlen: die ALTROIDS aus Chile – kam nach dem Konzert zu mir. Er sagte: „Bad English“ und zeigte mir seinem Handy die englische Übersetzung von dem, was er mir mitteilen wollte: „When I am in your age I would like to be like you.“ Ich war echt geflasht davon, ein Riesenkompliment. Und auch wenn er nicht weiß, was so alles Anstrengendes auch altersbedingt in meinem Gehirn vorgeht, hat er in Bezug auf STAGE BOTTLES und einem damit verbundenen Lebensstil wohl recht. Zudem war es eine unzweifelhafte Bestätigung, dass Menschen, die maximal halb so alt sind wie ich, mich und und das, was ich da auf der Bühne abziehe, noch richtig cool finden können. Die Leute merken, dass wir immer noch authentisch sind. Ohne das wäre ein Weitermachen für mich undenkbar.

Auf dem neuen Album gefällt mir die „Tröte“ ausgesprochen gut. Für dich ein Muss oder schönes Beiwerk für euren Sound?
Ich liebe mein Saxofon, allerdings ist das nicht die Prämisse, wenn wir es einsetzen. Zunächst hatten wir überdurchschnittlich viele neue Songs ohne Saxofon. Wir, auch ich selbst, merken, wenn das Saxofon sich für einen Song einfach nicht anbietet. Wir gingen natürlich auch bei der Arbeit am neuen Album davon aus, dass das Saxofon ein fester Bestandteil sein wird. Der Einsatz ergibt sich von selbst, wächst in einen Song irgendwie natürlich hinein, wird aber nicht erzwungen. Uns ist aber auch bewusst, dass es ein Markenzeichen von uns ist, und außerdem ist es einfach auch ein schönes Instrument, das die Musik mit seinem Sound bereichert. Ursprünglich wurde das Saxofon zu Beginn unserer Bandgeschichte wegen meines Einsatzes damit bei den BLAGGERS eingesetzt, aber auch aus dem Grund, dass unser zunächst alleiniger Gitarrist sagte, er sei kein guter Solo-Spieler. Das übernahm dann das Saxofon. Heute haben wir da wesentlich mehr Variationsmöglichkeiten, die wir auch nutzen.

Ihr habt euch immer klar als linke, antifaschistische Band positioniert. Kannst du all jenen, die das nicht schon ewig verfolgen, mal skizzieren, auf welche Vorbilder, Werte und Traditionen ihr euch beruft?
Wir berufen uns auf keine Organisation. Mit Skinhead-Gruppierungen wie SHARP/Skinheads Against Racial Prejudice und RASH/Red and Anarchist Skinheads fühlen wir uns zwar teilweise verbunden, sehen uns aber nicht mehr als deren Sprachrohr. Dafür ist Skinhead an sich zu unwichtig, wir wollen uns politisch breiter aufstellen. Zudem sind SHARP-Gruppierungen mittlerweile zum Großteil auch sehr entpolitisiert, und RASH-Gruppierungen zelebrieren teils den Sowjet-Kommunismus, also Stalinismus. Nicht so unser Ding, das halten wir für grundfalsch. Ich persönlich bin über den deutschen Ableger der englischen SWP, der Socialist Workers Party, in frühen Jahren politisch sozialisiert worden. Auf die Gruppe bin ich tatsächlich aufmerksam geworden, weil die englische Band REDSKINS da aktiv war. Ansonsten hat uns natürlich der Straßenkampf gegen Nazis und das generelle Hineinwachsen in die Antifa-Szene unabhängig von „Skinhead“ politisch geprägt. Wenn wir Anfragen für Soli-Konzerte haben, checken wir das gründlich, machen es aber auch gerne. Für ganz verschiedene Gruppierungen mit unterschiedlichen Anliegen. Wir sind linke Gutmenschen mit einem gewissen Gewaltpotenzial, würde ich mal sagen. Wir verschreiben uns aber keiner klar definierten Form linker Politik, also keiner linken Doktrin, sondern versuchen, uns mit Vernunft der Realität zu stellen und damit konstruktiv umzugehen, ohne einen Selbstzweck und eine Identitätsstärkung unsererseits damit im Blick haben zu wollen. Leider haben wir auch viel an der linken Szene zu kritisieren. Da wird die Realität doch oft mit utopischen Forderungen, gepaart mit frustriert vorgetragener Arroganz vollkommen aus den Augen verloren.

