Dafür / dagegen

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Punks in Uniform

Punks lieben martialisches Auftreten. Springerstiefel, Soldatenjacken, Bundeswehrrucksack, Patronengürtel und so weiter waren schon immer Teil einer/mancher „Punk-Uniform“. Warum? Zum einen war das Zeug billig zu bekommen, und billig war immer ein gutes Argument. Andererseits sind ausgemusterte Militärausrüstungsgegenstände auch gebraucht noch stabil. Sie ließen sich gut individualisieren. Und ... irgendwie hat dieses „Wir sind viele“-Punk-Armee-Ding auch seine Verlockung, wie auch das „Entreißen“ militärischer Objekte in einen Punk-Kontext eine symbolische Wirkung. Hier unsere Argumentation dazu, was dafür und was dagegen spricht.

Dafür

„Meine“ ersten Punks habe ich 1980 in der Paderborner City gesehen – Irokesenschnitt, Lederjacke und Springerstiefel, also die von der Bundeswehr. Als das mit Punkrock bei mir kurze Zeit später selbst losging, hatte ich zunächst eine britische Tarnjacke, verziert mit Aufnähern, Buttons und Sicherheitsnadeln. Nicht lang danach war es eine Bundeswehrfeldjacke, gebraucht für 9 DM in einem Secondhand-Shop gekauft, der vor allem Militärklamotten verkloppte. Das Erste, was ich machte, war die Deutschland-Embleme entfernen, dann habe ich die Jacke schwarz eingefärbt und in Himmelblau riesengroß den EXPLOITED-Schriftzug hintendrauf gemalt. Meinen ersten Springerstiefel waren gebrauchte britische Boots, für 15 DM. „Lars hat seine Springerstiefel auch im Sommer an / Weil er damit besser zutreten kann ...“, haben DAGOWOPS einst gesungen. Genauso war es. Die Stahlkappen haben mich nicht nur einmal bei Angriffen von Prolls vor Schlimmerem bewahrt. Patronengürtel, wie Colin von CHARGED GBH oder Peter von MANIACS sie trugen, waren für mich unerschwinglich. Ich hatte nur das Stück eines Patronengurts, verschossene Übungsmunition der britischen Armee, gefunden auf dem Truppenübungsplatz, das leider für einen Gürtel zu kurz war. Getragen hätte ich ihn ... Absolutes No-Go hingegen waren Orden! Bei den New Wavern galten in den frühen Achtziger Jahren britische Fliegerjacken als schick, die in Ermangelung von Lederjacken aber auch gerne von Punks getragen wurden. Für mich war das kein Widerspruch zu Punk, Anarchy and Peace – sondern gerade das Zweckentfremden von Militärklamotten, der spielerische Umgang damit und das öffentliche Lächerlichmachen der Armee als Institution und der Uniformierung überhaupt war Punk. Und meinem Vater, der davon geträumt hatte, dass sein Ältester die höhere Offizierslaufbahn bei der Bundeswehr absolvieren würde, hat es definitiv nicht gefallen ...
Triebi Instabil

Dagegen

Seit dem „Hauptmann von Köpenick“ (einst Schulliteratur) wissen wir, dass sich mit dem Anmaßen von Kompetenz mittels Uniform(teilen) lustiger Schabernack treiben lässt. Und auch wenn ich kein Fan von Karneval bin, so verstehe ich doch den historischen Hintergrund: Sich der Uniformen der Obrigkeit bemächtigen, sie zu karikieren, ins Lächerliche zu ziehen und dadurch die Autorität zu untergraben. In diesen Kontext passt auch, dass einst Thomas „Emil Elektrohler“ Lau seiner Doktorarbeit über Punk den Titel „Die heiligen Narren“ gab – Punks als jene „Hofnarren“, die der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten. Disziplin? Für’n Arsch! Marschieren? Nicht mit euch! Alle sehen uniformiert aus? Wir sind Individuen! Wehrdienst? Zivildienst! Aber spätestens seit dem russischen Überfall auf die Ukraine, der mir so nahe geht wie kein anderer kriegerischer Konflikt in meiner Lebenszeit, kann ich mit Militärischem nicht mehr unbefangen umgehen. Keine Ahnung, wie das den frühen Punks in den USA ging, die Mitte der Siebziger eventuell selbst Vietnamerfahrung hatten, oder jenen nicht wenigen Menschen in den USA mit Punk- und Hardcore-Bezug, die Anfang der Neunziger beim ersten Golfkrieg und zehn Jahre später beim zweiten im persönlichen Umfeld mit traumatisierten Soldat:innen zu tun hatten (oder selbst eine:r waren/wurden), aber ich muss bei Kampfstiefeln, Militärrucksack, Tarnfarben-Parka und Patronengürtel an Menschen in der Ukraine denken. Menschen auf beiden (!) Seiten der Front, die zu tausenden getötet werden – die einen beim Versuch, die Soldateska eines faschistoiden Diktators aufzuhalten und zurückzudrängen, die anderen als dessen Kanonenfutter. In diesen Zeiten ist es für mich nicht mehr „lustig“ oder provozierend, als Punk mit den Insignien von Tod und Zerstörung als modisches Gadget zu spielen. Die Zeiten ändern sich – was vor vierzig Jahren funktionierte, funktioniert heute nicht mehr.
Joachim Hiller