SECOND BANDSHIRT

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Punk-affine Hilfsorganisationen - Teil 5: Kleiderschrank ausmisten und helfen

Teil 5 unserer kleinen Reihe über Menschen aus der Punk- und Hardcore-Szene, die dazu beitragen, unsere Welt zumindest ein kleines bisschen besser zu machen. Diesmal geht es um Textilien, und zwar um solche, die seit längerer Zeit unbeachtet in Kleiderschränken lagern. Gemeint sind Bandshirts, die ihr nicht mehr tragt, weil sie zu klein geworden sind oder euch nicht mehr gefallen. Trotzdem bringt ihr es nichts übers Herz, diese stoffgewordenen Schätze der Subkultur in den Altkleidercontainer zu werfen. Für dieses Problem gibt es eine Lösung und die heißt „Second Bandshirt“. Eine Initiative, über die wir schon in der Ox-Ausgabe #133 berichtet haben. Aber weil diese Idee perfekt in unsere Aufzählung von privaten NGOs im Punkkontext passt, erklären uns die drei Vorstandsmitglieder Patrizia, Leon und Thomas, wie „Second Bandshirt“ funktioniert.

Bitte erzählt uns, wie, wo, wann und warum es zur Gründung eurer Organisation kam.

Patrizia: Das müsste im Jahr 2012 gewesen sein. Genauer im Auto auf dem Rückweg von der letzten TACKLEBERRY-Show.
Thomas: Wir drei waren nicht dabei, kennen aber den Gründungsmythos. Die damals anwesenden Personen haben wohl rumgesponnen, was sie mit ihren alten, nicht mehr getragenen Bandshirts so anstellen könnten. So kam erst die Idee für einen Flohmarkt auf, die dann aber schnell größer wurde. 2014 kam es dann zur Vereinsgründung.
Leon: Der Hauptgrund für die Idee „Second Bandshirt“ war, dass es einfach zu schade ist, Bandshirts, mit denen man eine tolle Show oder eine gute Zeit verbindet, in den Altkleidercontainer zu werfen.

Wer waren damals die Ideengeber:innen und „Köpfe“, wer ist es heute?
Leon: Die Idee und der daraus entstandene Verein hat sich in Köln gegründet, so dass auch alle Gründungsmitglieder aus Köln oder dem Umland kamen. Zwischen 2014 und 2022 wurde alles rund um die Verwaltung des Vereins – Vorstand, Notariat, Mitgliederverwaltung – konstant aus Köln und beinah so konstant von den gleichen Köpfen organisiert. Danke an dieser Stelle für euren Einsatz. Aufgrund von schwindenden Kapazitäten in Köln und neuen, mitgliederstarken und motivierten Ortsgruppen ist der Verein heute etwas dezentraler organisiert. Aber schon immer galt, dass der Verein durch die aktiven Mitglieder geprägt wird.
Thomas: Nicht mehr alle von damals sind aktiv, aber einige sind tatsächlich schon neun Jahre dabei.

Welche Ziele habt ihr euch gesetzt? Was wollt ihr erreichen?
Thomas: Da kommen verschiedene Ebenen zusammen. Wir wollen coole emanzipatorische Projekte und Initiativen finanziell supporten, uns mit Personen und Strukturen aus dem Musik- und DIY-Bereich vernetzen und bei der ganzen Sache den Nachhaltigkeitsgedanken nicht außer Acht lassen.
Patrizia: Und Spaß soll das Ganze natürlich auch machen.
Leon: Neben den angesprochenen Zielen finde ich die vereinsinterne Vernetzung einen wichtigen Nebeneffekt. Wir alle haben einen politischen Minimalkonsens und interessieren uns für Musik, so dass das eine super Basis zum Kennenlernen und sich besuchen ist. Dadurch ist „Second Bandshirt“ ein recht persönlicher Verein, so nehme ich das zumindest wahr.

Welche wichtigen Aktionen und Erfolge gab es in der jüngeren Vergangenheit?
Patrizia: Unser größter Erfolg ist es, wenn möglichst viel Geld für unsere unterschiedlichen Spendenzwecke zusammenkommt. Im letzten Jahr waren das insgesamt rund 10.000 Euro.
Thomas: Schön ist auch, dass sich in letzter Zeit neue Ortsgruppen in Bremen, Kiel und Bamberg gegründet haben.
Leon: Außerdem sind wir gerade dabei, unseren Onlineshop wieder an den Start zu bringen. Seit der Corona-Pandemie werden wir immer wieder gefragt, wann es so weit ist. Zum Verständnis, warum der Onlineshop so lange offline war: Erst wollten wir aufgrund von Corona die Kontakte so gering wie möglich halten und haben uns deshalb entschieden, offline zu gehen. Dann haben wir die Chance genutzt und die Homepage und den Shop neu aufsetzen lassen. Dann musste das Shop-Lager von Köln nach Berlin ziehen und dort erst mal eine „Infrastruktur“ für das Lagern und Versenden geschaffen werden. Nun sind wir kurz davor, wieder online zu gehen.

