Nach langer Kinoabstinenz hat sich Paul Verhoeven mit BLACK BOOK durchaus überzeugend zurückgemeldet, sogar mit einer europäischen Produktion, da er wohl nach HOLLOW MAN von Hollywood die Nase voll hatte.
Ein guter Zeitpunkt also, sein Frühwerk auch hierzulande mal auf DVD zu veröffentlichen, das geprägt ist von der Zusammenarbeit mit Darsteller Rutger Hauer, Produzent Rob Houwer und den beiden Kameramännern Jan de Bont und Jost Vacano.
Fangen wir mal mit der schlechten Nachricht an, denn die in der Box enthaltenen vier Filme verzichten auf den Originalton, es sei denn, es handelt sich um wieder eingefügte geschnittene Szenen, die nur deutsch untertitelt wurden.
Dafür gibt es aber den Audiokommentar von Verhoeven, der auch auf den Anchor Bay-Versionen der Filme enthalten ist. Die andere schlechte Nachricht ist, dass Euro Video die 16er-Freigabe der Box nicht gefährden wollte und DER VIERTE MANN nur in der geschnittenen Fassung veröffentlicht hat, das heißt zwei kleine Splatterszenen fehlen.
Eigentlich schade, denn sowohl die FSK 18-Freigabe als auch die Indizierung des Films entsprechen nicht mehr wirklich aktuellen Bewertungsmaßstäben, aber da waren wirtschaftliche Erwägungen wohl wichtiger als eine erneute Prüfung des Films.
Zumindest bekommt man TÜRKISCHE FRÜCHTE (1973), DAS MÄDCHEN KEETJE TIPPEL (1975) und DER SOLDAT VON ORANIEN (1977) erstmals in ungeschnittenen Fassungen zu Gesicht, denn gerade letzterer war in fast schon absurder Weise vom deutschen Verleih verstümmelt worden.
DER SOLDAT VON ORANIEN ist quasi ein Vorläufer von BLACK BOOK, in dem es um sechs Studenten geht, die auf unterschiedliche Weise mit dem Einmarsch deutscher Truppen in die Niederlande im Jahr 1940 konfrontiert werden und sich zum Teil dem niederländischen Widerstand anschließen.
Verhoeven mischt hier sehr schön knackiges Actionkino, das er wie gewohnt ordentlich mit Sex & Violence würzt, mit einer historisch akkuraten Aufarbeitung der damaligen Geschehnisse, unter dem Strich kommt ein mit 156 Minuten zwar epischer, aber immer unterhaltsamer Film heraus, in dem Rutger Hauer und Jeroen Krabbe auch echte darstellerische Akzente setzen können.
Übrigens die erste Zusammenarbeit mit Jost Vacano.
Jeroen Krabbe spielte dann auch in DER VIERTE MANN von 1983 die Hauptrolle, wo sich Verhoeven und Produzent Houwer noch mal zusammenrauften, bevor Verhoeven zwei Jahre später mit FLESH+BLOOD quasi halb in Amerika angekommen war.
DER VIERTE MANN könnte man als Vorläufer von BASIC INSTINCT ansehen, denn darin wird ein Schriftsteller mit Alkoholproblem zum Opfer einer mörderischen Femme Fatale, worauf schon der schön gefilmte Anfang verweist, wo man sieht, wie eine Spinne ihr Opfer einwickelt, amüsanterweise hat sie ihr Netz an einem Lattengustl gespannt.
Verhoeven gelang damit ein zwar nicht immer subtiler, aber angenehm surrealer Thriller, irgendwo zwischen Hitchcock und dem Sleaze von Brian De Palma. Wesentlich europäischer sind dagegen noch TÜRKISCHE FRÜCHTE und DAS MÄDCHEN KEETJE TIPPEL, beide mit Rutger Hauer und Monique van de Ven in der Hauptrolle.
TÜRKISCHE FRÜCHTE ist eine exzessive wie tragische Liebesgeschichte, so eine Art holländischer LAST TANGO IN PARIS, wo Verhoeven in ausschweifenden Sexszenen schwelgt, womit er sich ebenfalls früh für BASIC INSTINCT empfahl.
Sehenswert, aber manchmal auch etwas nervig, denn das Extremverhalten der beiden Hauptfiguren artet in einem ziemlichen Psychozirkus aus. Da gefällt mir DAS MÄDCHEN KEETJE TIPPEL wesentlich besser, wo Monique van de Ven besagte Keetje Tippel spielt, die sich im Amsterdam Ende des 18.
Jahrhunderts aus ärmlichen Verhältnissen zu befreien versucht und ähnlich wie die Hauptdarstellerin aus BLACK BOOK einige harte Rückschläge zu erleiden hat, inklusive eines Intermezzos als Prostituierte.
Gemein ist auch schon den Frühwerken von Verhoeven ein erfrischend respektloser Umgang mit den „Do’s and Don’ts“ der Political Correctness und den Gegebenheiten von Genrekino, wodurch selbst seine thematisch problematischeren Filme immer unterhaltsam bleiben, was nicht heißt, dass sie ohne Tiefgang wären.
Wie gesagt, die DVD-Box von Euro Video ist alles andere als perfekt, aber wem die deutschen Fassungen reichen, kann angesichts des niedrigen Preises durchaus zugreifen, denn die US- und UK-Fassungen sind doch deutlich teurer, und Bild und Ton gehen auch in Ordnung.
Na ja, und DER VIERTE MANN kann man sich dann immer noch mal im Ausland besorgen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #72 Juni/Juli 2007 und Thomas Kerpen