Im Mai hat Fat Mike als Cokie The Clown auf seinem Fat Wreck-Label das Album „You’re Welcome“ veröffentlicht und sich dabei komplett nackt gemacht. Nicht physisch, sondern psychisch. Keine Clownereien werden geboten, sondern ein Seelenstriptease, bei dem einem höchstens vor Hilflosigkeit angesichts der offenbarten Abgründe ein Lacher entfährt. Ich traf Mike vor dem NOFX-Auftritt in Köln im Rahmen des von ihm kuratierten und erfundenen Punk in Drublic Festivals. Zu Beginn unserer Gesprächs frage ich ihn, ob in dem Plastikbecher mit Eis vor ihm Wasser sei oder Wodka, worauf er nur „Bottle of vodka!“ durch den Raum ruft und ihm eine solche von Tourmanager Steve gebracht wird. Ich bleibe bei Bier.
Mike, wie geht es dir?
Ganz ordentlich. Ziemlich beschäftigt. Stecke gerade in einer kleinen Depression, Scheidung und so. Ich schlage mich so durch den Tag. Bisschen drogenabhängig.
Du hast mehr Erfolg als ich, mehr Geld – tauschen möchte ich mit dir dennoch nicht, wenn ich mir das Cokie-Album so anhöre.
Hm ... mit dem Erfolg kommt eine Menge Verantwortung und in meinem Fall auch viel Hass. Es ist hart, sich durch das Internet zu klicken, wenn einem so viel Hass entgegenschlägt und man Todesdrohungen bekommt. Nach Vegas kam das. [Am 01.10.2017 wurden in Las Vegas bei einem Country-Festival von einem Attentäter 57 Menschen erschossen. Mike kommentierte das bei einem Konzert in Las Vegas am 30.05.2018 mit den Worten „You know, that sucked, but least they were country fans and not punk rock fans“, nachdem Drummer Eric mit „I guess you only get shot in Vegas if you’re in a country band“ vorgelegt hatte. Der Hauptsponsor, eine Brauerei, entzog daraufhin dem Punk in Drublic Festival seine Unterstützung.]
Warum?
Weil die Leute Idioten sind. Ich habe doch niemanden umgebracht. Ich habe nur einen taktlosen Witz darüber gemacht. So fuckin’ what? Wenn ich eine Idee habe, denke ich normalerweise darüber nach. Ich habe viele Ideen, ich habe gerade das neue Album zu meinem Musical aufgenommen und mir fiel auf, dass ich dafür 188 Songs habe. Meine Tochter hat bei ein paar davon gesungen, sie ist wundervoll. Sie ist jetzt 14. Danach habe ich das Cokie The Clown-Album aufgenommen, wir haben zehn ME FIRST & THE GIMMIE GIMMIE-Songs aufgenommen und auch noch 24 NOFX-Songs. Das alles in den letzten sechs Monaten. Ich war und bin also ständig im Studio. Ich musste das Cokie The Clown-Album einfach jetzt rausbringen, ich war da schon ein Jahr lang dran. Und ein neues NOFX-Album brauchten wir auch. Zudem hatte ich auch noch mein iPhone verloren mit all meinen Sprachmemos, die ich über ewig lange Zeit aufgenommen hatte – Ideen für Songs. Ich habe dann danach gesucht und festgestellt, dass die Sprachmemos alle noch da waren, online, 1.600! Plötzlich hatte ich 15 neue NOFX-Songs, die ich schon wieder vergessen hatte. Spät nachts schnappe ich mir meine Gitarre, singe dazu, nehme das auf. Ich hatte nicht mal gemerkt, dass diese Audiodateien weg waren. Es kostete mich zwölf Stunden, mich da durchzuhören und zu entscheiden, was davon mir noch gefällt. Die neue NOFX-Scheibe ist gut geworden. Jason Livermore, der es gemixt hat, bezeichnete es als sein liebstes NOFX-Album. Und: Kein Song klingt wie ein NOFX-Song. Klar, das klingt alles nach Punk, aber man kann es eben nicht an einem Lied festmachen, außer an dem, das wir „Linewlium“ genannt haben. Ja, ich habe eine neue Version von „Linoleum“ geschrieben. Die Leute werden das zuerst hassen und dann lieben. Wir werden das alte „Linoleum“ in Rente schicken, das neue ist aber ganz schön anders. Die Reaktionen der Leute, die das bisher gehört haben, waren immer: „Whaaaaat?“
Keine neue Reaktion in Bezug auf dein Verhalten generell ...
