Defiance Records haben sich sicherlich zu einem der interessantesten Labels entwickelt. Die Kölner stehen für qualitativ hochwertige Releases und brauchen sich nicht hinter den internationalen, großen Namen der Szene zu verstecken. Es war also an der Zeit, die beiden Labelmacher Hoffi und Roland zu Wort kommen zu lassen. Nach einem ausführlichen Grillen und Magenvollschlagen (alles vegetarisch!), das wegen Regen spontan in die Küche verlegt wurde, ging es dann los.
Euer Leben in zehn Sätzen, bitte.
Roland: Ich bin mittlerweile 24 Jahre alt und in der Nähe von Aachen aufgewachsen. Ich bin ganz normal zur Schule gegangen, hab ein Jahr in den USA gelebt und habe dann angefangen zu studieren. Der erste Kontakt mit der ganzen Sache war das Tape von einem Kumpel mit EARTH CRISIS, SNAPCASE, STRIFE und solche Sachen. Dann habe ich in Aachen viele Konzerte organisiert, gleichzeitig selber bei ENGRAVE gespielt, und mit unserer ersten Single ist der Kontakt zu Hoffi und Defiance zustande gekommen. Das Studium in Aachen habe ich dann abgebrochen und nur noch Konzerte gemacht, habe auch so ein bisschen auf Kosten der Eltern gelebt und bin dann nach Köln gezogen. Hier habe ich dann halt noch versucht zu studieren, habe aber schnell gemerkt, dass mir die Musik wichtiger ist und bin voll bei Defiance eingestiegen.
Hoffi: Ich bin in der Nähe von Immenhausen aufgewachsen, wo ich auch Konzerte gemacht habe und bin jetzt 29 Jahre alt. Ich habe übers Skateboardfahren Leute kennen gelernt, die Hardcore hörten und mich dann auf ein BAD RELIGION-Konzert mitgenommen haben – die ‘Suffer’-Tour war das. Es war für mich völlig überwältigend, da ich vorher nur Metalkonzerte kannte. 1994 habe ich dann mit denselben Leuten, mit denen ich die Konzerte in Immenhausen veranstaltet habe, die erste Defiance-Platte rausgebracht: BART’S REVENGE, die im Keller des JuZe geprobt und Skatecore gespielt haben. Nach meinem Zivildienst war ich dann auf Tour unterwegs, u.a. mit TEXAS IS THE REASON, BATTERY oder auch S.F.A., und habe mich damit so über Wasser gehalten. Nachdem die MIOZÄN-Platte rausgekommen ist, was ja der erste Erfolg von Defiance war, konnte ich dann auch irgendwie nicht mehr zurück, und zu meiner Lehre als Kommunikationselektroniker bin ich sowieso nur gedrängt worden. Kurz danach habe ich dann die Single von ACHEBORN veröffentlicht und von da an dann das Label auch alleine weiter geführt. Denn vorher haben wir das nur mit vier bis fünf Leuten in unserer Freizeit gemacht. 1996 hab ich den Underdog Recordstore in Köln eröffnet, was mir alles sehr gelegen kam, da ich aus Kassel weg wollte, keine Lust mehr hatte, nur Touren zu fahren und eben die Leute von Green Hell einen Laden aufmachen wollten. Defiance ist dann erst mit der Platte von PALE aus dem Hobbystatus herausgekommen.
Roland: Der Kontakt zu PALE ergab sich halt dadurch, dass sie auch aus Aachen kamen. Man kannte sich halt, und zudem waren PALE auch einige der wenigen Bands, die auf Konzerten ihre eigenen CDs verkauft haben. Wir wollten die ‘another smart move’ dann auf Vinyl rausbringen, weil wir auch gemerkt haben, was für eine super Band PALE sind.
Hoffi: Eine Band mit Potenzial…
Wollte ich gerade sagen, jetzt muss der Satz mit dem Potenzial kommen…
Hoffi: Was wir bei Defiance natürlich sofort erkannt haben, hehe.
Roland: Die haben mit ihrem Label Soda Records ja auch super Bands veröffentlicht, aber denen fehlte einfach der Kontakt zu den Leuten, die auf diese Art von Musik stehen. Dazu kam dann noch, dass ihnen ein Vertrieb fehlte. Gleichzeitig haben wir dann auch noch die AMBROSE rausgebracht.
