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MR 73

Regisseur Olivier Marchal, ein ehemaliger Polizeibeamter und ebenfalls gut beschäftigter Darsteller, hatte bereits 2002 mit GANGSTERS den nicht wirklich erfolgreichen Versuch unternommen, einen realistischen Kriminalfilm zu drehen.

Das war ihm zwei Jahre später mit dem extrem düsteren 36 QUAI DES ORFÈVRES (hierzulande als 36 - TÖDLICHE RIVALEN veröffentlicht) aber um so eindrucksvoller gelungen, ein Film, der fast schon die Klasse eines HEAT besaß.

Mit dem noch wesentlich niederschmetternden MR 73 versucht er vier Jahre später, an dessen Qualitäten anzuknüpfen und gleichzeitig auch das Erbe eines Jean-Pierre Melville anzutreten, was den Existentialismus seiner Geschichte angeht.

Visuell regiert hier allerdings wieder der kühle stilisierte Blick eines Michael Mann. Die Hauptrolle übernahm erneut Daniel Auteuil, einer von Frankreichs besten aktuellen Darstellern. Der spielt den heruntergekommenen Marseiller Cop Schneider, der seine persönlichen Dämonen – seine Tochter starb bei einem Unfall und die Ehefrau wird seitdem künstlich am Leben erhalten – nur noch durch Alkohol in den Griff bekommt, wenn überhaupt, und der aufgrund zahlreicher Entgleisungen auf der Abschussliste steht.

Als er zu Beginn des Films sturzbetrunken und mit vorgehaltener Waffe einen Linienbus kapert, wird er aufgrund früherer Verdienste und des besagten schweren Schicksalsschlages nur zur Strafe in den Innendienst versetzt.

Sein bisheriger Fall, die Suche nach einem sadistischen Serienmörder, der wohlhabende Frauen foltert, vergewaltigt und anschließend tötet, wird einem Kollegen übergeben, den Schneider sowieso schon hasst.

Dennoch lässt Schneider trotz weiterer Saufexzesse nicht von dem Fall ab, da er darin eine Verbindung zu den Taten des von ihm vor vielen Jahren zur Strecke gebrachten Serienkillers Charles Subra (Philippe Nahon, der in HAUTE TENSION einen ähnlich sympathischen Zeitgenossen spielen durfte) zu erkennen glaubt.

Der steht gerade kurz vor seiner Entlassung und hat offenbar inzwischen zu Gott gefunden, was ihn wieder zumutbar für die Gesellschaft macht. Das sieht eine junge Frau namens Justine (Olivia Bonamy aus ILS) allerdings anders, musste sie doch zusammen mit ihrer Schwester mit ansehen, wie der Killer ihre Eltern einst vor ihren Augen abgeschlachtet hat.

Und die erinnert sich an den Cop, der Subra damals geschnappt hatte und bittet ihn um Hilfe, womit sich der Kreis in Marchals Film in gewisser Weise wieder schließt. Für Schneider allerdings eher ein Teufelskreis, dem er nur durch radikale Entscheidungen entkommt, und der ähnlich wie Harvey Keitel in Abel Ferraras BAD LIEUTENANT durch eine sehr irdische Hölle gehen muss, um die Erlösung zu finden.

Man hat selten so viele traumatisierte Menschen auf einem Haufen gesehen wie in MR 73, fast schon zu viele für einen einzigen Film, in dem Marchal ein wenig hoffnungsvolles, grausames Bild der Gesellschaft und der menschlichen Natur zeichnet.

Und selbst Schneider, der die ganze Zeit wie ein geprügelter Hund durch die Gegend läuft, muss erst mal amoralisch handeln, damit am Ende vielleicht noch etwas Gutes dabei herauskommt. MR 73 (die Bezeichnung für einen Revolver der französischen Firma Manurhin, der im Polizeidienst eingesetzt wird) überfordert den Zuschauer dabei sogar eventuell etwas mit dieser Ballung menschlichen Elends und nicht immer vollkommen glaubwürdiger Storywendungen.

Dabei gelingt Marchal aber letztendlich immer noch ein sehr packender, kraftvoller Polizei-Thriller mit Neo-Noir-Tendenzen, der sich angenehm von dem abhebt, was gerade die Amerikaner in dieser Hinsicht produzieren, und der mehr Drama ist als klassischer Whodunit.

Auf DVD mit einem längeren Making Of versehen. Wobei man sich selbst einen Gefallen tut, den Film im Original mit deutschen Untertiteln zu schauen, denn so richtig überzeugend war die deutsche Synchro nicht.