Das stimmt. Bei dem Song wird es zunächst ein „Uhhh ....!“ sein, und am Schluss: „That was so fucking cool.“
Deine Tochter ist jetzt 14, da fängt man doch mal an, sich mit dem künstlerischen Output des Vaters zu beschäftigen. Wie erklärst du ihr „Cokie The Clown“?
Wie sollte ich ihr das NOFX-Buch erklären, das damit anfängt, wie ich Pisse trinke? Ich habe ihr gesagt, sie kann das Buch lesen, wenn sie 18 ist, aber das wird sie nicht tun. Hättest du so was mit 14 über deine Eltern lesen wollen? Ich glaube nicht.
Na ja, wenn ich mir überlege, was für Filme und Songtexte viele von uns als Punk-Teenager gesehen und gelesen haben ...
Nein! Du willst deine Eltern nicht beim Sex sehen und auch nicht darüber lesen.
Nun, aber wenn sie es nicht liest, lesen es ihre Freundinnen und Freunde ...
Das ist ein Problem, ja. El Hefe wollte deshalb nicht darüber schreiben, wie er Drogen verkauft hat, und Eric Melvin nicht über seine Missbrauchserfahrung. So was muss man sonst irgendwann seinen Kindern erklären. Meine Tochter fragte mich mal, ob ich polyamorös veranlagt sei. Ich antworte: Hm, nein, irgendwie. Ich habe Sex mit verschiedenen Leuten. Ich wollte wissen, woher sie wisse, was polyamorös sei, und sie antwortete, das wisse sie gar nicht, sie habe das Wort nur gelesen und mich deshalb gefragt. Pah, die hat mich mal echt so eben abgecheckt! Ich habe da viel drüber nachgedacht. Sie ist jetzt 14, da muss sie noch nicht alles wissen, aber warum soll ich ihr nicht irgendwann sagen, wie ich veranlagt bin? Daran ist ja nichts schlecht oder falsch. Ich habe besseren Sex als jeder andere, den du kennst. Es macht mehr Spaß, es ist interessanter. Die sieben Jahre, die ich mit meiner Frau Soma zusammen war, haben wir nie irgendwas zweimal gemacht. Da muss man glücklich sein, so eine Erfahrung in seinem Leben machen zu können. Und da werde ich nicht hergehen und meiner Tochter erzählen, ihr Vater habe komische Vorlieben. Nein, sie sind nur untypisch. Es ist besserer Sex. Man solle nicht mit seinen Kindern über Sex reden, heißt es immer. Doch, sollte man! Und über das Leben an sich. Ich muss ja keine Details beschreiben. Ich werde sagen, das, was ich da mache, sei so was wie Cosplay.
Ich sah kürzlich einen Bericht über die praktisch nicht stattfindende Sexualkunde in japanischen Schulen, aus Prüderie, mit den bekannten Folgen.