Oi!, Streetpunk, Skinhead-Rock’n’Roll – wo siehst du euch, wo sind die Unterschiede?
Mir wäre es am liebsten, musikalisch einfach nur als gute Punkband angesehen zu werden. Von mir aus auch Streetpunk, weil sich viel im Umfeld der STAGE BOTTLES auf der Straße abspielte. Natürlich kann und soll unsere immer noch vorhandene Skinhead-Affinität nicht verleugnet werden, aber letztendlich ist das vielleicht nur wichtig, weil es ein Teil des Erfahrungsschatzes der Band ist, der sich dann in den Songs irgendwie widerspiegelt. Wir machen Lieder, die nicht aus dem Bedürfnis, wie irgendwer klingen zu wollen, entstanden sind, sondern aus uns heraus. Wir wollen keine Bestätigung, weil wir die hundertste Band sind, die perfekt nach so oder so klingt. Dazu sind zu viele Bands in den Richtungen, die du genannt hast, auch einfach zu doof. Ich kann mich nicht mehr mit Bands identifizieren, die immer nur das Gleiche machen und nur das Publikum bedienen wollen. Es ist ihr gutes Recht und Geschmackssache, trotzdem finde ich es manchmal befremdlich, wie man sich in der Gegenwart immer wieder mit Dingen selbst abfeiert, an denen man unverändert seit Jahrzehnten festhält und damit ständig Klischees auslebt. Ich will es nicht wirklich bewerten, das wäre vermessen, aber kicken tut mich das nicht mehr, und manchmal schäme ich mich fremd für andere. Und es ist manchmal auch traurig, dass dadurch mit der Zeit immer mehr Leute, die man lange kennt und mit denen man lange gemeinsam einen Weg gegangen ist, plötzlich doch eher langweilig werden, und manchmal gedanklich dadurch auch gar nicht mehr mitkommen, wenn man davon erzählt, mal etwas ganz anders zu machen. Mit manchen Leuten kann ich in diesem Falle leider immer weniger anfangen.

Und zurück zu meiner Frage ...?
Wo die Unterschiede zwischen den ganzen oben genannten Formen von einer bestimmten Musikrichtung sind? Mir ist es egal, wie etwas genannt wird. Ich entscheide für mich, wo ich es einordne: es ist gut, oder es ist schlecht; es ist respektabel, oder es ist einfach nur peinlich. Diese von dir genannten Begriffe sind für mich irgendwo inhaltslos und teilweise auch irreführend. Ein Beispiel: RED LONDON spielen auf unserer 30-Jahr-Feier. Wir haben sie als Punk-Legenden angekündigt. Da meldete sich dann ein Skinhead zu Wort, dass es sich doch um eine Oi!-Legende handele. RED LONDON machen aber musikalisch und auch textlich so gute Lieder, dass „Oi!-Legende“ ihnen qualitativ aus unserer Sicht nicht gerecht werden würde.

Es gab und gibt bis heute in der Oi!-Szene eine gewisse Trenn-Unschärfe, was die Akzeptanz von Bands mit nicht explizit linker Einstellung betrifft. Bis in die Gegenwart führt das immer wieder dazu, dass manche Menschen aus der Punk-Szene auf Oi! mit einem Generalverdacht reagieren oder bestenfalls unsicher sind, ob eine Band nun „sauber“ ist oder nicht und eben doch mal irgendwo gespielt hat, wo auch eine weniger eindeutig positionierte Band auf der Bühne stand. Der ewige Fluch dieser Szene?
