Als der "N.Y.H.C. Documentary Soundtrack" 1996 auf dem New Yorker Label Striving For Togetherness Records erschien (seinerzeit gab es übrigens eine deutsche SFT-Filiale in Bayreuth), war der dazugehörige Film noch gar nicht erschienen und die CD diente vor allem dazu, das zur Fertigstellung benötigte Geld zusammenzubekommen.
1999 erschien die Doku dann endlich, lief auf verschiedenen kleinen Filmfestivals, wirkte aber schon etwas veraltet und überholt, denn die Live-Aufnahmen und Interviews stammten bereits von 1995, als New York Hardcore seine erste Hoch-Zeit hinter sich hatte, kommerzielle Umtriebe um sich griffen und Hardcore generell nicht den Status hatte, den die Musik in den letzten Jahren (wieder) erreicht hat.
Frank Pavich interviewte damals unter anderem Freddy Cricien von MADBALL, John Joseph von CRO-MAGS, Rick von 25 TA LIFE, Tim Williams und Mike Kennedy von VISION OF DISORDER. Leute von 108, CROWN OF THORNZ und DISTRICT 9, Roger Miret von AGNOSTIC FRONT, die Jungs von NO REDEEMING SOCIAL VALUE und diverse Szenegänger.
Entstanden ist so ein sehr privates, persönliches Portrait einer sehr heterogenen Szene, die über die Jahre zur Keimzelle einer weltweiten Szene (vielleicht sogar Bewegung) wurde, die sich aber schon in ihren Ursprüngen so vielschichtig zeigt, dass man niemals von "der" N.Y.H.C.-Szene reden sollte.
Dumpfbackige Kiffer aus dem Ghetto mit erheblicher Rechenschwäche ("Äh, wie alt war ich vor sechs Jahren?") treffen auf smarte Krishnas, ein reflektierter Roger Miret (frische 32 Jahre alt, mit langen, lockigen Haaren) auf den zugetackerten, ultragepiercten Rick von 25 TA LIFE, der Hardcore auf extreme Weise lebt, und nicht zu vergessen die extrem ironischen, smarten Typen von NO REDEEMING SOCIAL VALUE.
Und auf der einen Seite trifft man die Bands aus Manhattan, Brooklyn und der Bronx, auf der anderen auf die Szenevertreter aus New Jersey und Long Island, die dem Vorstadtjungsklischee entsprechen.
Pavich lässt seine Interviewpartner einfach reden, sie erzählen von ihrer Kindheit, von ihrer Jugend, was ihnen Hardcore bedeutet, sie ereifern sich über die altbekannten Grabenkämpfe, gewalttätige Schwachköpfe, kommerzielle Auswüchse - all jene Themen also, die auch heute noch allgegenwärtig sind.
Manchmal wirken die Erinnerungen allerdings auch wie die Erzählungen von Kriegsveteranen, die Verwendung des Wortes "Motherfucker" ist teils inflationär, und man erfährt, wieso damals die Hosen so tiefhängend getragen wurden: Es lag an den billigen Armeegürteln ...
Aufgelockert werden die Interviewszenen immer wieder durch Livemitschnitte der interviewten Bands, und was kann man da erkennen? Richtig, das Kickbox-Unwesen stand auch Mitte der Neunziger schon in voller Blüte.
Eine absolut sehenswerte Doku, die um eine zweite DVD ergänzt wurde, auf der sich weitere ausführliche Interviews mit den damals Befragten finden, unter der Überschrift "10 years after", wobei nicht so ganz klar ist, wann die einzelnen Sachen denn gedreht wurden - irgendwo steht was von 2002, was die "neuen" Interviews auch schon wieder historisch macht.
Auf jeden Fall interessant zu sehen, wie "true" die allermeisten Jungs immer noch sind/waren. "N.Y.H.C." ist ein wesentlich detaillierterer, authentischerer, etwas weniger inszeniert wirkender Film als "American Hardcore", der mehr voraussetzt an Wissen über die Szene, und ich kann ihn nur jedem empfehlen, der sich ansatzweise für die erwähnten Bands und ihre Nachfolger interessiert.
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© by Ox-Fanzine - Ausgabe #80 Oktober/November 2008 und Joachim Hiller