Nur zwei Jahre nach seiner bisher besten, wenn auch schwierigsten und unkommerziellsten Platte "Blemish", die erste für sein eigenes Label Samadhisound, beschert uns David Sylvian eine weitere Studioplatte, bei der er sich das erste Mal nach der problematischen JAPAN-Reunion namens RAIN TREE CROW 1991 wieder einem Bandprojekt unterordnet.
Nach den angespannten Klängen von "Blemish", bedingt durch die traumatische Verarbeitung der gescheiterten Beziehung zu der Dichterin/Songwriterin Ingrid Chavez, verbreitet "Snow Borne Sorrow" eine wesentlich relaxtere Atmosphäre, bei der er sich die Songwritercredits mit seinem Bruder Steve Jansen - mit dem er in den letzten Jahren wieder regelmäßig zusammenarbeitet - und dem Kölner Elektronik-Musiker Burnt Friedman aka Bernd Friedmann teilt, der bereits zwei Tracks der "Blemish"-Remix-Platte "The Good Son Vs.
The Only Daughter" bearbeitet hatte. Kommerziell kann man auch "Snow Borne Sorrow" nur bedingt nennen, denn sieht man mal von dem etwas plakativeren Refrain von "Darkest Birds" ab - sicherlich einer der besten Songs, den Sylvian in den letzten Jahren geschrieben hat -, bemüht sich die Platte eher um eine Gesamtatmosphäre, irgendwie extrem verdichtet, aber dennoch aus klar erkennbaren Schichten zusammengesetzt, geprägt von Sylvians nach wie vor fantastischer Stimme und den subtilen Percussionteppichen seines Bruders.
Dazu kommen jazzigere Einlagen und Ambient-mäßige Samples und Sounds, die wohl auf das Konto von Friedman gehen, wobei man die Platte weder als konkrete Pop-, Jazz, oder Elektronikplatte klassifizieren kann, dafür vermischen sich diese Elemente zu stark.
Hat man anfangs noch das Gefühl, "Snow Borne Sorrow" wäre eine etwas unterkühlt elektronische Angelegenheit, kriecht einem die für Sylvian typische Emotionalität und Spiritualität der Songs doch schnell in sehr angenehmer Weise unter die Haut.
Hier steht zwar NINE HORSES drauf, aber man hat nicht den Eindruck, als ob die Beteiligung Sylvians weniger ausgeprägt wäre als bei seinen Soloplatten. Und im direkten Vergleich mit den Arbeiten aus den 90ern, vor allem seiner letzten, etwas überladenen Platte für Virgin, ist "Snow Borne Sorrow" ein weiterer Beweis für die Ausnahmestellung und nach wie ungebrochene Kreativität dieses faszinierenden Musikers, der weniger verletzlich als noch auf "Blemish" klingt, aber hier eine nicht minder großartige Platte aufgenommen hat, deren Vielschichtigkeit man sich allerdings erarbeiten muss.
Fans von Sylvian kommen am Erwerb dieser Platte nur schwer vorbei - schon alleine wegen des schön, wenn auch spartanisch aufgemachten Digipaks -, alle anderen haben die letzten 20 Jahre etwas verpasst, was sich auch mit "Snow Borne Sorrow" nur bedingt aufarbeiten lässt.
Der Song "The Librarian" befindet sich übrigens auch in einer etwas anderen Version auf der 3-Song-Maxi "Out In The Sticks", wo Friedman erneut mit CAN-Schlagzeuger Jaki Liebezeit zusammenarbeitete, dementsprechend stärker ist diese Version auch von dessen Percussionarbeit geprägt.
Für den Sylvian-Fan sicher nicht uninteressant, wobei auch der elfminütige Titelsong "Out in the sticks" musikalisch in eine ähnliche Richtung geht wie "Snow Borne Sorrow". Die drei Songs sind eine Art Teaser für einen 2006 erscheinenden Longplayer von Friedman und Liebezeit, die zweite Platte der beiden, auf die man durchaus gespannt sein darf, denn alle drei Songs sind von einer beeindruckenden Klangästhetik geprägt, Ambientmusik im weitesten Sinne, die auch ohne Sylvians Stimme ausgezeichnet funktioniert.
(10/7)
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #71 April/Mai 2007 und Thomas Kerpen
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