Das stimmt. Leider gibt es zur Zeit wieder eine Entwicklung auch bei Bands, mit denen wir früher viel zu tun hatten, die in die falsche Richtung geht. Nachdem sich eine mehr oder weniger nazifreie Szene etabliert hat und in der Welt so viel krasser Mist durcheinander gelabert wird, scheint insbesondere bei einigen sogenannten Oi!-Bands der Kompass für politische Dinge etwas verloren zu gehen, da sie genervt von den ganzen Debatten sind, oder sich einfach davon in die falsche Richtung verführen lassen. Da ist Skinhead dann oft wichtiger als ein gewisses Maß an Moral. Und dann wird es einfach nur dumm, auch wenn man sich als antifaschistisch bezeichnet. Eine richtig ausgeprägte „Bonehead“-Szene – Bezeichnung aus den Neunzigern für Menschen, die wie Skinheads aussehen, aber nur Nazis sind, also keine Skinheads sind, da ein Nazi aufgrund der Ursprungsgeschichte kein richtiger Skinhead sein kann – wie früher gibt es ja eigentlich so gar nicht mehr, daher ist das weniger ein Thema als früher. Dennoch beinhaltet die Skinhead-Kultur einige generelle Probleme: Uniformierung, das stößt oft ab; eine nach wie vor hohe Dominanz von Männern; ein entsprechendes Bild von Männlichkeit, das ausgelebt wird. Zudem eine oft zur Schau getragene unpolitische Haltung, die auf unsympathische Weise eigentlich links engagierte Personen diskreditiert und Nichtstun und Ignoranz als Weisheit verkaufen will. Daraus könnte man schließen, dass es bei einigen Skinheads eine gewisse Beschränktheit gibt, die unweigerlich auch zu kritisierende Dinge zur Folge haben können und nicht gerade zur Vertrauensbildung beiträgt. Ganz im Ernst: zu viel Skinhead macht einfach dumm. In jungen Jahren war das auch bei mir ganz anders, deshalb würde ich mich hüten, über Jüngere zu urteilen, wenn sie sich noch im akzeptablen Rahmen bewegen. Ich war früher nicht anders. Wenn aber ältere Skinheads denken, intellektuell auf dem Niveau einer Jugendkultur, die weitgehend lebensunerfahrene 12- bis 14-jährige – so viel zum Thema „Way of Life“ – vor 54 Jahren ins Leben gerufen haben, verharren zu können, und dies auch noch als Grund für eine Überlegenheit ihrer selbst gegenüber Menschen, die sich zum Beispiel auf dem Mittelmeer für die Rettung von Menschenleben unter Lebensgefahr den Arsch aufreißen, interpretieren, dann wird es echt schlimm. Leider muss ich solche Leute selbst immer mehr meiden. Ich bin auch wirklich kein Fan mehr davon, auf Oi!-Festivals zu spielen. Aber da kommt es natürlich auch wieder auf den Ort, die anderen Bands, die Veranstalter:innen und den Anlass an. Natürlich gibt es mittlerweile auch sehr viele absolut antifaschistische, entspannte, nette und hilfsbereite Skinheads, die aber eben nur für sich einen Weg gewählt haben und andere Wege genauso akzeptieren und wertschätzen, sich aber generell anderen Menschen gegenüber offener zeigen, als die, die „Skinhead“ teils wie eine elitäre Sekte sehen.

Bei euch in Hessen ist die AfD aktuell so stark wie noch nie in einem West-Bundesland. Wie sehr besorgt dich das ... und wie sicher kann unsereins noch sein, bei einem Konzert nicht neben Sympathisant:innen dieser Partei zu stehen?
