In einem anderen Leben ist Apolinário Correia Frontmann der portugiesischen Hardcore-Band DEVIL IN ME aus Quarteira an der Algarve, doch nun steht für „Poli“ und DEVIL IN ME-Gitarrist Pedro Matos ganz andere Musik auf dem Programm: Der von ihm verehrte „The Boss“ Springsteen nennt er für sein Alter Ego Sam Alone und die Begleitband THE GRAVEDIGGERS als Vorbild, aber auch Woody Guthrie und Bob Dylan – und Neil Young. Mit „Tougher Than Leather“ ist soeben via People Like You sein Album erschienen.
Sam, wann und wie wurde Apolinário Correia zu Sam Alone? Mir gefällt dein eigentlicher Name auch ganz gut.
Nun, 2007, als ich angefangen habe, einige Songs für diese Band zu schreiben und aufzunehmen, habe ich einen Hund bekommen und für diesen kleinen Kerl musste ich einen Namen finden. Ich habe ihn Sam genannt, inspiriert von Ted Dansons Rolle des Sam Malone in der Fernsehserie „Cheers“. Abgesehen davon, musste der kleine Kerl immer zu Hause bleiben, wenn ich Shows gespielt habe oder arbeiten war, das hat wahrscheinlich auch zu der „Sam Alone“-Sache beigetragen. Es ist keine besondere Geschichte, aber so ist es dazu gekommen.
Portugal war stark von der Wirtschafts- und Finanzkrise betroffen und hat immer noch damit zu kämpfen. Da du deine Gitarre als „working class rifle“ bezeichnest, bin ich mir sicher, dass du etwas zu sagen hast zum Thema „Internationale Finanzsysteme versus die Menschen in Portugal“.
Dass ich das auf eine meiner Gitarren geschrieben habe, ist ein Tribut an Mr. Woody Guthrie. Ich glaube wirklich, dass von allen Kunstformen die Musik der wirksamste Weg ist, Ideen und Aussagen in aller Welt zu verbreiten und damit wirklich aufzurütteln. Mit Büchern ist das ähnlich. Letzten Endes singe und schreibe ich Protestsongs, aber lass uns eine Sache nicht vergessen: Mein Blick auf Politik und Religion ist eigentlich ganz simpel, ich halte mich weder für einen Experten auf dem Gebiet, noch will ich, dass meine Musik nur von Politik handelt. Aber ich komme nun mal aus Portugal und die Dinge sind hier in den letzten Jahren ausgeartet. Wenn man sich die Neunziger anschaut, bis zur Einführung des Euros ’99, da haben die Banken Geld billig verliehen, so dass der öffentliche Sektor sich immer mehr aufgebläht hat. Es war einfach, das Geld floss: Kredite für Autos, Kredite für Häuser, Kredite für Urlaub – such dir was aus. Sogar meine Mutter hat sich darauf eingelassen, was sie heute bedauert. Und dann, bäääämmm! Die Krise kam so schnell über uns und alles kam zum Stillstand. Aber der Schuldenstand war schon auf einem Level, dass es für ein Land wie unseres nicht mehr zu stemmen war. Also mussten die gleichen Leute, die das Publikum vorher mit Krediten ausgetrickst haben, nun um Hilfe rufen – und die kam von Seiten der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank, also von der berüchtigten Troika. Die Hilfe kam also, viel hat sich jedoch nicht verbessert. Sie haben uns gesagt, dass wir Opfer bringen müssen, als ob wir eine andere Wahl hätten. Dann sind die Nahrungsmittelpreise gestiegen, die für Gas und Wasser ebenfalls, der Lebensstandard begann zu sinken.
Wie ist die Situation jetzt?
Wir haben immer noch sehr damit zu kämpfen, die Arbeitslosigkeit ist noch groß und die traurige Realität in Portugal ist, dass es hier sehr viel schlechtes Finanzmanagement gibt: das Bisschen, was reinkommt, geht nur an einige wenige. Wir machen hier gerade eine harte Zeit durch, aber die Welt insgesamt durchlebt zur Zeit ein dunkles Kapitel, es sieht alles nicht leicht aus, aber Kapitulation ist keine Option. So viel kann ich dir sagen, es ist nicht eine Frage von „wir“, also „das portugiesische Volk“ gegen „die internationalen Finanzsysteme“. Denn es waren unsere Banken und Politiker, die uns hierher gebracht haben. Es ist eine Art Spiel, wir müssen nur lernen, wie man es spielt. Aber wir werden da rauskommen, ich glaube fest daran!
Euer Album „Tougher Than Leather“ ist ,verglichen mit der Musik, die du mit DEVIL IN ME gemacht hast, ein völlig anderer Sound. Warum diese neue Richtung, und was wird jetzt aus DEVIL IN ME?