Meine Stieftochter wuchs damit auf, dass ihre Mutter als Dominatrix arbeitete, und der Tochter war das egal. Die wuchs damit auf zu wissen, dass ihre Mutter polyamorös ist, viele Menschen liebt. Die hat sich ganz normal entwickelt, die hat davon keinen Schaden. Solange man niemanden verletzt ... nein, anders: Solange etwas im wechselseitigen Einverständnis geschieht, ist das in Ordnung. Ich sagte zu meiner Tochter mal, sie solle sich nie einen Drink ausgeben lassen, sie wisse nicht, wer da was reingetan habe. Sie sagte, ja, das wisse sie. Und ich sagte nein, das weißt du nicht: Du nimmst den Drink und dann wachst du mit einem Schwanz in deiner Vagina auf. Dann weißt du es! Also: Mach es nicht. Ich zeigte ihr die Konsequenzen auf. Tony Slys Frau Brigitte erzählte ich das, und die antwortete, sie wünschte, jemand hätte einst so deutlich mit ihr gesprochen. Die musste es auf die harte Tour lernen. Also, man muss so was seinen Kindern sagen. Ist das unangemessen? Vielleicht habe ich sie damit davor bewahrt, vergewaltigt zu werden. Deutliche Aussagen helfen: Mein Arzt sagte mir, ich solle nicht jeden Abend eine Schlaftablette nehmen – aber ich tat es trotzdem und irgendwie wurde ich ziemlich launisch davon. Ich las dann, dass die Tabletten Depressionen auslösen können, und sagte zu meinem Arzt: „Hey Doc, warum hast du mir verdammt noch mal nicht gesagt, dass ich von den Dingern depressiv werde? Dann hätte ich sie nicht genommen!“ Zeig mir die Konsequenzen auf, dann kapiere ich das, sag nicht einfach nur, dass ich das nicht machen soll.
In der Berichterstattung ist gerade die Opioid-Krise in den USA präsent, die auf massenhaft von Ärzten verschriebenen Medikamenten beruht und auch in bürgerlichen Kreisen schwere Auswirkungen hat. Ein Thema in deinem Umfeld?
Ich nehme das Zeug nicht mehr. Das ist aber echt eine Krise, total verrückt. Die Leute dachten, sie nehmen Schmerzmittel, und wurden abhängig. 30 Dollar kostet ein Milligramm – ein Freund von mir, er spielt in einer Band, nahm 900 Milligramm, am Tag, das hat ihn fast 1.000 Dollar gekostet, am Tag. Ich hatte das Zeug mal genommen, war bei 3 Milligramm am Tag, 90 Dollar. Meine Entgiftung dauerte sieben Tage, seine sieben Wochen.
Du äußerst dich sehr offen über dein Befinden.
Schau, ich zählte mich lange zu den tausend glücklichsten Menschen auf der Welt. Das war, als ich mit Soma verheiratet war: Ich habe eine Band, eine wundervolle Tochter. Andere Bands respektieren mich, ich habe genug Geld, das beste Sexualleben, das ich mir vorstellen kann, und künstlerisch kann ich machen, was ich will. Ich war so verdammt glücklich. Und dann kam die Scheidung von Soma. Sie hatte mich in so vieler Hinsicht belogen, doch trotzdem war sie die Liebe meines Lebens. Darüber wurde ich depressiv, Drogen, das Ding in Las Vegas ... das war die härteste Erfahrung meines Lebens. Morddrohungen hatte ich davor nie bekommen. Den Punkrockern war das egal, aber die Leute außerhalb kamen damit nicht klar. Das heute Abend ist die erste NOFX-Show seit sechs Monaten. Unsere Probe gestern war schlimm, wir haben keinen Song ganz geschafft. Wir proben ja nie, und jetzt gleich spielen wir vor 10.000 Leuten. Aber den Leuten ist das doch auch egal, wenn wir Fehler machen.
Nein. Vor ein paar Jahren die Show in Wiesbaden war miserabel. Ich mag euch, aber da konntet ihr gar nichts. Mir ist das nicht egal, wenn ihr einen schlechten Abend habt.
Ja und? Das nennt man „Punkband“. Okay, nein, stimmt nicht. BAD RELIGION sind immer gut. Wir sind manchmal gut. Und immer lustig. Und wir haben immer Spaß. Und darum geht es. Wenn jemand anderes auch Spaß hat, schön. Ich mag es, gut zu sein auf der Bühne, aber wir schaffen es einfach nicht zu proben.
