Der sinnstiftende Wahrheitsgehalt der meisten Aussagen des NME ist überschaubar, aber die Feststellung, dass die SMITHS aus Manchester „the most influential artists ever“ sind, und dies noch vor den BEATLES, hat schon was.
Als die Band aus Manchester 1984 ihr Debütalbum veröffentlichte, erfuhr es eine ungeheuer große Resonanz bei (insbesondere) jungen Männern, die auf Sinnsuche waren. Mit Morrissey hatten sie einen Sänger, der niemals müde wurde, Zitate von Oscar Wilde zu passenden und unpassenden Gelegenheit unters Volk zu bringen (die Hommage an Oscar Wilde führte gar so weit, dass er, wie sein Blumen liebendes Idol, bei Konzerten Unmengen Narzissen und Gladiolen ins Publikum streute).
Der Kerl verfügte auch selbst über einen gehörigen – mitunter bitteren – Zynismus, und so fand sich in seiner Person schnell eine Ikone, der man ohne Einschränkungen folgen konnte. Morrissey kokettierte definitiv mit allem, was man sich als junger Sinnsuchender nur wünschen konnte: eine depressive Jugend, eine nicht eindeutige sexuelle Orientierung (wenn – in seinem Falle – überhaupt eine), Sehnsuchtsmotive, die kleinen Rebellionen, der Rückzug aus der Gesellschaft, aber auch eine klare Haltung gegen Margaret Thatcher und das schale und merkantil zelebrierte „Band Aid“-Projekt von Bob Geldof verarbeitete er in seinen Songs.
Morrissey war die Galionsfigur der Missverstandenen, die aber auch nicht verstanden werden wollten. Bei Morrissey werden Liebende von Doppeldeckerbussen überfahren und Mädchen heben Gräber aus, um die Herzen daseinsversunkener Jünglinge zu begraben.
Und die SMITHS hatten stets diesen dunklen und bittersüßen Humor. So schrieben Morrissey und Johnny Marr den Song „Panic“ – neben „Ask“ der einzige Song der SMITHS, bei dem die Band, verstärkt durch Gitarrist Craig Gannon (AZTEC CAMERA, THE ADULT NET), kurzzeitig auf fünf Mitglieder anwuchs – als Reaktion darauf, dass der Radio-DJ Steve Wright zuerst die Katastrophe von Tschernobyl verkündet und gleich darauf den WHAM!-Song „I’m your man“ gespielt hatte, und forderten, den DJ zu erhängen und Discos niederzubrennen.
Doch Morrissey schoss nicht nur auf andere, er hatte auch diese sehr gesunde Form selbstironischer Schwermütigkeit, die in vielen seiner Lyrics durch einen brillanten Wortwitz zum Ausdruck kam (der aber selten richtig interpretiert wurde), so beispielsweise im Song „Heaven knows I’m miserable now“.
Und die SMITHS perfektionierten die Stringenz des klaren konzeptionellen Artworks durch die ausschließliche Verwendung einheitlich gestalteter Fotos – beispielsweise von Regisseur Paul Morrissey, Schauspieler Joe Dallesandro (der wie für Morrissey gemacht in dem Film „Flesh“, produziert von Andy Warhol, die Rolle eines fragilen jungen Strichers verkörperte), Shelagh Delaney, Alain Delon, Elvis Presley oder Jean Marais, aus Jean Cocteaus Film „Orphée“ – für eine ihrer besten Singles überhaupt: „This charming man“ (1983).
Und sie verwendeten Fotos, die Dennis Hopper als junger Fotograf machte, und die so erst zu ihrem Bekanntheitsgrad fanden. Die vier Studioalben, welche die SMITHS zwischen 1984 und 1988 eingespielt haben (sowie das Live-Album „Rank“ und verschiedene Compilations), sind nun in einem Box-Set neu aufgelegt worden und von Gitarrist Johnny Marr nachbearbeitet worden.
Morrissey hat einmal über seinen großen Spiritus Rector Oscar Wilde gesagt: „I’ve read everything he wrote and everything written about him and I still find him totally awe-inspiring.“ Und das gilt auch für die THE SMITHS und Morrissey selbst nachdem man sich deren Gesamtwerk durchgehört hat.
Und selbst der junge Noel Gallagher (OASIS) verstand die Zeitenwende, die sich angekündigt hatte: „When THE JAM split, THE SMITHS started, and I totally went for them.“
© by - Ausgabe # und 8. März 2021
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #99 Dezember 2011/Januar 2012 und Markus Kolodziej
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #135 Dezember/Januar 2017 und Markus Kolodziej
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #135 Dezember/Januar 2017 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #81 Dezember 2008/Januar 2009 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #67 August/September 2006 und Joachim Hiller