Punk bedeutet Widerstand und angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat auch die Punk-Bewegung wieder deutlich an Bedeutung gewonnen. Zugleich nimmt die Repression des russischen Staats gegenüber der eigenen Bevölkerung immer weiter zu. Dennoch wagte es die russische Punkband NAÏVE bei einem Konzert in Moskau auf nicht zu übersehende Weise Kritik zu üben.
Wie riskant so was sein kann, zeigte erst kürzlich wieder das russische Punk- und Kunstkollektiv PUSSY RIOT, das bereits in der Vergangenheit mit Protestaktionen gegen Putin aufgefallen war und dafür teils schwere Strafen kassiert hat. Dennoch haben sie sich dadurch nicht einschüchtern lassen, so dass Frontfrau Nadya Tolokonnikova auf die russische „Most Wanted“-Liste gesetzt wurde, wodurch sie als eine der gefährlichsten Kriminellen Russlands gilt. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie Russland mit Regierungskritikern und im weiteren Sinne mit Punks umgeht.
Eine der dienstältesten, beliebtesten und kommerziell erfolgreichsten Punkbands in Russland sind NAÏVE. Sie wurde 1988 von den beiden Armee-Rekruten Max Kotchetkov (bs) und Sasha Ivanov (voc) gegründet. 1991 veröffentlichten sie ihr Debütalbum, das via Maximum RocknRoll-Fanzine sogar in den USA erschien. Sie erhielten schnell mehr Aufmerksamkeit und das nationale russische Fernsehen bezeichnete sie mal als „most disgusting band of the year“. Aufgrund ihrer anti-kommunistischen Haltung und einem Kurzauftritt vor dem russischen Parlament wurde ihnen länger die Ausreisegenehmigung verweigert. Erst 1993 durften sie auf Europatour gehen.
Dieses Jahr feiern NAÏVE ihr 35. Bestehen und der Band wurde es überraschend gestattet, in Moskau aufzutreten, nachdem Anfang des Jahres die Konzerte ihrer Jubiläumstour abgesagt worden waren. Darin sah Sänger Sasha Ivanov die Chance, den Fans eine wichtige Botschaft mitzugeben. Bei dem Auftritt trug der Frontmann ein Shirt mit dem Aufdruck „Masha Moskaleva“, um auf den Fall eines 13-jährigen Mädchens namens Maria Moskaljow aufmerksam zu machen, der in Russland für viel Aufsehen gesorgt hatte. Im Kunstunterricht hatte Maria ein Bild gemalt, das eindeutig die russische Invasion in der Ukraine anklagte, was dazu führte, dass die Schulleiterin die Polizei rief. Diese nahm den alleinerziehenden Vater des Mädchens genauer unter die Lupe und fand heraus, dass er sich bei Social Media ebenfalls kritisch gegenüber dem Krieg geäußert hatte. Er wurde daraufhin zu zwei Jahren Haft verurteilt, Masha kam zeitweise ins Heim.
Sasha Ivanov erklärte in seiner Ansage, dass sei ein Fall, der ihn irgendwie nicht mehr loslasse, und forderte die NAÏVE-Fans auf, einfach den Namen zu googlen. Die Antwort des Publikums war eindeutig, es skandierte: „Fuck the war!“. Inzwischen konnte der erklärte Anarchist, Pazifist und Feminist Ivanov Russland verlassen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #170 Oktober/November 2023 und Isabel Ferreira de Castro