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THE FALL

Ich muss gestehen, dass ich immer eine große Schwäche für Tarsem Singhs THE CELL hatte. Weniger, weil es sich hier um einen der großartigsten Serienkillerfilme aller Zeiten handelte. Und auch nicht wegen Jennifer Lopez, die da noch keine fürchterliche Promi-Ziege war und die man noch für eine gute Schauspielerin hielt, sondern weil Singh seinem Regiedebüt in visueller Hinsicht eine künstlerische Dimension verleihen konnte, die weit über normales Mainstreamkino hinausging.

So stellte man sich einen Film vor, den Salvador Dali inszeniert hatte und der im besten Sinne surreal und bizarr war. Ein faszinierender Bilderrausch aus dem Unterbewusstsein von Freud und Jung.

Insofern macht es durchaus Sinn, dass das Kinoplakat (auf der DVD ist das Motiv leider etwas entstellt) seines zweiten Films THE FALL Dalis Bild „Face of Mae West which may be used as an Apartment“ nachempfunden ist, und der, was seine surrealen und künstlerischen Qualitäten angeht, noch um einiges weiter geht.

Gehörte THE CELL bereits auf eine Liste von „Underrated Films (Of All Time)“, schien dieses Schicksal auch THE FALL zu ereilen, der erst 2008 so richtig auf dem Release-Plan einiger Länder auftauchte und hierzulande in diesem Jahr nach einem kurzen Kinoeinsatz auf DVD veröffentlicht wurde.

Für gute Filme ist es nie zu spät, allerdings schon etwas seltsam, dass ein Film derart ignoriert wird, der sich mit Kritiker- und Publikumslieblingen wie SLUMDOG MILLIONAIRE oder PANS LABYRINTH durchaus messen kann.

Ein Märchen für Erwachsene, dessen fantastische Ebene nie völlig von der Realität abgekoppelt ist, diese reflektiert und in Traumbilder übersetzt. Im Mittelpunkt von THE FALL steht dabei die seltsame Beziehung des Stuntmans Roy Walker (Lee Pace aus der Serie „Pushing Daisies“) zu einem fünfjährigen Mädchen namens Alexandria in einem Hospital in Los Angeles in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts.

Der ist nach einem fast tödlichen Unfall wegen seiner gebrochenen Beine ans Bett gefesselt und wurde auch noch von seiner großen Liebe verlassen. In Folge will er seinem Leben ein Ende machen und erzählt dem Mädchen eine spontan erfundene Geschichte, um sie dazu zu bringen, ihm eine tödliche Dosis Morphium zu besorgen.

Eine recht hinterhältige und abstoßende Manipulation eines unschuldigen Kindes, das natürlich nicht merkt, was Roy eigentlich vorhat (Alexandria: [crying as Roy finishes the story] „Why are you making everyone die?“ - Roy: „Because...

everything dies.“). Dafür muss er aber seine Geschichte über fünf skurrile Typen, die einen korrupten Gouverneur umbringen wollen, weiterspinnen, bei der sich Fiktion und Realität immer stärker miteinander vermischen („He can’t win.

That’s because our masked bandit is a coward. Yeah. He never took an oath, he’s a fake. He’s a liar and a coward.“). Und gerade bei den Sequenzen von Roys Erzählung zeigt sich erneut Singhs Talent, in denen unwirkliche Naturaufnahmen und eine exotische Architektur zu wunderschönen Bildern verschmelzen, die aber immer äußerst naturalistisch wirken und die über vier Jahre in 18 verschiedenen Ländern entstanden sind.

Weshalb Singh auch betont, dass es sich hier nicht um Computertricksereien handelt, sondern um echte Bildkompositionen, aber selbst, wenn er lügen würde, THE FALL sieht niemals nach lieblosem CGI-Schrott aus.

Dabei entsteht eine ganz eigene magische und mythologische Welt, in der sich neben Dali auch Einflüsse von M.C. Escher finden lassen, hinsichtlich dessen Darstellung perspektivischer Unmöglichkeiten und optischer Täuschungen.

Eine Widersprüchlichkeit, die auch den Film an sich auszeichnet, der poetisch und grausam zugleich ist, seine absurd komischen und möglicherweise etwas kitschigen Momente besitzt, aber einem insgesamt einfach völlig unvergessliche Bilder liefert.

Und falls man das Medium Film überhaupt noch als Kunstform begreift, dann ist THE FALL auf jeden Fall ein Meisterwerk alter Prägung, eine Liebeserklärung an die Macht der Fantasie, die ja im aktuellen Blockbuster-Kino mit lautem Getöse in Grund und Boden gestampft wird.

Bei Capelight in einer sehr schönen 3-Disc Limited Collector’s Edition in Buchform inklusive Blu-ray-Disc erschienen, versehen mit Audiokommentaren von Singh, den Drehbuchautoren Nico Soultanakis und Dan Gilroy, sowie Darsteller Lee Pace.

Sehr interessant ist auch die komplette Animationssequenz der Brüder Lauenstein aus THE FALL, deren mit einem Oscar prämierter Kurzfilm BALANCE von 1989 ebenfalls auf der DVD enthalten ist, neben zwei Dokumentationen über den Film.

Ein sehr schönes Package zu einem meiner Lieblingsfilme der letzten Zeit.