Joey „Shithead“ Keithley und seine Band D.O.A. aus der kanadischen Westküsten-Metropole Vancouver waren 1978 neben den SUBHUMANS eine der ersten Punkbands des Landes. Neben den DEAD KENNEDYS, BLACK FLAG, CIRCLE JERKS, 7 SECONDS, MDC, BAD BRAINS, BIG BOYS und all den anderen auch in der Doku „American Hardcore“ interviewten Bands waren sie eine jener Formationen, die damals musikalisch und inhaltlich das definierte, was bis heute unter Hardcore-Punk verstanden wird. Über zwanzig Alben sind bis heute von D.O.A. erschienen, viele davon auf Joeys Label Sudden Death, so auch „Northern Avenger“, mit dem 2008 der 30. Bandgeburtstag gefeiert wurde. Ich unterhielt mich vor ihrem Konzert im Sommer 2009 mit Keithley über sein politisches Engagement, Religion und Punk in China.
Joey, wie geht es dir, wie läuft es mit der Band und deinem Label?
Erst mal bin ich müde, wir sind vorhin erst aus Vancouver gelandet und ich habe schon vier Tassen Kaffee getrunken, um wach zu bleiben. Ansonsten ist alles wie gehabt, ich musste mal wieder meinen Vertrieb wechseln, weil mein bisheriger pleite gegangen ist. Die CD-Verkäufe sind in den letzten Jahren sowieso immer weiter zurückgegangen. Stattdessen steigen die Download-Verkäufe an, aber nicht so stark, dass sie die Verluste aus dem CD-Absatz ausgleichen. Aber immerhin, die Downloads halten das Label am Laufen. Aber meine Kosten sind gering, ich betreibe das Label aus meinem Haus heraus. Und ich spreche gerne davon, dass ich ein Lager habe, aber eigentlich ist das nur meine Garage, haha. Die meiste Arbeit mache ich selbst, aber das ist okay.
Und du lebst von deinem Label?
Vom Label alleine nicht, aber zusammen mit den Konzerten, die D.O.A. in jüngerer Zeit vermehrt spielen, reicht es. In den letzten Jahren habe ich auf dem Label keine neuen Bands veröffentlicht, denn meine letzten Signings waren nicht so erfolgreich, aber das kann sich auch wieder ändern.
Zweifelt man in Zeiten, in denen es nicht so gut läuft, an seiner Entscheidung, sich einst nicht für einen normalen Job entschieden zu haben?
Hahaha, ich hätte doch Anwalt werden sollen! Das war nach der Schule mein Plan, und ich meldete mich auch an der Uni an, war einen Tag da, und kaufte mir einen Tag später meine erste Gitarre. Und seitdem ging es bergab, haha. Aber bereue ich diese Entscheidung? Nein, auch wenn es Tage gibt, wo man hinter seinen Rechnungsstapeln sitzt und sich fragt, was man da eigentlich macht. Alles in allem bin ich aber mit meinem Leben und meiner Entscheidung zufrieden. Wenn man sich für so ein Leben entschieden hat, muss man eben immer mit neuen Ideen ankommen, muss sich mit dem Hier und Jetzt beschäftigen. Es ist wichtig, über aktuelle Themen und Probleme zu reden, sonst ist da nur noch Nostalgie.
Aber wie verhindert man, dass man sich in seiner Message wiederholt?
Die Methode der Kommunikation hat sich in den letzten 30 Jahren verändert, MySpace, Twitter und Facebook sind heute relevant, meine Kinder kommunizieren anders als ich und meine Freunde in diesem Alter. D.O.A. mussten sich schon früher mal anhören, wir würden ja nur zu den Leuten predigen, die sowieso schon unserer Meinung sind, und das stimmte ja zum Teil auch. Aber das war zu einer Zeit, als die Welt in einem Wettrüsten zwischen Ost und West gefangen war, als Sexismus, Armut, Krieg und Rassismus allgegenwärtige Themen waren. Tja, jetzt haben wir 2009, und hat sich an den Problemen in der Welt was geändert? Also denke ich, dass man diese Themen weiterhin ansprechen muss, aber ohne sich zu wiederholen, unter einem anderen Blickwinkel. Als Maler oder Schauspieler hat man natürlich andere künstlerische Möglichkeiten, doch als Musiker hat man nur den Song und verändert eben den Stil etwas. Ich fühle mich als Angehöriger meiner Generation wie beispielsweise Ian MacKaye und Jello Biafra auch verpflichtet, weiterhin den Mund aufzumachen. Gleichzeitig ist es wichtig, dass jüngere Bands diese Themen aufgreifen und den Kids klarmachen, dass sie weiterhin wichtig sind. ANTI-FLAG und RISE AGAINST sind dafür gute Beispiele, aber es gibt ja auch all die GOOD CHARLOTTE-Bands, die nicht viel zu sagen haben. Das sollten sie aber, gerade in einer Zeit einer so schweren Wirtschaftskrise, wie wir sie jetzt gerade erleben. Ich halte es für die Aufgabe eines Künstlers, die Menschen zum Nachdenken zu bringen.
