"Es klingt so wild und dunkel, ja, es klingt nach Zauberei. Drei U's auf engstem Raum - ich denke oft an Uruguay." Wie der hier zitierte Funny van Dannen hege auch ich eine Sympathie für Uruguay, die sich nur auf wenig handfestes Wissen über das Land stützen kann. Eine große Rolle spielt hier sicher die Musik, und spricht man über Musik aus Uruguay, führt kaum ein Weg an LA VELA PUERCA vorbei. Für den Status, den LA VELA PUERCA unter uruguayischen Rock-Fans haben, findet sich hierzulande keine Entsprechung; da kommen auch nicht DIE ÄRZTE ran, die schon als Vorband für LA VELA PUERCA spielen durften und vice versa. Stilistisch lässt sich die Band schwer einordnen, da sie alle nahezu alle Möglichkeiten nutzt, die lateinamerikanische Sozialisation, musikalische Wandlungsfähigkeit und eine tüchtige Bläsersektion so bieten. Zum Interviewtermin erscheine ich bewaffnet mit einem Ox. Sebastián Teysera, der Frontmann der Band, legt seine Lektüre beiseite, nimmt mir das Heft aus der Hand und beginnt interessiert darin zu blättern.
... ah, COMEBACK KID!
Treffen die deinen Geschmack?
Ja, "Wake The Dead"! BALZAC, die sind auch bei unserer Booking-Agentur Rocky Beach Club. Oh, und TURBONEGRO, mit denen haben wir letztes Jahr hier in Deutschland auf einem Festival gespielt. Das sind sehr coole Jungs, nur etwas durchgeknallt.
Ihr habt eine neue Platte dabei ...
Ja, wir nehmen immer ziemlich genau alle drei Jahre ein neues Album auf. Im Gegensatz zu allen vorherigen Platten, hatten wir diesmal aber nicht mehr Gustavo Santaolalla als Produzent. Gustavo Santaolalla ist immer sehr gefragt und beschäftigt, schließlich hat er zwei Oscars für "Babel" und "Brokeback Mountain" bekommen. Wir haben uns einen jüngeren Produzenten ausgesucht, um mehr Einfluss und eine etwas lockerere Atmosphäre zu haben. Santaolalla lebt ja auch in Los Angeles, unser neuer Produzent dagegen in unserer Heimatstadt Montevideo. Musikalisch ist auch einiges anders geworden. Unser allererstes Album war sehr fröhlich, tanzbar und stark geprägt von Ska und Reggae. Später haben wir uns dann nicht mehr auf einzelne Stile beschränkt. Wir sind keine Band, die sich einer bestimmten Musikrichtung verpflichtet fühlt, für uns zählen die einzelnen Songs. Das aktuelle Album ist ziemlich nachdenklich und düster. Diesmal spielen auch die Gitarren die Hauptrolle, wogegen die Bläser etwas in den Hintergrund gerückt sind.
Hängt es mit eurer persönlichen Stimmung zusammen, dass die Platte weniger fröhliche Songs enthält?
Ich weiß nicht genau, es ist einfach so passiert. Eigentlich hatten wir eine sehr schöne Zeit und viel Spaß am Touren. Aber vielleicht braucht man ja gerade dann einen Ausgleich durch nachdenkliche Songs, um die Balance zu halten.
Was für Musik kommt denn in Uruguay gerade besonders gut an?
Schwer zu sagen. Es gibt eine Menge populäre Bands aus unterschiedlichen Stilrichtungen. Uruguay hat drei Millionen Einwohner, und eine Million davon lebt in der Hauptstadt. Es sind also gar nicht so viele, und die verschiedenen Bands müssen sich das Publikum teilen. Am populärsten dürfte aber Punk sein, na, sagen wir Pop-Punk. In Uruguay gab es von 1973 bis 1985 eine Militärdiktatur und in dieser Zeit war jegliche Form von Rockmusik verboten. Erst danach entstanden wieder Rockbands, die fast alle sehr dunkle Musik gespielt haben. Dark Wave à la CURE und JOY DIVISON und Weltuntergangsstimmung waren angesagt.
Konntest du dich damals mit dieser Musik identifizieren? Ist euer aktuelles Album dann vielleicht sogar ein Rückgriff auf diese Zeit?
