NASTY

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Anders als gedacht

Es gibt Dinge im Leben eines Journalisten, die kann man kaum in Worte fassen. So wie das Interviewen von Szenegrößen, wo man eingeschüchtert seine Fragen stammelt, weil man einfach wieder Fan ist. Oder wenn man mit dem Frontmann einer der härtesten Hardcore-Bands der Welt durch Dortmund fährt und dabei von der brandaktuellen Scheibe förmlich aus dem Auto geblasen wird. Bei dieser Höllenfahrt agiert Matthi Tarhath nicht nur wie auf der Bühne, indem er Breakdowns oder Rhythmuswechsel der Songs von „Menace“ gestenreich einleitet, sondern präsentiert sich auch als bestens aufgelegter Gesprächspartner.

Matthi, vor kurzem ist „Ultimate“ als Vorab-Single zum neuen Album „Menace“ erschienen. Klär uns kurz über den Song auf.

„Ultimate“ ist einfach ein Song, der sich damit auseinandersetzt, dass man sein Ding durchziehen soll und eben auch Opfer bringen muss, auch wenn es mal hart auf hart kommt. Gib immer Gas, versuche, das Maximale zu erreichen. Steh einfach gerade, auch wenn es mal nicht so läuft, wie du es dir vorstellst. Natürlich klingt die Message immer ein wenig abgedroschen, aber sie hat in der heutigen Zeit wieder sehr an Bedeutung gewonnen.

Was meinst du damit genau?
Na ja, wenn du als selbstständiger Künstler von jetzt auf gleich keine Einnahmen mehr verbuchen kannst, sieht es mal richtig mau aus. Meine Freundin und ich sind mittlerweile seit fast zwei Jahren Eltern und selbstständig. Wenn beide Einkommen Corona-bedingt ausfallen, ist guter Rat teuer. Früher, als ich noch alleine war, musste ich nur mein Leben auf die Kette bekommen, und ich habe viele Zeiten gehabt, in denen ich mehr oder weniger von der Hand in den Mund gelebt habe. Als ich meine zweite Ausbildung zum Masseur gemacht habe, musste ich diese zum einen finanzieren, hatte aber zum anderen noch zu Hause Kost- und Wohngeld abzugeben. Da hatte ich im Monat keine 150 Euro zum Leben und bin schwarz mit der Bahn zur Arbeit gefahren oder getrampt. Dazu kamen dann noch Lehrgänge, die auch was gekostet haben. Zum Glück war ich im Pokerspielen ganz gut.

Wie bitte? Hast du deinen Lebensunterhalt mit Pokern bestritten?
Zum Teil schon. Damals bin ich in einigen einschlägigen Cafés unterwegs gewesen, wo in den Hinterzimmern ordentlich gezockt wurde. Natürlich hab ich auch einige Male verloren, aber meistens bin ich mit ein paar Euros da raus. Auch mein eigenes Klamottenlabel Matar Athletics stellte ich mit Geld auf die Beine, das ich beim Pokern gewann. Die Versandabteilung war damals in der Küche meiner 24 qm großen Wohnung. Da kam man, weil alles mit Kartons vollgestellt war, nur durch einen kleinen Spalt rein und die Tür konnte man auch nicht richtig zumachen. Zeitweise hat auch noch ein Kumpel von mir da gepennt, der Stress mit seinen Eltern hatte. Er hat dann abends zwei Kartons weggeschoben und seine Isomatte da hingelegt. Das war damals Standard. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Nebenjobs ich dazu noch gemacht habe, um über die Runden zu kommen. Aber wenn die Corona-Sache noch länger weitergeht, muss ich wieder dahin zurück. Ich habe jetzt Verantwortung meiner Familie gegenüber – wenn es also richtig eng wird, brate ich Burger oder schleppe Getränkekisten für den Unterhalt. So wie alle anderen in der Band übrigens auch. Und da strampelst du dich jahrelang ab, lebst quasi immer kurz vor dem finanziellen Ruin und wenn es dann mal gut läuft, werfen dir die Leute „Sellout“ vor.