Die Message ist also wichtig, gleichzeitig gilt es zu vermeiden, in einen Jargon zu verfallen, der andeutet, dass im Punkrock und Hardcore früher alles besser war.
Ich höre immer wieder von alten Fans Sätze wie „Findest du nicht auch, dass die neuen Bands im Vergleich zu den alten echt beschissen sind?“, aber die Zeiten haben sich verändert und die Blaupause für Punk und Hardcore wurde zwischen 1975 und 1983 gezeichnet. Man kann und darf nicht erwarten, dass heutige Bands immer wieder auf diese Vorbilder zurückgreifen, sie müssen nicht darüber schreiben, was Leute wie ich, die heute 50 sind, mit 20 empfunden haben. Klar, viele neue Bands sind Scheiße, aber es gibt auch eine Menge gute, junge Bands.
Wie empfindest du als jemand, der den Begriff Hardcore seinerzeit geprägt hat, das, was heute vielfach darunter verstanden wird?
Wir haben den Begriff damals von einem Journalisten aus San Francisco übernommen. Der hatte einen Artikel über CIRCLE JERKS, DEAD KENNEDYS, BLACK FLAG, D.O.A., AVENGERS und Co. geschrieben und diese neue Musik als „Hardcore“ bezeichnet. Wir von D.O.A. fanden diese Idee großartig und stellten unsere Tour und das Album unter den Titel „Hardcore ’81“. Seitdem erkläre ich aber auch, dass wir uns als „Hardcore-Punks“ ansehen, im Gegensatz etwa zu „New York Hardcore“. Ein Teil von dem, was Hardcore ausmachte, war natürlich die Musik, aber eben auch die kompromisslose Attitüde, der Willen, sich seine eigene Meinung zu bilden. Das hat was mit der anarchistischen Philosophie zu tun: „Be your own boss, think for yourself, work for positive change in this world!“ All das gehört zusammen und ist für mich bis heute unverändert wichtig, auch wenn sich die Wahrnehmung von Hardcore natürlich verändert hat. Damals dachte man bei „hardcore“ zuerst an Hardcore-Pornos, aber das hat sich verändert.
Verändert hat sich auch, dass heute ein Oxymoron wie „Christian Hardcore“ herumgeistert: Hardcore und der Glaube an irgendein albernes Gotteskonstrukt schließen sich aus. Welch üble Vergewaltigung eines Begriffs, der mir etwas bedeutet!
Ganz klar: Eine christliche Band kann keine Punkrock- oder Hardcore-Band sein. Punk ist für mich synonym mit Atheismus oder Agnostizismus. „Christlicher Hardcore“, so was ist lächerlich.
Hast du mit deinen Kindern mal über dieses Thema geredet?
Ich habe drei Kinder, die sind 12, 19 und 22, und früher gab es in der Nähe unseres Hauses eine große Mennoniten-Kirche. Wenn wir daran mit dem Auto vorbeifuhren, machte ich aus alter Gewohnheit immer so ein meckerndes Schaf-Geräusch und sagte „Schaut auch die Schafskinder an!“. Ich meine, ich habe meinen Kids nie versucht irgendwas vorzuschreiben, denn ich weiß ja, dass ich selbst immer das Gegenteil von dem getan habe, was mein Vater mir sagte. Ich habe sie eher subtil erzogen, ihnen von Darwins Theorie erzählt, davon, dass es besser ist sein Leben auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse zu leben als auf der von Religion. Heute sind meine Kinder alle Atheisten, die das mit der Religion aber sicher nicht so eng sehen wie ihr Vater. Ich bin stolz auf sie.
Wie sehen eure nächsten Tourpläne aus? Ihr wart ja auch schon in China.