Das besorgt mich schon. Allerdings habe ich immer noch die Hoffnung, dass das Potenzial für die AfD bald ausgeschöpft ist. Wir sind hoffentlich doch nicht mehr in den Dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, wo die Aufklärung noch nicht stattgefunden hatte und allgemeine, heute untragbare Haltungen noch zum guten Ton zu gehören schienen. Allerdings ist die Entwicklung definitiv besorgniserregender als noch mit den Republikanern, der DVU oder der NPD in den Jahrzehnten davor. Wir erfahren zwar alle zehn Jahre quasi so eine Entwicklung mit Aufschwüngen auf der rechten Seite, aber man merkt, wie die AfD, wie es so schön heißt, wirkt. Der Sprech der AfD ist, wie es ebenfalls so schön heißt, teilweise „in der Mitte der Gesellschaft angekommen“. Ekelhaft. Mir macht aber ebenfalls Sorgen, dass auch die linke Seite aufgrund der Komplexität von gesellschaftlichen Problemen und Phänomenen nach immer einfacheren Erklärungsmustern und Handlungsstrategien zu suchen scheint und sich irgendwie in die eigene Blase zurückzieht, alles scheiße findet und nur noch mit sich selbst beschäftigt ist, und denkt, wenn mit ein paar Sätzen die Wahrheit arrogant ausgesprochen wurde, genug getan zu haben, und dann nicht mehr mehr getan werden kann, da ja eh alle hoffnungslos scheiße sind. Dazu kommt, dass es auch in der Mainstream-Politik beängstigend wenig Persönlichkeiten in den „bürgerlichen“ Parteien gibt, die sowohl von ihrer Authentizität, ihrem Charisma und ihrer inhaltlichen Differenziertheit her den Karren aus dem Dreck ziehen könnten. Kein Idealismus mehr, nur noch Verwaltung, und alle haben den/die selbe:n Rhetoriktrainer:in. Ein Freund aus Mecklenburg Vorpommern hat mir neulich gesagt, wie es da so aussieht: er sagte, würde man dem Anspruch folgen, mit keinem/keiner AfD-Wähler:in sprechen zu wollen, dürfe man zum Beispiel schon nicht mehr zum Bäcker gehen. Ja, das ist beängstigend. Trotzdem hoffe ich, dass da wirklich noch viele Protestwähler:innen mitspielen, die bei richtig krassen Schritten vonseiten der AfD nicht mehr mitmachen würden. Überzeugte Nazis sind das nicht alle. Aber klar, auf der anderen Seite kann auch noch werden, was noch nicht ist. Es sollte weder verharmlost werden, noch sollte man alle gleich aufgegeben.

Mit „Sometimes anti-social but always anti-fascist“ hattet ihr einst einen Song, eine Zeile, die sich längst weltweit verselbständigt hat. Was ist die Geschichte dazu, Erlebnisse, Sichtungen ...?
Als ich noch in Offenbach wohnte, wollte unser damaliges Label einen STAGE BOTTLES-Aufkleber machen, mit dem Spruch „100% antifascist Punkrock“ oder so ähnlich. Das war mir irgendwie zu wenig. Ich litt damals manchmal durchaus unter einer kognitiven Dissonanz wegen diverser Protagonisten in der Offenbacher Hooliganszene. Das war alles nicht astrein, aber die waren sich bewusst, wer ich bin, dass ich von Nazis massiv angefeindet wurde ... Ich konnte denen allen bis zu einem ausreichenden Maß vertrauen und habe mich selbst und meine Ideale nicht verraten. Folgerichtig „Sometimes anti-social“ auch wegen der Anti-Sozial-Front, die ihren Namen übrigens noch von dem SKREWDRIVER-Lied „Antisocial“ herleitete. „But always anti-fascist“, da meine Loyalität zur Hooligangruppe in jedem Fall ab einem für mich klar definierten Moment geendet hätte. Natürlich hat der Spruch noch eine zweite Bedeutung: Der Mainstream betrachtet uns, die wir anders sind und uns auch manchmal auffällig benehmen, als asozial. Im Gegensatz zu vielen dieser Leute haben wir aber einen klaren moralischen Standpunkt. Unabhängig von unserem teils anderen Auftreten, das in der Gesellschaft als abnorm angesehen wird, solange es nicht auf dem Oktoberfest passiert. Diese anderen Teile der Gesellschaft gehen in ihrer Selbstgefälligkeit auf, handeln strukturell höchst asozial und gewalttätig, indem sie zum Beispiel unkritisch dem Neoliberalismus das Wort reden, Ungleichheit und damit Tendenzen zum Faschismus befördern. Aber schön gestriegelt und geschniegelt Gedenkveranstaltungen abhalten, während wir auf der Straße zunächst das Schlimmste zu verhindern suchen und dabei auch noch kriminalisiert werden. Und die Vertreter:innen der Staatsgewalt, die Polizeieieiei, darf inoffiziell-offiziell auch noch offen rassistisch und diskriminierend handeln, legitimiert von großen Teilen der Gesellschaft.