Und das geht allen in der Band so? Denkt da nicht auch mal jemand, es wäre ja gut, wenn Mike da mal aus dem Quark kommen könnte?
Nein, wieso? Wir sind ja echt bei vielen Shows gut – nur eben nicht bei den ersten nach einer langen Pause. Steve, was sagst du?
Steve: Die Probe gestern ... Ihr habt keinen Song zu Ende gespielt bekommen, ihr wart die schlechteste NOFX-Coverband aller Zeiten.
Dafür zahlen die Leute ...
Nein, die sollten nur nicht zur ersten Show eine Tour gehen. Die erste Show ist unsere Probe. Und ich bin immer der Joker – man weiß, nie, was man bekommt. Und mal ernsthaft, erwartest du, dass ich mich ändere, dass ich das alles ernst nehme? Mit Cokie The Clown haben wir neulich drei Shows gespielt, acht Leute sind in der Band. Die ersten beiden waren okay, die dritte war verdammt gut. Dann war die Tour vorbei. Keine Ahnung, ob wir noch mal spielen, wie emotional mich das fordern würde. Das ist nämlich echt hart. Diese Texte live zu singen ... Ich erzähle da ja keine Geschichten, sondern die schlimmsten Tragödien meines Lebens. Bei den Konzerten fingen Leute im Publikum an zu weinen. Das ist echt schwer.
Warum machst du das mit Cokie The Clown?
Das Lied darüber, wie ich meine Mutter getötet habe, nahm ich ungefähr einen Monat danach auf, das ist zwölf Jahre her. Ich wollte das aufnehmen – so verarbeite ich so was, glaube ich. Also indem ich ein Lied darüber schreibe. Als ich mich dann endlich entschieden hatte, Cokie zu machen, musste dieses Lied mit drauf. Warum ich so was mache? Ich mache gerne etwas, das sonst vorher keiner gemacht hat. Und so eine Platte wie diese hat vorher noch niemand gemacht. Niemand. Jemand sagte, das sei ein Genre für sich.
Was für ein Genre wäre das?
Ich bezeichne mich als Depressionist, anstatt Comedian. Live fühlen die Leute das wirklich. Erinnerst du dich, ich habe mal eine Platte veröffentlicht mit 99 Bands mit Songs von jeweils unter einer Minute? Oder das Musical. Und jetzt eben Cokie The Clown. Ich mag es, an die Grenzen zu gehen. Kunst zu machen, die zuvor niemand gemacht hat. Es gibt schon einige Hater, diese Platten betreffend, aber Josh von QUEENS OF THE STONE AGE sagte, das sei eine der besten Platten, die er je gehört habe. Trent Reznor liebt sie auch. Und Fletcher von PENNYWISE sagte, das sei das Beste, was er je gehört habe. Randy von PENNYWISE sieht das genauso. Anderen gefällt das Album überhaupt nicht. Aber ich weiß, dass es Leuten hilft. Denn wenn man weiß, dass andere auch Schreckliches durchmachen, fühlt man sich nicht so allein. Die Leute haben Angst, über solche Dinge zu singen. Aber ich hatte eben schon einige Tragödien in meinem Leben. Da ist es wichtig, darüber zu reden. Aber ich habe das aus künstlerischen Gründen getan. Ich wollte eine Platte machen, wie sie nie zuvor jemand gemacht hat.
Kennst du das Buch „Der Dämon“ von Hubert Selby, der auch „Letzte Ausfahrt Brooklyn“ geschrieben hat? Da geht es um einen Kerl, der sich immer weiter steigert, immer krassere Dinge tut, um zu sehen, wie das so ist. Das Ende ist heftig.
