Als ich das erste mal in Form einer leicht zerkratzten Vinyl-Doppel-LP in den Genuss der ersten beiden NEU!-Platten kam, war ich angesichts ihrer zeitlosen Brillanz völlig geplättet. Sicher, CAN und FAUST sind ebenfalls nicht schlecht bzw.
nicht weniger wichtig, aber die Band von Michael Rother und Klaus Dinger schien noch viel stärker eine Blaupause für New Wave oder andere spätere Entwicklungen im Indie-Bereich gewesen zu sein.
Nach einem fantastischen Song wie "Für immer" hatte man einfach wenig Lust, noch etwas anderes zu hören. Jedenfalls war es ein echtes Problem, diese beiden Platten und den Nachfolger "Neu! '75" noch irgendwo aufzutreiben, wollte man nicht den Rest seines Lebens auf Flohmärkten verbringen.
Denn die beiden ex-Kraftwerkler hatten sich irgendwann böse zerstritten und blockierten jeden Versuch, ihre Platten neu zu veröffentlichen. In Japan erschien zwar mal das unveröffentlichte vierte NEU!-Album, aber das war kein wirklicher Ersatz.
Ausgerechnet Herbert Grönemeier gelang es dann, die beiden Streithähne zu überreden, und so sitze ich jetzt hier vor drei ganz wundervollen NEU!-CDs. Wenn man Herbert für etwas dankbar sein muss, dann für diese Heldentat.
Im Gegensatz zu den ausgeleierten Experimenten von FAUST und dem streckenweise sehr anstrengenden Hippie-Gewinsel von CAN besitzen die NEU!-Kompositionen eine Schärfe und Dynamik, die sicherlich auch nicht ganz spurlos an Bands wie JOY DIVISION, BAUHAUS und später dann TRANS AM vorbeigegangen sein dürfte.
Man kann das gerne abfällig Krautrock nennen, aber NEU! gehören zu den wenigen, wirklich Eindruck hinterlassenden Perlen der deutschen Musikgeschichte, die man jetzt neu entdecken kann. Ausserdem gibt es wenige Bands, die durch die Wahl ihres Namens so naiv programmatisch darauf hingewiesen haben, dass sie ein bisschen was anderes vorhaben, als der Großteil der anderen 70er-Bands, worin natürlich auch eine gewisse Ironie steckt.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #44 September/Oktober/November 2001 und Thomas Kerpen