Irgendwie zieht sich durch die deutsche Oi!-Szene die „Sprach-Wasserscheide“: Hier die Bands mit internationaler Ausrichtung und englischen Texten, da jene mit deutschen Texten und einer daraus resultierenden Beschränkung auf den „heimischen Markt“. Wie sind da deine Gefühle ... und schwingt da vielleicht auch mal ein etwas neidischer Blick etwa Richtung Düsseldorf mit, was die Reichweite betrifft, die scheinbar auch mit der Sprachentscheidung zu tun hat ...?
Mein Blick fällt öfter neidisch auf Düsseldorf, weil es die, die da wohnen, nicht so weit zur Fortuna haben. Nein, ganz ehrlich, der Erfolg von DIE TOTEN HOSEN oder der BROILERS macht mich nicht wirklich neidisch. Wir haben unsere Ursprünge in der englischen Punk-Musik, ich habe bereits in einer englischen Band, den BLAGGERS, gesungen, also bin ich ganz einfach „englisch“ sozialisiert worden. Aus den englischen Texten resultiert auch – wenn auch vergleichsweise klein – eine weltweite Fangemeinde. Zudem hatte ich immer das Gefühl, dass es mir leichter fällt, englische Texte zu schreiben. Aus dem einfachen Grund, weil ich die Gratwanderung im Deutschen zwischen zu akademisch und pseudo-cool sehr schwierig finde. Natürlich muss auch ich jeden Text von Engländern prüfen lassen. Und diese Tatsache deutet dann natürlich auch auf sprachliche Einschränkungen hin, die mich durchaus schon einmal darüber nachdenken lassen, ob deutsche Texte nicht langsam mal spannender sein könnten. Denn ich kann zum Beispiel schlecht ein Lied schreiben, in dem Namen deutscher Persönlichkeiten vorkommen, die mit dem Leben des internationalen Publikums sonst gar nichts zu tun haben, oder wo die Geschichte, die vielleicht „typisch deutsch“ ist, nicht nachvollzogen werden kann. Ich mag die deutsche Sprache eigentlich sehr. Im Englischen kann ich vermutlich auch nicht den Wortwitz entwickeln, den ich im Deutschen haben könnte. Es kommen immer wieder Ideen aus dem Umfeld auf, doch mal alte Lieder mit deutschem Text neu aufzunehmen. Vielleicht machen wir das mal. Aber nicht wegen des Erfolgs. Ich weiß auch gar nicht, ob ich so ein öffentliches Leben führen wollen würde. Zum Beispiel ist es fast unmöglich, dass mich jemand wie der Monchi einfach mal zu Hause besucht und mit mir gemütlich durch die Stadt latscht und Kaffeetrinken geht. Das kann er vielleicht in Rostock, aber nicht irgendwo anders. Da kannst du dir gewisse Freiheiten, die das normale, anonymere Leben betreffen, mit deinem Ruhm und deinem Geld nicht zurückkaufen. Mir reicht’s jetzt schon im Rhein-Main-Gebiet, wo mich doch relativ oft auch wildfremde Leute auf der Straße ansprechen. Es gab auch schon Klienten, die mich erkannt haben. Da wird’s dann richtig komisch, weil das STAGE BOTTLES-Leben nicht unbedingt das typische Leben eines Sozialarbeiters ist, und diese Leute dann mehr über mich wissen könnten, als es in diesem Arbeits-Setting wünschenswert ist. Zitat, nachdem ich mal jemanden im Wohnheim wegen Trunkenheit vom Grillfest ausschließen musste: „Ich weiß genau über dich Bescheid, der und der“ – er nannte Namen – „hat mit dir zu tun, du bist doch selbst ein Krimineller.“ Aber sollte ich doch mal unfreiwillig Rockstar werden und nicht mehr normal arbeiten müssen, hätte sich das ja erledigt ...