Ich gehe einen Schritt weiter. Auf der Cokie-Platte geht es nur um wahre Geschichten. Aber vor denen haben die Leute am meisten Angst. Es ist schwer, sich diese Platte anzuhören. Aber sie berührt Menschen, und wenn du es schaffst, Menschen zum Weinen zu bringen, das ist schon was.
Aber wie hinterlässt das Menschen? Wir suchen doch alle nach etwas Hoffnung, Erleichterung?
Ich erzähle doch, wie ich mit diesen Erfahrungen umgehe. Und das können die Menschen nachvollziehen. Wenn jemand miterlebt, wie Vater oder Mutter sterben, dann kann ihnen die Platte helfen. Meine Mutter hatte Krebs, sie bat mich, sie zu töten. Und das tat ich. Ich gab ihr Drogen. Ich bedauere nur, dass ich es nicht anders gemacht habe. Hätte ich gewusst, dass es so lange dauert, hätte ich ihr einfach ein Kissen ins Gesicht gedrückt, aber das wäre schwerer gewesen. Das hätte aber nur fünf Minuten gedauert und nicht dreißig Stunden. Das erste Lied beschäftigt sich damit, wie ich Soma in der Badewanne fand bei ihrem Selbstmordversuch. Ich habe sie gerade noch rechtzeitig gefunden. Als ich das Lied als Erstes sang beim Konzert, a cappella, war es völlig still im Raum – keiner sagte was, keiner bewegte sich, keiner filmte. Ich konnte beim Singen kaum die Augen öffnen, so traurig macht mich das Lied. Ich schaute ins Publikum, alle schauten mich an, manche weinten ... Ich mache ja auch Stand-up-Comedy und weiß, wie großartig es ist, sein Publikum im Griff zu haben, wenn man sie zum Lachen bringen kann. Jetzt schaffe ich es auch, sie zum Weinen zu bringen, und das ist wirklich ... interessant.
Nicht jeder wird dir auf diesem Kurs folgen wollen.
Das ist okay. Wenn du große Kunst machst, muss es auch Leute geben, die diese hassen. Wenn es jeder verstehen würde, wäre ich ... THE OFFSPRING. Oder GREEN DAY. Die singen nichts, was irgendwem irgendwas bedeutet. Die neue NOFX-Platte wird auch so intensiv werden. Einer der ersten Songs handelt davon, wie ich Kokain schnupfe von den Brüsten einer Domina. Und auch von ihrer Vagina. Und die sah echt gut aus, die Vagina. Aber irgendwas war anders ... und sie sagte: „Die ist gemacht. Das war mal ein Schwanz.“ Holy shit, da hatte ich gerade Kokain von einer 100.000-Dollar-Muschi geleckt! Diese Domina und ihre Freundin kommen jetzt mit auf Tour, ich habe die angeheuert, die sind jetzt meine Dommes, meine Assistentinnen – und nachts machen sie mich fertig. Mann, ich liebe das Leben! Ich lebe ein Leben, wie es keiner zuvor gelebt hat [seufzt sehr tief]. Ich mache, was immer ich will. Keine schlimmen Sachen, ich verletze niemanden.
Mir würde das Angst machen. Schon allein die Drogen – absolut nicht mein Ding. Du scheinst es darauf anzulegen, dass dein Leben nicht so lang wird.
Ich nehme Drogen ja nicht regelmäßig, nur hin und wieder Kokain. Ich habe einen Drogenberater. Ich bin sehr ehrlich, was meinen Drogenkonsum betrifft. Ich glaube nicht, dass ich davon sterben werde. Ich war erst neulich wieder zur Untersuchung, ich bin okay, auch mein Herz, sagte der Arzt. Ich fahre viel Fahrrad, neulich bin ich achtzig Meilen an einem Tag gefahren, bergauf und bergab. Ich esse gut, passe auf mich auf. Ich spiele Tennis, spiele Badminton, ich schwimme. Schau, mein Bauch, nicht schlecht, oder? Ja, okay, ich habe in den letzten Monaten etwas zugenommen, aber das liegt an der Depression, das kannte ich vorher nicht. Echt, ich hatte zuvor nie in meinem Leben eine Depression. Jetzt bin 52 und mache so was das erste Mal durch.