Im August wollten wir eigentlich in Russland spielen, aber das hat nicht geklappt, das wollen wir jedoch nachholen. Wir arbeiten jetzt an einer zweiten, richtig großen Chinatour, und nächstes Jahr im Frühling geht es nach Argentinien und Brasilien. Und Taiwan, die Philippinen und Südkorea stehen auch auf unserem Plan. China war eine wirklich bizarre Erfahrung. Wir waren ja schon in Japan, und ich dachte, das hätte mich auf China vorbereitet, doch im Vergleich zu China war Japan so gewohnt wie Los Angeles. Alleine so Kleinigkeiten wie die Unmöglichkeit, eine Straße zu überqueren, einfach weil niemand anhält, oder 800 Menschen, die auf ein Taxi warten, ja, die schiere Masse an Menschen, das war eine unglaubliche Erfahrung. Wir spielten vier Konzerte und hatten dazu noch ein richtig touristisches Programm, mit einem sehr netten Reiseführer, der kein Englisch sprach. Von uns spricht keiner Mandarin, doch schweigend zusammen im Auto zu sitzen macht keinen Spaß, also fingen wir an zu singen – er seine chinesische Lieder, ich meine. Uns wurde von einem Freund erzählt, dass die Chinesen keinen Sinn fürs Schlangestehen haben, weshalb jeder drängelt, um zum Zuge zu kommen. Und es gibt in China kein Gefühl für persönlichen Raum, was ein extremer Gegensatz zu Kanada ist. Wie die Schweden auch fühlt sich ein Kanadier erst wohl, wenn er um sich herum hundert Meter Platz hat – in China ist das etwas anders, hahaha. Und die Punkszene ist auch cool, die Leute sehen alle aus, als ob sie bei DISCHARGE spielen, doch musikalisch klang eine der Bands, mit der wir aufgetreten sind, eher nach einer Mischung aus D.O.A. und IRON MAIDEN.
Wie sehr werden Punks in China seitens des Staates als Bedrohung wahrgenommen?
Ich verstehe die Texte der Bands nicht, aber aus meinen Gesprächen weiß ich, dass Punks an sich schon als eine Form der Subversion wahrgenommen werden. Aber man kann das nicht offen zeigen, ohne dass man dann Besuch von der Polizei bekommt. Es scheint da so zu sein wie früher im Ostblock, etwa in Polen. Die Kontrolle seitens des Staates ist allgegenwärtig, auch wenn man an sich wenig Polizei sieht. Die Chinesen, die sich um uns kümmerten, erzählten aber, dass sobald irgendwo Unruhe entsteht, aus dem Nichts vierzig Polizisten mit Knüppeln auftauchen und für Ruhe sorgen. Da werden niemandem seine Rechte vorgelesen, die hauen drauf und schleppen dich weg. Es ist sicher noch ein langer Weg und ein komplexer Prozess, bis die Chinesen Freiheit in dem Sinne haben werden, wie wir sie kennen. Es ist wirklich ein bizarres System, in dem diese 1,4 Milliarden Menschen leben. Dabei machten die meisten Leute, mit denen wir zu tun hatten, einen glücklichen Eindruck. Auffallend sind die enormen sozialen Unterschiede: Einerseits sieht man überall Autos von Mercedes herumfahren und im Supermarkt findest du 100 Sorten Wein, andererseits einen Mann, der ein völlig überladenes Fahrrad mit zig Taschen Plastikmüll herumschiebt. Es gibt eine kleine, reiche Mittelschicht und viele Arme, und mich erinnert das daran, wie es wohl in Europa im 18. Jahrhundert war: Da entwickelte sich Demokratie, die Idee des Rechts der freien Meinungsäußerung auch in Kreisen von Künstlern und Denkern und breitete sich dann über die Mittelklasse aus, die zunehmend ein Mitspracherecht forderte. Bis die geforderten Ziele erreicht waren, dauerte es hundert Jahre.
Sprechen wir mal darüber, wie groß die Bedrohung ist, die von einer Punkband ausgeht, deren Sänger in seiner Heimatstadt der „D.O.A. Day“ gewidmet ist.
Hahahaha, eine gute Frage! Die haben mich neulich sogar in eine Liste der einflussreichsten Bürger des Bundestaates British Columbia gewählt. Und ja, ich musste mir die Frage, wie man als Anarchist mit so was umgeht, schon öfter stellen lassen. Na ja, dieser „D.O.A. Day“ war offiziell eine einmalige Sache, die wir bandintern aber seitdem jedes Jahr am 21. Dezember feiern. Ich habe da auch eine ganz offizielle Medaille verliehen bekommen. Das ergab sich so, dass Vancouver viele Jahre von den Rechten regiert wurde, bis wir es dann endlich schafften, die Linken an die Macht zu bringen. Und eine der ersten Amtshandlungen des neuen Bürgermeisters war es dann, den „D.O.A. Day“ auszurufen. Mittlerweile ist der in Rente, aber er ist ein guter Freund geworden. D.O.A. sind in Vancouver eben wirklich bekannt, man bringt uns mit vielen Demonstrationen und politischen Kampagnen in Verbindung, und so kam es zu dieser Ehrung.