Ihr habt viele Jahre mit Mad Butcher Records zusammengearbeitet bei der Veröffentlichung eurer Platten, aber auch mit Knock Out. KO hatte sich irgendwann in Staub aufgelöst, Mad Butcher gibt es noch, doch 2023 habt ihr euch jetzt bei LOIKAEMIE „angehängt“ und seid auf deren bandeigenem Label Fettfleck Records. Erzähl uns doch bitte was zu eurer Labelhistorie und zur Entscheidung für Fettfleck.
LOIKAEMIE haben Fettfleck gegründet, um DIY ihre Sachen veröffentlichen zu können. Dies ist das Resultat ihrer Erfahrungen mit Labels. Da wir teilweise dasselbe Label hatten und dieselben Erfahrungen gemacht haben, bot Thomas mir mal so nebenbei an, dass wir ihre Plattform auch benutzen könnten, wenn wir unabhängiger sein wollen. Unsere alten Labels haben nie vernünftig mit uns abgerechnet, besonders die Streamingdienste nicht. Wir haben da nie Geld bekommen. Als uns das bewusst wurde, mussten wir uns mit Hilfe eines Rechtsanwalts die Rechte an all unseren Liedern erkämpfen. So weit sind wir jetzt. Das eine Label fragten wir nach den Rechnungen vom Presswerk, nach Umsatzbeteiligung am Merch, da uns da einiges komisch vorkam. Die erwünschte Transparenz wurde einfach abgelehnt. Zudem handelte es sich besonders bei zwei Labels auch um enge Freunde, wie wir dachten, also um mehr als Geschäftspartner. Na ja, war offenbar doch nicht so dolle, die Freundschaft. Der letzte Satz von Mike von Mad Butcher zu mir war vor circa zehn Jahren: „Ohne mich wärt ihr gar nix.“ Wertschätzung klingt anders, besonders dann, wenn das als Argument dazu benutzt wird, uns gegenüber keine Rechenschaft über Umsätze mit unserer Kreativität, von der ein Label ja letztendlich abhängig ist, ablegen zu müssen. Dazu kommt noch die Tatsache, dass diese Art Label mit politischen Parolen Geld verdient, geschäftlich aber genauso asozial wie der Mainstream handelt. Mit Fettfleck werden wir nicht so auf die Schnauze fallen, da haben wir Vertrauen, da es LOIKAEMIE ja genauso gegangen ist, und wir ja auch nicht mehr so naiv sind. Na gut, ja, und gute Freunde sind es auch.

Der Albumtitel „We Need Each Other“ klingt sehr ... weich und warm.
Das soll tatsächlich auch so klingen. Es zermürbt zur Zeit doch sehr, dass alle nur noch auf Konfrontation aus zu sein scheinen, dass viele denken, auch auf der linken Seite, mit Klugscheißerei und Ausschluss eine bessere Welt formen zu können, dann aber in fatalistischen Trotz verfallen, weil’s nicht funktioniert, und anfangen, für die eigene Psycho-Hygiene wild um sich zu beißen. „We Need Each Other“ soll tatsächlich diesem Zeitgeist entgegenwirken. Denn am Ende gehen wir alle gemeinsam unter, dann spielt es keine Rolle mehr, wer glaubt, recht gehabt zu haben. In erster Linie habe ich da an den politischen Kampf und an die Umwelt gedacht. Die zweite Komponente des Songs ist im Text offensichtlicher. Viele meiner Freund:innen werden als Punks alt und kommen in der normalen Gesellschaft aus guten Gründen eigentlich nicht klar. Die Szene, wie es sie für älter werdende Leute gab, wird kleiner, man wird im schlimmsten Fall immer einsamer. Zudem gibt es Generationenwechsel, das heißt, die Bestätigung, die einem die Szene früher gab, verschwindet vielleicht nach und nach. Und da sollten wir uns alle besinnen, dass wir uns gegenseitig brauchen, da wir ähnliche Probleme haben, da wir ähnlich sozialisiert wurden. Generell ist es ein Aufruf zur Vernunft und zur Wahrnehmung der Realität. Um dann die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Da muss man vielleicht auch mal zugeben, dass das eine oder andere Mal „politisch voll konsequent“ auf die Kacke zu hauen eher kontraproduktiv oder sogar destruktiv sein kann, auch wenn das Richtige gemeint ist. Wir müssen alle über unseren eigenen Schatten springen. Ja, und „weich“ ist da der richtige Ausdruck. Aber selbst durch diesen Titel werden sich heutzutage einige Leute provoziert fühlen, weil es in deren Augen vielleicht „Hippiekacke“ ist. Uns egal.