Was hat die ausgelöst?
Die Scheidung von Soma. Aber nicht allein die Scheidung, sondern sie war die Liebe meines Lebens. Ich glaube nicht, dass ich noch mal jemanden finden werde, den ich so sehr liebe. Ich habe schon viele Dates mit anderen Frauen gehabt, aber irgendwie bin ich hinterher immer traurig, denn ich liebe die nicht, wie ich Soma geliebt habe. Ich werde nie wieder eine Frau wie sie finden. Es ist hart, so was durchzumachen. Ich verletze diese Frauen, also mental – die merken, dass mein Herz gebrochen ist. Und dann das Las Vegas-Ding ... das ging ja los mit einem Spruch von Eric Melvin, auf den ich eingestiegen bin. Ich hätte das Thema nicht angesprochen. Ich versuchte das „lustiger“ zu machen, um das abzuschließen, aber ich habe dann das ganze Feuer abbekommen. Keiner redet darüber, was Eric sagte, überall ging es nur darum, was Fat Mike sagte. Ich bekomme eben immer mein Fett ab. Auf dieser Tour habe ich jetzt außerdem etwas herausgefunden, was ich auch erst mal verdauen muss: Manche meiner Freunde in anderen Bands sind echt sauer auf mich!
Wegen Las Vegas?
Nein, wegen des Punk in Drublic Festivals. Weil ich die Idee hatte, ein unterhaltsames und auch auch noch erfolgreiches Festival aufzubauen. Und das macht die wütend. „Warum muss Fat Mike immer solche Ideen haben?“ Aber so ist das eben, die Menschen sind neidisch auf Erfolg. Und wenn jemand glücklich ist.
Und darauf, dass du immer wieder mit irgendwas davonkommst?
Wir kommen immer davon, mit allem. Wir sind doch echt die schlampigste Band auf diesem Erfolgsniveau. Keine ist nachlässiger, keine probt weniger, und kaum eine andere Band hat so viel Spaß wie wir bei dem, was sie tut. In dem zweiten Stück auf dem Cokie-Album geht es darum, wie die Ehefrauen all meiner Freunde Soma behandelt haben, als wäre sie eine Hure. Das ist einer der Gründe, warum unsere Beziehung auseinanderging – sie hatte das Gefühl, ich hätte ihr Leben ruiniert. In Los Angeles wurde sie respektiert, in San Francisco wie eine Hure behandelt. Warum? Neid, Eifersucht, weil es manchen Menschen nicht gefiel, dass ich so glücklich war, dass ich eine Frau gefunden hatte, die mich wirklich glücklich machte. Und dazu kam, dass meine Ex-Frau Erin überall herumerzählte, ich hätte sie betrogen. Das war eine verdammte Lüge. Ich hatte sie längst verlassen, als ich Soma traf.
Du redest über die Intoleranz und Vorurteile deiner Freunde, was ja wohl vor allem Leute aus der Punk-Szene sind. Sind die in Wirklichkeit weniger tolerant, als man das von Menschen mit solchem Hintergrund erwarten würde?
Ja. Viel weniger tolerant. Die Jungs aus meiner Band haben Soma völlig okay behandelt, wenn sie mit uns auf Tour war. Doch kaum waren wir wieder zu Hause, wurden wir nirgendwo mehr eingeladen, etwa zum Essen. Das Schlimmste war diese Sache mit Tony Sly ...
... dem 2012 verstorbenen Sänger von NO USE FOR A NAME, ein guter Freund von dir.