Bevor ich zu Punk und Hardcore gekommen bin, war ich einfach ein kleiner Rocker. Ich bin dank meines Vaters zu Hause mit Blues, viel Country und Rock’n’Roll aufgewachsen. Dann kam Punk. Ich weiß noch, wie ich die BAD BRAINS gehört habe, es hat mich völlig umgehauen! Was den Sound angeht, möchte ich das bei Sam Alone beibehalten, auch wenn das für viele Leute in Deutschland ungewohnt wirkt, steckte das schon immer in mir. DEVIL IN ME haben ein neues Album mit dem Titel „Soul Rebel“ veröffentlicht, es stehen ein paar Shows und Touren an, aber ich möchte noch viel mehr mit Sam Alone touren. Ich werde mich nicht bei DIM zurückziehen, aber SAM ALONE & THE GRAVEDIGGERS sind das, was ich machen will, bis ich sterbe! Ich habe das Schreien langsam ein bisschen satt und Sam Alone vermittelt dieselbe Message.
Die Musik, die du als Sam Alone machst, ist unüberhörbar beeinflusst von US-Musikern wie Chuck Ragan oder auch Bruce Springsteen. Was sind die weniger offensichtlichen Einflüsse?
Das stimmt und es liegt vielleicht daran, dass ich mit dem Ganzen aufgewachsen bin, mein Vater war Biker. Ich erinnere mich daran, dass Biker-Magazine wie Easyriders aus den Siebzigern zu Hause herumlagen und im Hintergrund Willie Nelson lief. Ich mag und respektiere das portugiesische Erbe, versteh mich nicht falsch, aber mein Herz schlug schon immer für Rock’n’Roll, und der ist nun mal nicht portugiesisch! Ich wurde in Portugal geboren, aber ich bin mehr als eine Flagge, die sich jemand vor einer langen Zeit ausgedacht hat. Nur, weil man irgendwo geboren wurde, heißt das nicht, dass Herz und Seele auch dahin gehören. Springsteen ist und bleibt musikalisch immer ein Einfluss, machmal wird das in Reviews negativ kommentiert, aber eigentlich sehe ich das als Kompliment. Kritiker, die zu faul sind, um ihre Hausaufgaben zu machen, vergleichen aufstrebende Musiker gerne mit etablierten Künstlern, das ist am einfachsten. Ich liebe den Boss, natürlich finden die Leute viel von ihm in meinen Songs, er hat mein Leben verändert! Was Chuck Ragan angeht, muss ich widersprechen. Ich glaube, ich verstehe, woher dieser Eindruck kommt, ich mag ihn auch sehr, aber er hat nie meine Arbeit beeinflusst. Ich bin stark geprägt von Folk/Americana-Musikern wie Woody Guthrie, Iris DeMent oder Bob Dylan. Während der letzten zwei Jahre habe ich mich viel stärker auf Country-Musik gestürzt und ich glaube, das merkt man auch bei ein paar Songs auf „Tougher Than Leather“, obwohl es nicht so offensichtlich ist. Neil Young steht an zweiter Stelle bei meinem Songwriting, aber an ihn reicht sowie keiner heran!
Gibt es eine portugiesische Art von Protestsongs, vielleicht aus Zeiten des Militärregimes, mit denen du dich näher beschäftigt hast?
Ja, Protestsongs waren in Portugal mal sehr beliebt. Zeca Afonso war einer der bedeutendsten Sänger in diesem Bereich. Als in Portugal ein faschistisches Regime an der Macht war, und seine Aufnahmen nur sehr schwer zu bekommen waren, gelang es ihm immer noch, Konzerte zu geben. Seine Lieder haben 1974 eine wichtige Rolle bei der Nelkenrevolution gespielt. Er ist immer noch eine Art Volksheld in Portugal. Seine Songs sind unsterblich!
Viele Künstler, die auf Portugiesisch singen, sind stärker auf Portugal und Brasilien ausgerichtet. Warum hast du dich dazu entschieden, dich mehr in Richtung englischsprachige Welt zu orientieren?
Um ehrlich zu sein, klingt Englisch einfach besser, zumindest in meinen Ohren, und ich habe erkannt, dass man damit viel mehr Leute weltweit erreichen kann. Aber es hat auch seine Schattenseiten: das Verfassen der Texte! Wir sprechen in Portugal gut Englisch, aber trotzdem ist es nicht einfach zu schreiben, hinter jeder Textzeile und jedem Begriff steckt eine Menge Recherchearbeit. Auf Englisch zu singen macht mir das Leben im guten, alten Portugal auch nicht gerade leichter, aber da tut sich langsam was. Inzwischen gibt es ein paar gute Radiostationen, die solche Rockmusik unterstützen.
Was wird dir 2016 bescheren?
Wir werden sehen, ich will einfach die Musik machen, die ich mag, egal, was andere denken. Wenn es Leute gibt, die mich unterstützen oder zu einer Show kommen, kann ich mich wirklich glücklich schätzen und das als Ansporn nehmen, noch mehr zu spielen und Musik zu machen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #125 April/Mai 2016 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #125 April/Mai 2016 und Joachim Hiller