Wie kommt man darauf, euch so etwas vorzuwerfen?
Als ich meine Freundin vor etlichen Jahren kennen lernte, wohnte sie bereits in Dortmund, ich aber noch in Aachen. Da ich kaum Kohle hatte, bin ich zu ihr auch meist per Zug schwarz gefahren oder bin getrampt. Als dann NASTY etwas in der Szene ankamen und wir zum Teil richtiges Geld für unsere Shows bekamen, habe ich mir für 1.150 Euro einen in die Jahre gekommenen Dreier-BMW gekauft. Der war total abgeranzt und an der Seite nach einem Unfall auch mehr oder weniger semiprofessionell geflickt. Hey, ich hatte damals schon seit zwölf Jahren kein Auto mehr, konnte mir vorher aber einfach keine Karre leisten, und ich war richtig stolz. Und dann haben wir kurze Zeit später ein Bandfoto gemacht, wo der auch mit drauf war. Und dann ging’s in den Social Media richtig ab: „Sellout“, „Mach dir das Anarchia-Tatoo weg“ oder „‚Slaves to the rich‘ singen, aber BMW fahren“. Das gibt einem dann doch schon mal zu denken. Leute, die behaupten, deine Band zu feiern und zu unterstützen, die dir aber nicht mal eine Schrottkarre gönnen. Wir haben in der Vergangenheit in dieser Hinsicht sehr, sehr positive Erfahrungen gemacht, aber auch das krasse Gegenteil erlebt. Der Song „Betrayer“ von der neuen Platte handelt übrigens genau davon. Hier geht es auch um solche Geschichten, und wer hinter dir steht, wenn es hart auf hart kommt. Bei NASTY haben wir ja nie ein Blatt vor den Mund genommen, wenn uns Sachen angepisst haben. Tatsache ist auf jeden Fall, dass es als Künstler – auch vor Corona – echt harter Grind ist, von seiner Kultur zu leben. Im Übrigen hab ich da einen kleinen Tipp für die Ox-Leserinnen und -Leser: Checkt doch mal den Podcast „True Love“ von Rob von BORN FROM PAIN. In der ersten Folge hat er mich eingeladen und wir quatschen über viele interessante Sachen, etwa über das harte Leben auf Tour.

Würdest du dich also als ehrgeizig bezeichnen?
Bei Sachen, die mich interessieren oder mir wichtig sind, schon. Das sind natürlich meine Familie, meine Band und viele Sachen, die ich noch so mache. Eben habe ich Matar Athletics erwähnt, meine eigene Klamottenmarke. Auch da habe ich zuerst T-Shirt-Rohlinge bearbeitet, ohne richtig Ahnung von Versand oder Promotion zu haben. Das kam alles nach und nach, genau wie bei NASTY. Wir haben früher in Eupen einen alten Schlachthof umgebaut, wo wir die ersten Shows haben stattfinden lassen. Da haben wir eine eigene kleine Bühne und Bar in einer Scheune gebastelt. Das waren auch krasse Zeiten, die aber ungemein geprägt haben. Shoutout an 4700 Eastside HC!

Welche Themen habt ihr auf „Menace“ vor allem verarbeitet?
Den Wahnsinn der Welt, der gefährlichen Einfluss auf einen nimmt und unter Umständen dich zu einer Gefahr für deine Umwelt macht. Etwa die Hälfte der Songs waren schon vor dem Lockdown fertig und wir waren mitten im Songwritingprozess, als alles dichtgemacht wurde. Wir durften nicht mehr ins Studio und mussten andere Möglichkeiten wie Skype-Konferenzen oder Gruppen-Chats nutzen, um weiter zu arbeiten. Als wir dann wieder einzeln wieder ins Studio konnten, haben wir das Album dann Stück für Stück fertig gemacht. Vielleicht hat der Lockdown auch dazu geführt, dass „Menace“ die in meinen Augen härteste und dunkelste NASTY-Platte ever geworden ist. Den Text zu „Bloodcrop“ zum Beispiel habe ich unmittelbar nach einer „Krisensitzung“ mit meiner besseren Hälfte geschrieben. Ihr Catering-Service wurde mit dem Verbot von Konzerten sozusagen auf Null gesetzt. Auch hatten wir eine Skype-Konferenz mit der kompletten Band, um alternative Jobs oder Einkommen zu diskutieren. So hat Paddy jetzt einen Twitch-Kanal gestartet und Nash hilft auf dem Bau. Das Schreiben und Aufnehmen des Albums hatte für uns alle eine immense Ventilfunktion.

Ihr seid mit NASTY wirklich viel herumgekommen. Was waren besondere Momente? Lass uns ein bisschen teilhaben ...
Mit NASTY spielen wir seit 15 Jahren Konzerte. Wir haben in den kleinsten Klitschen und abgeranztesten Buden gespielt, aber auch irre Sachen gesehen. Zum Beispiel waren wir zusammen in Tokio und ich hab nur gedacht: Wie leise ist das denn hier? Da stehst du in einer der größten Städte der Welt und man hört im Straßenverkehr keine Hupe oder so. Völlig irre, wie anders die Kultur dort geprägt ist. Die nehmen ihre Emotionen einfach mit oder lassen die anders raus. Ganz anders als in China. Da steigt man aus dem Taxi und sieht als Erstes, wie der Taxifahrer volles Mett auf die Straße rotzt und gehupt wird auf Dauerfeuer. Es ist generell nach wie vor unreal für uns, diese Orte bereisen und bespielen zu können. Und natürlich die Kulturen kennen zu lernen, sowie sich auszutauschen. Ich denke, so etwas bildet sehr und öffnet einem Horizonte, an die man sonst nie herangekommen wäre. Das Tourleben ist oft hart und unbequem, gerade wenn man in wirtschaftlich ärmeren Ländern unterwegs ist. Aber genau dies sind oft die prägendsten Erfahrungen, die einem aufzeigen, worum es wirklich geht.