Jedes Jahr zu seinem Todestag wird ein Lagerfeuer zu seinen Ehren veranstaltet. Und mir hat nie jemand davon erzählt. Man erzählte mir erst davon, nachdem ich und Soma auseinander waren. Da lud man mich ein, ich so: „Cool, Lagerfeuer, klar, bin dabei!“ Und meine Tochter: „Ja, das machen wir doch jedes Jahr.“ Das war mein bester Freund! Und keiner sagte mir was davon, weil ich ja mit „dieser Frau“ gekommen wäre. Das war so gemein, so falsch! Man muss jemanden ja nicht mögen, aber deswegen mich so auszugrenzen? Ich dachte mir in dem Moment nur: „Fuck you, people!“ Das hat echt wehgetan. Und deshalb geht es mir gerade eben so mies. Weißt du, meine Tochter ging jedes Jahr zu diesem Lagerfeuer und sagte kein Wort. Sie ist die beste Freundin von Fiona, Tonys Tochter. Erin hat ihr wahrscheinlich gesagt, mir nichts zu erzählen. Das Schlimmste, und auch das ist auf dem Cokie-Album, ist die Sache mit der Fat Wreck-Firmenparty, wo die ganzen aktuellen und ehemaligen Mitarbeiter sich trafen. Und mir sagte keiner was davon. Das fand bei Erin zu Hause statt, und Erin sagte mir nichts davon, weil sie nicht wollte, dass ich da mit Soma auftauche. Wir spielten am nächsten Tag in San Francisco und ich freute mich, da unerwartet so viele bekannte Gesichter zu sehen, und dann sagte jemand, na, die sind deshalb in der Stadt, weil doch gestern diese Fat Wreck-Party stattgefunden habe. Ich sollte eigentlich gleich ein Konzert spielen und saß da und heulte. Ich fragte mich, warum jemand so was macht? Fat Wreck ist meine Firma, ich habe das Label gegründet – und keiner lädt mich zur Firmenparty ein? Meine Ex-Frau Erin ...
... die ja auch in der Fat Wreck-Geschäftsführung ist ...
... hatte erzählt, ich könne nicht kommen. Daher kommt also meine Depression. Und ich war mal der glücklichste Mensch der Welt.
Ich schätze deine Offenheit. Obwohl, ob das alles stimmt? Bei mir sitzt noch tief, wie du mir 1991 oder so mal erzählt hast, dein Name sei Mike Rakhabit. „My crack habit“ – ha, ha, ha ... Ich fühlte mich so dumm, als ich das später checkte.
Hahahaha, das war gut! Im Verarschen bin ich gut, und die beste Nummer läuft aktuell: Acht unserer Shows in den USA seien gecancelt worden, schrieb ich bei Instagram, wir würden in den USA nun von den Bühnen verbannt. Die Leute haben das alle geglaubt, in aller Welt.
Und was steckte dahinter?
Nichts! Ich habe es erfunden. Wir hatten halt keine Shows. „We’ve effectively been banned in the US“, schrieb ich. Man muss eben immer auf die genaue Wortwahl achten, ich habe nicht gelogen. Fox News haben das sogar als Nachricht gebracht, hahaha. Und warum sind heute 10.000 Leute hier? „NOFX banned in the USA!“ Hahahahahaha! Genial, oder? In den USA wird uns jetzt die dreifache Gage geboten wie vorher. Nein, das ist keine Lüge, ich lüge nie oder beschönige etwas. Das mit dem „banned“ hat aber einen Hintergrund – man erzählte mir, dass beim großen Konzertveranstalter Live Nation wohl diskutiert wurde, uns nicht mehr zu veranstalten. Und dann wurden ein paar unserer Konzerte gecancelt, und daraus habe ich dann „NOFX banned“ gemacht. Aber ... was hältst du von meiner Unterhosen-Firma? Habe ich neulich gegründet. Höschen und Kleider für Männer, Fatale heißt die Firma. Die sind so designt, dass Frauen die gut finden. Und sie liegen gut am Schwanz an. Ich zeig sie dir mal ... Moment ... Samt, siehst du? Hübsch, oder? Die Frauen stehen drauf. Gut, oder?
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