Sag uns bitte in Kürze was zu diesen Songs beziehungsweise Texten: „A Clockwork Arsehole“
Das Lied bezieht sich insbesondere auf den Film „A Clockwork Orange“, soll aber allgemein kritisch ein bestimmtes Konsumverhalten innerhalb der „Szene“ ansprechen. Der Umgang innerhalb unseres Umfelds – Punk, Fußball, Skinhead – mit Alex und seinen Droogs zeigt leider ein Konsumverhalten in der ach so alternativen Szene, das wir auch im Mainstream finden: Romantisierung von Gewalt, das Nutzen starker Symbole, die scheinbar für eine starke Unabhängigkeit gegenüber der verhassten Welt stehen, und wo so angeblich der Gesellschaft punk- oder skinheadmäßig der Mittelfinger gezeigt wird. Die sich so in die Szene eingeschlichene Interpretation nutzen auch Menschen, die wir, die STAGE BOTTLES, trotzdem sehr mögen, und die natürlich weiterhin zu unserem Umfeld gehören. Dennoch möchten wir auf den unreflektierten Konsum dieser Figuren hinweisen. Alex und seine Droogs sind Vergewaltiger, Mörder, prügeln Obdachlose zusammen. Würden die in irgendeiner unserer Kneipen oder auf einem unserer Konzerte auftauchen, würde es nicht lange dauern, bis die gleichen Leute, die sich ein Poster mit den Droogs an die Wand hängen, diese Arschlöcher ganz schnell rausprügeln würden. Bestimmt sind einige genervt von dem Song, wie andere vom Gendern, aber ich finde, dass man durchaus versuchen sollte, in der subkulturell-alternativen Nische, in der wir uns bewegen und ja auch leben, doch ein bisschen dafür zu sorgen, dass es ein gewisses Niveau gibt und nicht zu früh mit dem Denken aufgehört wird.

„Useles idiots (Fuck off and die)“?
Der Text entstand, als Putin, Erdogan und Trump noch gemeinsam kräftig rumgemackert haben. Es geht natürlich auch um andere Despoten, aber auch um ignorante, selbstsüchtige Menschen wie Christian Lindner oder Friedrich Merz zum Beispiel. Diese Leute braucht kein Mensch, denn sie führen ein Leben nur zum Selbstzweck und vernichten damit auf teils grausamste Weise Existenzen. Sie haben keinerlei positiven Wert für das Zusammenleben. Ganz im Gegenteil, sie sichern sich ihre Position, indem sie immer wieder für Konflikte sorgen und Menschen verführen. Wenn diese Leute, vor allem die, die zur Zeit weltweit auf diese negative Art herausstechen, einfach weg wären, könnten wir beginnen, auf sachliche Weise eine besseres Zusammenleben im globalen Sinne aufzubauen.

„One man’s terrorist is another man’s freedomfighter“?