Mit welchen Risiken ist euer Engagement verbunden? Seid ihr Anfeindungen ausgesetzt, werdet ihr kriminalisiert?
Thomas: Bisher hatten wir das Glück, uns in sehr wohlwollenden Strukturen zu bewegen, daher gab es noch keine Übergriffe auf uns.
Patrizia: Der Großteil der Leute freut sich eher, uns zu sehen.
Leon: Dem schließe ich mich an. Lediglich auf Festivals hatte ich in Bremen und Oldenburg ein- oder zweimal die Situation, dass betrunkene Besucher in AfD-Rhetorik mit uns diskutieren wollten. Solche Leute werden mit einem „Verpiss dich“ vom Stand verwiesen!

Wie viele ehrenamtliche und hauptberufliche Mitarbeitende habt ihr?
Thomas: Wir arbeiten alle zu 100% ehrenamtlich.
Patrizia: Wir sind als Verein organisiert, das bedeutet, bei uns gibt es einen Vorstand, das sind wir drei, und einen Beirat mit acht Personen. Außerdem gibt es mittlerweile 15 Ortsgruppen, in denen Menschen für „Second Bandshirt“ aktiv sind und sich einbringen.

Wo ist der Sitz oder die Zentrale eurer Organisation?
Thomas: Der Vereinssitz befindet sich seit diesem Jahr in Oldenburg, davor war er in Köln. Eine Zentrale oder irgendwelche Büroräume haben wir allerdings nicht.
Patrizia: Unsere Ortsgruppen organisieren sich weitestgehend autonom.

Wie viele Mitglieder oder Unterstützer:innen habt ihr? Beschreibt doch mal die „typischen“ Unterstützer:innen.
Patrizia: Der Verein hat aktuell etwa fünfzig Mitglieder. Ansonsten ist unsere „Minimalanforderung“, dass die Person etwas mit Musik anfangen kann. Manche haben Bock auf Gespräche am Verkaufsstand, einige nerden gerne bei der Recherche – ein nicht unerheblicher Teil unserer Arbeit –, wieder andere gestalten gerne Strukturen oder toben sich bei Social Media aus.
Thomas: Idealerweise schließen unsere Unterstützer:innen eine Vereinsmitgliedschaft ab, damit wir mit den Mitgliedsbeiträgen laufende Kosten decken können. Eine Mitgliedschaft kostet aktuell übrigens 12 Euro im Jahr.
Leon: Über neue Mitglieder freuen wir uns immer. Fühlt euch angesprochen.

Was könnt ihr leisten, was eine staatliche oder konfessionelle Organisation nicht kann?
Patrizia: In unserer Vereinssatzung haben wir unser Selbstverständnis formuliert, darin distanzieren wir uns klar von rechtsradikalen politischen Positionen und bieten keinen Platz für Faschismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Sexismus, Homo- und Transfeindlichkeit, Ableismus und religiösen Fanatismus jeglicher Art.

Welche konkrete Arbeit leistet eure Organisation? Also was genau macht ihr? Und mit wem arbeitet ihr dabei zusammen? In welchen Ländern oder Regionen seid ihr aktiv?
Thomas: Wir sammeln gespendete Bandshirts und verkaufen diese auf Konzerten, Festivals und Märkten weiter. Alle dadurch erzielten Einnahmen spenden wir wiederum zu 100% weiter an gemeinnützige Initiativen. Die Shirtspenden kommen von allen möglichen Personen, aber teilweise auch direkt von Bands oder Labels.
Patrizia: Dazu haben wir in verschiedenen Orten sogar Spendenkisten aufgestellt, in denen die Shirts einfach abgegeben werden können. Zum Beispiel im Bis aufs Messer-Recordstore in Berlin, bei Monochrom Records in Bamberg, im Vélo 54 in Hamburg oder im Black Heaven Skateshop in Münster. Eine Übersicht mit allen Annahmestellen gibt es auf unserer Homepage.
Thomas: Ansonsten bleibt auch noch der Postweg oder wir holen die Spenden persönlich ab, wenn möglich. Gelegentlich bekommen wir auch Shirtspenden direkt am Verkaufsstand überreicht. Wir verkaufen übrigens nicht alle Shirts, die uns gespendet werden. Wir recherchieren im Vorfeld alle Bands, um auszuschließen, dass sie unserem Selbstverständnis widersprechen.
Leon: Neben den Läden, die uns unsere Kisten aufstellen lassen, sind wir auch auf Veranstaltende von Konzerten, Märkten und Venues angewiesen, die uns meistens kostenlos einen Stand aufbauen lassen. An dieser Stelle ein großes Dankeschön an alle!
Patrizia: Bisher sind wir nur deutschlandweit aktiv, eine Übersicht mit allen Ortsgruppen findet sich auf unserer Homepage.