Ja, ich mochte diese Art von Musik damals sehr. Vielleicht kann man das tatsächlich so sehen, dass wir uns dem wieder ein wenig angenähert haben. Als wir mit der Band 1995 angefangen haben, war das allerdings genau das, wovon wir uns abgrenzen wollten. Das ist der Grund, warum wir Ska gespielt haben, nämlich um den Leuten mal etwas anderes zu bieten und sie ein wenig aufzumuntern. Außerdem beherrschten wir alle unsere Instrumente nicht besonders gut und Ska ist relativ einfach zu spielen.
Ihr habt ausschließlich spanische Texte. Ist es nicht ein seltsames Gefühl, wenn du über etwas singst, das dir viel bedeutet, und dir dann plötzlich wieder einfällt, dass du in Deutschland bist und die meisten gar nicht verstehen, was du eigentlich ausdrücken willst?
Doch, das gehört zum Surrealsten, was dir als Musiker passieren kann. Aber die Songs sprechen ja auch für sich selbst. Bevor wir das erste Mal hier waren, haben wir uns viele Gedanken darüber gemacht, ob die Leute verstehen, was wir machen, ob sie nicht sehr zurückhaltend sein würden und dergleichen. Das genaue Gegenteil war dann der Fall: Die Leute haben uns gesehen, gemerkt, dass wir Spaß auf der Bühne haben, und waren schnell genauso fröhlich bei der Sache wie wir. In Uruguay sind die Leute sehr viel kritischer. Es kommt da kaum vor, dass jemand schon beim ersten Auftritt, den er von einer Band sieht, aus sich raus geht. Mittlerweile ist das ist jetzt schon unser siebter Besuch in Deutschland.
Wie ist das denn, wenn ihr in Spanien spielt?
Spanien ist ein seltsames Pflaster für uns. Unser Publikum in Spanien besteht hauptsächlich aus dort lebenden Argentiniern und Uruguayern, von denen es eine Menge gibt. Als wir das letzte Mal in Barcelona waren, haben wir vor ausverkauftem Haus und tausend Leuten gespielt, während draußen noch dreihundert weitere nicht mehr hinein konnten. Allerdings waren darunter kaum Spanier. Wir haben eine Tour in Spanien als Vorband der recht bekannten MAREA gespielt. Die Spanier haben sich unseren Auftritt gelassen angeschaut und zwischen den Songs höflich geklatscht, immerhin ... Seltsamerweise ist die neue Platte auch die erste, die in Spanien überhaupt veröffentlicht wird, aber frag mich nicht, warum.
Ich habe mal gelesen, dass Uruguay im Vergleich zu anderen südamerikanischen Ländern nicht sehr religiös geprägt ist. Kannst du mir sagen, weshalb?
Das stimmt, aber ich weiß auch nicht genau, warum das so ist. Es gibt auch eine strikte Trennung zwischen Staat und Kirche in Uruguay. Offiziell sind die meisten Leute katholisch, aber eigentlich scheißen sie drauf. Ich persönlich war noch nie in der Kirche.
Gibt es viele Bands, die von euch beeinflusst sind?
Ja, ich glaube schon, dass unsere Art verschiedene Stile zu mischen einen gewissen Einfluss auf viele jüngere Bands ausgeübt hat. Außerdem waren wir die erste Band aus Uruguay, die es geschafft hat, ihre Musik zum Beruf zu machen. Mittlerweile gibt es mit NO TE VA GUSTAR eine zweite Band, die von ihrer Musik leben kann. NO TE VA GUSTAR sind sogar noch ein bisschen erfolgreicher als wir. Die ganzen jungen Mädchen stehen auf NO TE VA GUSTAR, wir sind ein wenig rauher als die. Aber wir sind gut befreundet, teilen uns auch den Großteil des Publikums und sprechen immer ab, wann wir spielen, damit es keine Überschneidungen gibt.
Gibt es noch andere Bands, die du empfehlen kannst?
Ja, es gibt wahnsinnig viele gute Bands in Uruguay. Du brauchst nur einen Stein umzudrehen und du findest eine Band darunter. Da wären zum Beispiel ONCE TIROS, die ein wenig klingen wie wir früher, also nach einer Mischung aus Ska, Reggae und etwas Rock. Außerdem gibt es eine sehr interessante Band namens BUFÓN, die so etwas wie tanzbaren Metal spielen. Eine seltsame Mischung, die aber gut funktioniert, und ich mag ihre ironischen Texte sehr.
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