Mit VIOLENT COP, BOILING POINT und SONATINE hat REM jetzt drei Filme zusammen in einer Box veröffentlicht, die für den eingefleischten Asien-Kino-Fan schon einen ganz ordentlichen Bart haben, wie man so schön sagt.
Zu den Highlights des japanischen Kinos der 90er Jahre gehören sie nach wie vor. Und BOILING POINT gab es bisher hierzulande auch noch nicht auf DVD. Genau genommen bin ich auch erst durch Takeshi Kitanos Regiedebüt VIOLENT COP richtig aufs moderne japanische Kino aufmerksam geworden, ansonsten kannte man ja eigentlich nur die klassische Kunstschiene wie eben Kurosawa oder eventuell noch IM REICH DER SINNE.
Als Kitano VIOLENT COP drehte, war er in Japan bereits ein gefeierter Fernsehstar und populärer Comedian, und landete auch eher unfreiwillig auf dem Regiestuhl, da der eigentliche Regisseur Kinji Fukasaku mit dem Zeitplan seines Hauptdarstellers nicht einverstanden war und aus dem Projekt ausstieg.
Also bot man Hauptdarsteller Kitano die Regie an, der das Drehbuch komplett umschrieb und aus dem mit Humor angereicherten Stoff eine todernste Angelegenheit machte – so eine Art japanischer DIRTY HARRY mit äußerst nihilistischer Ausrichtung.
Wobei Kitano bereits 1983 in Nagisa Oshimas MERRY CHRISTMAS, MR. LAWRENCE eine sehr negative Rolle übernommen hatte. Die Übersetzung des japanischen Originaltitels von VIOLENT COP lautet eigentlich „Achtung, dieser Mann ist gefährlich.“ und gibt vielleicht etwas besser wieder, wie sich Kitano hier als einsamer Wolf auf einen brutalen Rachefeldzug begibt, um seinen von der Yakuza ermordeten Kollegen zu rächen, der allerdings selbst korrupt war.
Als schließlich noch seine Schwester entführt und mit Drogen vollgepumpt wird, wirft er die nun mal auch für einen Polizisten geltenden Gesetze vollkommen über Bord und es gibt für den Cop kein Halten mehr.
Im Prinzip eine simple Law & Order-Geschichte, die aber durch Kitanos grimmige und stoische Performance eine ganz neue Intensität erreicht. Das japanische Publikum fand den Film allerdings immer noch irgendwie belustigend, offensichtlich war Kitano zu sehr mit dem Bild des Spaßmachers verknüpft, weshalb er seinen nächsten Film BOILING POINT noch mehr ins Extrem trieb.
Der Beginn einer bizarren selbstzerstörerischen Phase für Kitano, der 1995 fast bei einem Motorradunfall ums Leben kam und danach sein Leben komplett umkrempelte. Später gab Kitano dann dazu das denkwürdige Zitat ab: „It took me 10 years of playing serial killers and rapists to be perceived as a serious actor among the Japanese public.“ Und so spielt er in BOILING POINT einen völlig psychotischen, selbst von der Yakuza ausgestoßenen Gangster, der auch gerne mal Frauen verprügelt.
Dessen Wege kreuzen sich mit denen zweier Jungen einer Baseballmanschaft, deren Trainer von Gangstern schwer verletzt wurde, weshalb sie Waffen kaufen wollen, um sich dafür zu rächen. Für Kitano war dieser sehr experimentierfreudige Film quasi seine Rache am japanischen Publikum.
Beindruckend war er dennoch, da hier sein damaliges Markenzeichen deutlich wurde, die irritierende und fast surreale Koexistenz von trockenem Humor (man muss teilweise an Kaurismäki denken), extremer Brutalität und unglaublich poetischen Momenten.
Und durch das Fehlen jeglicher Filmmusik wurde in diesem Fall die eigenwillige Bildsprache in BOILING POINT noch betont. Ein Film, der das klassische japanische Yakuza-Genre in gewisser Weise revolutionierte und die Originalität von Kitano als Filmemacher unterstrich – für die, die es immer noch nicht gemerkt hatten.
Und drei Jahre später dann sein bisheriges Meisterwerk SONATINE – zwischendurch war noch der eher meditative A SCENE AT THE SEA entstanden, ganz ohne Gewalt und Gangster –, der ihn auch international bekannter machte und Kitano als deutlich gereiften Regisseur zeigte.
Hinzu kam ein wundervoller Score von Joe Hisaishi mit unglaublich einprägsamen Melodien, wie man es von dem Mann halt kennt, der ja auch die Musik für die meisten Filme von Hayao Miyazaki schrieb.
Diese teils fröhliche Unbeschwertheit prägt den Film auch insgesamt, der in einigen Szenen ansonsten nicht gerade zimperliche Yakuza-Gangster zeigt, die wie kleine Kinder am Strand herumtollen, um die Zeit totzuschlagen.
Kitano spielt dabei einen in die Jahre gekommenen Yakuza, der, bevor er in Rente gehen kann, noch einen Auftrag erledigen muss, denn er soll in Okinawa einen Gang-Streit schlichten, gerät dabei aber selbst zwischen die Fronten.
In SONATINE treibt Kitano sein groteskes Humorverständnis quasi auf die Spitze – man könnte fast von einer Gangsterfilm-Parodie sprechen, wäre da nicht unter anderem der pessimistische Schluss und die erneut sehr exzessive Gewalt.
Ein schizophrener Mix, der zusammengehalten wird durch traumhaft schöne Bilder. Auf seine Art ein vollkommen einzigartiger Film, dessen Qualitäten Kitano in dieser vollendeten Form nie wieder erreicht hat, höchstens bei HANA-BI, der aber generell ein „Best of Kitano“ war.
Drei ganz exzellente Filme, die man jetzt zu einem äußerst fairen Kurs in guter Qualität zusammen erwerben kann, falls man sie nicht schon längst im Schrank stehen hat. Allerdings ohne besondere Extras und nur im japanischen Original mit deutschen Untertiteln.
Im Fall von VIOLENT COP hätte es ja sogar eine deutsche Synchro gegeben, die man sich aber wohl extra hätte lizensieren lassen müssen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #83 April/Mai 2009 und Thomas Kerpen