Wofür verwendet ihr das Geld, das euch gespendet wird? Und habt ihr so was wie ein Spendensiegel, wie wird gewährleistet, dass mit den Spenden satzungsgemäß umgegangen wird?
Patrizia: Im Jahr 2022 konnten wir knapp 10.000 Euro an insgesamt sieben Initiativen auszahlen: Trans* Recht e.V. in Bremen, VVN-BdA in Hamburg, Rechtshilfefonds der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt in Berlin, das Frauenhaus in Olpe, No Nation Truck in Berlin, Clubkinder e.V. in Hamburg und das Straßenmagazin draußen! in Münster.
Leon: Bei der Wahl der Initiativen achten wir immer darauf, dass die Ortsgruppen für einen lokalen Zweck sammeln, und über den Onlineshop werden wir deutschlandweite Initiativen oder die in Ecken des Landes, in denen wir noch keine Ortsgruppen haben, unterstützen.
Thomas: Ein Spendensiegel haben wir nicht. Einmal im Jahr findet unsere Mitgliederversammlung statt, bei der wir Rechenschaft über alle unsere Einnahmen und Ausgaben ablegen. Und da wir nun mal ein Verein sind, kommen wir auch an solch spannenden Themen wie der jährlichen Steuererklärung nicht vorbei. Alle Spendenübergaben machen wir zudem öffentlich bei Social Media.
Leon: Dann gibt es immer ein Foto von Mitgliedern des Spendenzwecks und uns mit großem Spendenscheck. Das ist immer ein schöner Abschluss, wenn wir dem Spendenzweck das Geld symbolisch überreichen und noch mal einen Einblick in deren Tätigkeiten bekommen können.

Wie kann man euch unterstützen? Nur mit einer Spende oder auch mit aktiver Mitarbeit?
Patrizia: Beides finden wir super. Es gibt so vielfältige Aufgaben bei uns, dass für jede Person etwas Passendes dabei sein sollte. Jede Ortsgruppe freut sich über neue Gesichter. Wie schon gesagt brauchen wir immer Leute, die Stände machen und organisieren, Bands recherchieren, Vereinsstrukturen mitgestalten, Lagerflächen für Shirts bereitstellen oder einfach neue Ideen mit einbringen und unseren Verein bereichern.
Thomas: Wer Bock hat, sich einzubringen, kann uns gerne eine Mail an info@secondbandshirt.com schicken, uns über Insta oder Facebook anschreiben oder direkt am Stand ansprechen. Uns ist es wichtig, dass sich alle Leute, egal, wie sie sich bei uns engagieren möchten, auch Mitglied im Verein werden. Damit möchten wir sichergehen, dass unser Selbstverständnis auch gelebt wird und wir uns gegenseitig intern unterstützen können. Und klar, am Ende zählt auch jeder Euro für unsere Vereinskasse.
Leon: Und mit euren ausrangierten Shirts – by the way: wir nehmen auch Hoodies, Sporthosen, Mützen, also kurz gesagt alle Formen von textilem Bandmerch an – haltet ihr den Verein natürlich auch weiter am Leben.

Habt ihr prominente Fürsprecher:innen aus dem Musik- und Kulturbereich? Wer ist das und warum passen die zu euch?
Thomas: Gelegentlich kommt es vor, dass uns Shirts von bekannteren Bands oder größeren Labels gespendet werden oder wir auch zum Beispiel von größeren Festivals angefragt werden. Darüber freuen wir uns natürlich sehr. Eure Interviewanfrage fällt für uns klar auch in diese Kategorie. Auch dafür vielen Dank.