Hoffi: Deren Demo-CD habe ich so über mehrere Ecken in die Hände bekommen. Die Freundin eines Kumpels kannte den Sänger und so habe ich dann die CD gehört, die mich völlig umgehauen hat. Die Band hatte bis dahin noch nie gespielt, aber hatte schon ein fertiges Album. Völlig beeindruckend, besonders weil es da noch nicht jede zehnte Band so klang und die zudem auch noch aus Deutschland kamen.
War es denn von Anfang an klar, dass Defiance ihr zwei seid bzw. ist es der Laden von euch beiden?
Hoffi: Ganz blöd gesagt, ist Roland mein Angestellter, aber wir entscheiden alles zusammen, ich setze mich da nicht über Rolands Kopf hinweg. Das Label machen wir beide, da gibt es keine Hierarchie.
Und wie ist die Arbeit unter euch aufgeteilt?
Roland: Jeder macht alles.
Hoffi: Aber du sitzt schon mehr am Computer, weil das einfach nicht meine Sache ist.
Es gibt ja einerseits diese internen Überlegungen, dass man sagt, jetzt wollen wir es einfach mal mit dem Label probieren, andererseits kommen äußere Entwickungen dazu, z.B. dass im Sommer 2000 plötzlich das Thema „Emo“ medial ziemlich breitgetreten wurde. Wodurch euch sicherlich viele Leute vorwerfen könnten, mit den Bands die ihr rausgebracht habt, nur Teil einer Welle zu sein…
Hoffi: Also wir bringen die Sachen raus, die uns gefallen. Ich hab mir die erste GET UP KIDS-Single mit meinen Labelsachen ertauscht. Und von daher muss ich mir diesen Vorwurf überhaupt nicht gefallen lassen.
Ich hab ja auch nur gesagt, dass sich so was gegenseitig bedingt und man plötzlich in der Situation ist, dass die Musik, die einem selbst gefällt, zufälligerweise auch im öffentlichen Interesse steht.
Roland: Aber bevor wir mit diesem ganzen finanziellen Kram was zu tun haben wollten, war am Anfang wirklich einfach die Begeisterung für die Musik da. Wir haben gedacht, dass wir einfach mehr Leuten zeigen müssen, was es für unglaublich gute Bands wie AMBROSE oder PALE in Deutschland gibt. Klar sagen die Leute jetzt ‘Defiance, das Emolabel’. Aber dann hört euch mal GOOD CLEAN FUN, STANDSTILL oder ENGRAVE an. Unsere Releases sind viel weitgefächerter, als die die Leute meinen, da kommen die GET UP KIDS gleichberechtigt neben COALFIELD raus. Das sind einfach die Sachen, hinter denen wir hundertprozentig stehen.
Hoffi: KEVIN DEVINE bringen wir nicht raus, weil wir Tausende von Platten verkaufen wollen, sondern weil es uns gefällt. Solange wir mit solchen Platten keinen Verlust machen, und es uns gefällt, ist das eine super Sache.
Aber die Entscheidung vom Label zu leben, wird sich ja schon auf die Releasepolitik ausgewirkt haben.
Hoffi: Natürlich! Nur zu sagen, die Platte gefällt mir, reicht nicht, um davon zu leben. Wenn man drei Alben rausbringt und alle sind Flops, dann macht man die vierte dieser Art nicht mehr. Aber diese Situation ist uns bis jetzt glücklicherweise erspart geblieben, wir müssen also keine Platte aus finanziellen Gründen rausbringen.
In welcher Größenordnung spielt sich das bei euch ab? Es gibt ja schnell diese Rückschlüsse: Wenn ein Label wie Defiance im Ox eine ganzseitige Anzeige hat, müssen die ja Unmengen verkaufen…
Hoffi: Ein gutverkauftes Album liegt bei uns so zwischen 3.000 und 4.000 Stück. Die Bestverkaufte war die PALE mit 6.000 Stück. 2.000 Stück verkaufen wir eigentlich von jeder Platte, außer so spezielle Sachen wie KEVIN DEVINE, da sind wir froh wenn wir 1.000 Stück absetzen.
Verkauft ihr hauptsächlich in Deutschland, oder wie sieht das mit dem europäischen Ausland aus?