Zunächst vorne weg, da der Song schon ein wenig vermintes Feld betritt: Ich befürworte Mord und Totschlag als Mittel nicht. Als ich den Song geschrieben habe, war das noch nicht aktuell, aber das beste Beispiel sind die „Klimakleber“. Daraus eine kriminelle Vereinigung machen zu wollen, ist politisch motiviert und hat mit der Sache nichts zu tun. Unsere gewalttätige Gesellschaft tut immer so, als ob Gewalt ein No Go sei. Sehr bigott. Ich habe im Song den Ku-Klux-Klan beziehungsweise den Rassismus in den USA allgemein angesprochen, die Versklavung, Vertreibung von und Genozid an der indigenen Bevölkerung auf den amerikanischen Kontinenten, das Baskenland, Nordirland. Wenn sich dort Leute gewehrt haben, gab es einen Grund. Staatsterror gab es zuhauf, aber „auf dem Boden der Gesetze“. Das wird dann auch vom Mainstream, wenn es sich in gewissen dem eigenen Kulturkreisen nahen Settings abspielt, in der Regel zumindest bezüglich dieser Konflikte, nicht kritisiert. Das kriminelle Verhalten von ganzen Staaten auch mit Unterstützung von deren Bevölkerungen wird als legitim abgetan, und die, die sich am Ende mit denselben Mitteln dagegen wehren, werden kriminalisiert. Dennoch ist mir ganz wichtig: auch bezüglich terroristischer Aktivitäten – wohlgemerkt alles im historischen Kontext jetzt – gibt es Sinn und viel Unsinn. Deshalb kommt im Mittelteil des Songs auch der Satz „Never forget those who died by being victims for no reason“. Wer da dann unschuldig stirbt und wer nicht ist natürlich auch Interpretationssache und es könnte zynisch werden. Also immer Obacht. Mir ging es aber in erster Linie darum, anhand der Beispiele zu zeigen, dass die so genannten terroristischen Bewegungen dort letztendlich die Reaktion auf Staatsterror sind. Der Mainstream hier in Deutschland gedenkt ja auch dem Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime. Das ist Staatsdoktrin, zu Recht, aber das intellektuell auf ähnliche Situationen zu transferieren, das gelingt nicht oder darf nicht geschehen. Denn es geht ja auch bei scheinbar nicht so extremen Konstellationen, wie es sie im Dritten Reich gab, unter Umständen um die Beseitigung einer asozialen Existenzgrundlage einiger privilegierter Menschen auf Kosten anderer Menschen, die sich davon auch befreien wollen. Die offizielle Anerkennung von solchen Freiheitsbewegungen wie die, die ich eben nannte, könnte ja zur Folge haben, dass es den Gesetzgebenden und Meinungsbildenden selbst an den Kragen geht, womit ich jetzt erst mal nur so was Harmloses wie zum Beispiel Umverteilung, Verlust von Macht und Ansehen meine. Aber diese Umverteilung würde ja von der Privatarmee des Kapitalismus, als Teil der Aufgabe der Polizei, gewaltsam verhindert werden, also wäre vermutlich auch Gewalt nötig, um wirklich etwas zu ändern. Jeder Fingerzeig auf einen eventuellen Grund, sich aus gewissen Situationen gewaltsam befreien zu wollen, muss aus Sicht dieser Menschen verhindert werden. Da ich die Befugnisse der Polizei nur bedingt als legitim ansehe, sehe ich unsere Polizei im Ernstfall auch als terroristische Vereinigung an, mindestens jedoch als offiziell legitimierte Hooligan-Truppe. Auch hier geht es also, wie so oft, um die Bigotterie, vielleicht auch vollkommen bewusste Propaganda von den staatstragenden Personen. Ach, eins fällt mir dazu noch ein: Als der Terror durch Al Qaida und IS losging, da wurde das als Mittel genutzt, um mal ganz schnell jeden, der nicht passte, zum Terroristen zu erklären. Und ich meine damit nicht nur Islamisten. In Deutschland nicht so krass, aber in den USA und England schon massiver. Ganz zu schweigen von den ohnehin noch nicht mal im Ansatz demokratischen Staaten, aber da war das ja schon immer ein Mittel, um Leute auszuschalten.

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Diskografie
„Corruption & Murder“ (LP/CD, Mad Butcher, 1995) • „Big Kick!!“ (LP/CD, Mad Butcher, 1998) • „Keep On Fighting - Live In Hamburg“ (LP, Mad Butcher, 1999) • LOS FASTIDIOS/STAGE BOTTLES „Fetter Skinhead“ (CD, Mad Butcher/KOB, 2000) • „I’ll Live My Life“ (LP/CD, Mad Butcher/KOB/Insurgence, 2001) • „We Need A New Flag“(LP/CD, Knock Out, 2004) • „Mr. Punch“ (LP/CD, Knock Out, 2007) • „Power For Revenge“ (LP/CD, Mad Butcher/KOB/Redstar73, 2010) • „Fair Enough“ (LP/CD, Mad Butcher, 2013) • „We Need Each Other“ (LP/CD, Fettfleck/Cargo, 2023)