Bedeutet das auch, dass die Konfliktlinien nicht mehr so scharf gezogen werden wie in den Achtzigern, als ein politischer Aktivist aus der Punkszene wie Gerry Hannah wegen terroristischer Aktivitäten zu vielen Jahren Gefängnis verurteilt wurde?
Die Öffentlichkeit steht Punk und seinen Ideen heute offener gegenüber als damals, das spielt sicher eine Rolle. Die heutigen Bands und ihre Ideen sind aber auch nicht mehr so radikal wie früher. Zudem hat sich die politische Atmosphäre verändert, die Kanadier stehen heute viel mehr in der politischen Mitte als die US-Amerikaner. Wenn ich in den USA bin und dort die politischen Diskussionen in Talk-Shows mitbekomme, kann ich kaum fassen, was da für Schwachsinn verbreitet wird. Klar, auch in Kanada gibt es extreme Rechte und Linke, aber es gibt so was wie einen „Canadian Way“ miteinander auszukommen, und die Diskussionen sind nicht so polarisierend und hasserfüllt. Wir sind Deutschland in dieser Hinsicht sicher ähnlicher als den USA, auch wenn wir in anderer Hinsicht sicher ähnlich stark kapitalistisch ausgerichtet sind wie die USA.
Das klingt ja schon beinahe patriotisch.
Ach weißt du, ich habe Kanada schon immer geliebt. Ich mag nicht alles an Kanada, es gibt immer noch das große Thema des Umgangs mit den Ureinwohnern, aber das Problem wird sich nicht so schnell lösen lassen. Als ich 20 war und D.O.A. sich gründeten, war die Einstellung gegenüber den Ureinwohnern noch sehr feindselig – so wie heute noch in Australien, das Kanada in dieser Hinsicht sicher 20 Jahre hinterher hinkt. Heute ist es Allgemeinwissen, dass den Ureinwohnern großes Unrecht widerfahren ist, es wird allgemein anerkannt, was nicht bedeutet, dass alles in dieser Hinsicht in Ordnung ist. Und der politische Streit zwischen den französischsprachigen und den Englisch sprechenden Kanadiern wird sicher auch nicht so schnell beigelegt werden, aber ich bin sicher, wir werden den Konflikt auf zivilisierte Weise lösen.
Du als Anarchist kannst am existierenden demokratischen System also durchaus gute Seiten erkennen.
Ach, meine Anarchistenfreunde verarschen mich ja auch immer wieder deshalb, und auch dafür, dass ich zweimal für die Green Party kandidiert habe. Die hat aber nie irgendwelcher Verantwortung übernehmen müssen, es gab also keine Chance, korrumpiert zu werden. Ich habe kandidiert, weil ich dachte, ich könnte damit die Aufmerksamkeit auf meine Ziele und Ideen lenken. Mittlerweile habe ich mich allerdings von so einer Vorstellung gelöst, und auch davon, für das Amt des Bürgermeisters zu kandidieren. Und na ja, was soll ich sagen, ich bin eben älter geworden, aber ich glaube immer noch an die gleichen Dinge wie früher. Doch ich bin auch weiser geworden, und dazu gehört, dass ich nicht mehr so radikal bin wie früher, das gebe ich gerne zu. Und Kinder zu haben ändert auch vieles.
Sprechen wir zum Schluss noch über das „Northern Avenger“-Album, das Ende 2008 erschienen ist und mal wieder mit einem neuen Line-up eingespielt wurde.
Na ja, das zog sich alles ziemlich lange hin, und dann stieg zum Schluss auch noch Randy Rampage aus. Ich denke, wenn man als altgediente Band zu viele Alben macht, stößt man schnell an seine Grenzen, deshalb haben wir es etwas ruhiger angehen lassen. So lange wie beim letzten Mal werden wir jetzt aber niemand mehr warten lassen, denn wahrscheinlich nehmen wir im Februar 2010 auf, so dass im Herbst 2010 ein neues Album erscheinen kann.
Und was hält dich sonst auf Trab?
Ich habe die Musik zu einem Theaterstück geschrieben, das auf dem Buch und dem Film „Hardcore Logo“ basiert. Das war eine sehr spannende Sache, schon allein die Auswahl der Schauspieler, denn wir suchten solche, die sowohl spielen wie auch als Musiker agieren können. Und hinterher musste ich denen auch die Songs beibringen. Im Sommer 2010 wird das Schauspiel wohl auf die Bühne kommen und dann in Kanada auf Tournee gehen.
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