Roland: Hauptsächlich in Deutschland, oder besser gesagt im gesamten deutschsprachigen Raum und in den Beneluxstaaten. Wir würden gerne noch etwas mehr in England verkaufen und arbeiten da zur Zeit auch dran.
Die USA spielen ja bei einigen Releases keine Rolle, da ihr die von da lizenziert habt. Ist das so ein neues Ding, dass ihr Sachen aus den USA lizenziert?
Hoffi: Ja, seit August letzten Jahres, da wir da die Leute von Doghouse kennengelernt haben und uns gut verstehen. Später sind dann die anderen Labels dazugekommen, mit denen wir jetzt zusammenarbeiten.
Es war ja früher so, dass die Leute die deutsche Pressung als etwas minderwertiges angesehen haben und lieber die US-Originale haben wollten. Ist das heute auch noch so?
Hoffi: Das hat sich gelegt, spätestens beim Preis, wenn man 3 Euro mehr zahlen soll.
Roland: Zudem wollen wir auch alles als Vinyl rausbringen und das ist in den USA nicht mehr der Fall.
Hoffi: Für AS FRIENDS RUST und COHEED AND CAMBRIA machen wir für die USA auch die Vinylpressung mit, da die Labels da einfach kein Interesse mehr dran haben.
Roland: Bei diesen Lizenzgeschichten ist es uns für uns aber trotzdem so, dass es unsere Band ist. Wir stecken da genauso viel Zeit rein und die wollen wir auch kennenlernen, wenn sie in Europa sind.
Hoffi: Es hat uns bis jetzt auch noch keine Band menschlich enttäuscht, so dass wir gedacht haben, was haben wir da nur rausgebracht.
Roland: Das war aber bei Defiance auch immer wichtig, einerseits eine musikalisch gute Band zu haben, andererseits aber auch menschlich mit den Leuten dahinter gut auszukommen. Ich fand es z.B. auch sehr wichtig, mit ONE MAN AND HIS DROID die ersten drei Tage gemeinsam zu touren oder mit PALE nach Spanien zu fahren. Ich glaube, das bringt viel Vertrauen und auch Zusammenhalt.
Was denkt ihr, wo ihr heute steht? Was sind eure Ziele und wo wollt ihr hin?
Roland: Ich finde, man muss an sich selbst immer den höchsten Anspruch haben.
Hoffi: Und deswegen wollen wir das Erreichte auch halten und ausbauen. Beim Vertrieb für Deutschland haben wir das fast auf ein Optimum gebracht, unsere Sachen gibt es sowohl in der kleinen Plattenkiste auf dem Konzert, aber auch im lokalen Saturnmarkt in irgendeinem kleinen Ort. Defiance muss dabei aber szenenah bleiben, da kommt es her, da bin ich aufgewachsen und habe all das erlebt. Und darum würden wir auch nie nur auf den Verkauf im Saturn setzen. Es ist einfach super wichtig, die Dinge auch selber in der Hand zu behalten.
Roland: Und auf jeden Fall immer neue Bands auschecken und auch mal einen Schritt weitergehen. Wir wollen nicht die zwanzigste Emoplatte rausbringen. Da kann man dann auch mal mit einer Band zusammenarbeiten, die z.B. mehr in den elektronischen Bereich geht.
Hoffi: Ich halte aber immer den Background einer Band für wichtig. Ich kann mir nicht vorstellen, jemals eine Band rauszubringen, die niemals etwas mit Punk oder Hardcore zu tun hatte. Wie soll ich jemandem diese Mentalität und Art der Zusammenarbeit erklären, wenn derjenige noch nie was damit zu tun hatte?
Mir ist aufgefallen, dass es neben euch zur Zeit eigentlich kaum ein anderes Label in Deutschland gibt, das solche Bands rausbringt und dabei auch professionell arbeitet.
Roland: Doch, Stickman Records. Die arbeiten auch mit einer hohen Professionalität, und haben ein gutes, gemischtes Programm. Man kann bei denen bestimmt auch nicht blind hingehen und denken, ist alles derselbe Sound. Es sind schon Bands aus verschiedenen Ecken, aber es sind immer sehr gute Bands. Ein Label, was ich auch sehr cool finde, ist Join The Team Player, was das Layout, den Background der Bands und auch die politische Rangehensweise angeht. Die sind auch schon lange dabei und da stimmt jedes Release.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #48 September/Oktober/November 2002 und Simon Brüggemann