Einer der in musikhistorischer Hinsicht verstörendsten Spät-Effekte des Mauerfalls 1989 und des Zusammenwachsens des bis dato in Ost(block) und West getrennten Europas ist die kulturelle Dominanz westlicher Bands und Musiker.
Funktioniert der Austausch bis tief in die Subkulturen hinein zwischen den Ländern Nord-, West- und Südeuropas und auch Kanada und den USA reibungslos, sind die Grenzen nach Osten hin immer noch existent.
Oder wem fällt jenseits von Grand Prix d’Eurovision eine Band aus dem „Osten“ ein, die international von popkultureller Bedeutung ist? PUSSY RIOT? Gut, aber bei denen handelt es sich eher um ein Politik-meets-Popkultur-Kollektiv als eine klassische Band.
Bleiben also nur noch LAIBACH, die sich bereits 1980 im jugoslawischen Trbovlje gründeten. Jugoslawien war zwar sozialistisch, aber nicht Teil des von der Sowjetunion kontrollierten Ostblocks, sondern Teil der Bewegung der Blockfreien Staaten.
Entsprechend war die Gesellschaft Jugoslawiens liberaler als etwa die der DDR, konnte sich parallel zur Entwicklung im Westen und durch einen kulturellen Austausch auch eine punkaffine Undergroundszene entwickeln.
Aus jener heraus entstanden die gerade in den Achtzigern dem Industrial zugerechneten LAIBACH, die sich auch im 1984 in der im slowenischen Ljubljana (deutsch: Laibach) gegründeten Kunstkollektiv Neue Slowenische Kunst (NSK) engagierten.
Im Gegensatz zur heutigen oft recht stark an Popmusik orientierten Klängen waren LAIBACH in den Achtzigern, als sie bald schon im Westen wahrgenommen wurden, in den Plattensammlungen von Menschen zu finden, die britischen Industrial wie THROBBING GRISTLE hörten, EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN oder auch FOETUS und unempfindlich waren gegenüber dem Naserümpfen jener Szenegänger, denen die Provokationslust der Slowenenen, die sich zielsicher auch an Nazi-Symbolik bedienten, suspekt war.
Bis heute sind LAIBACH provokationsfreudig, so spielten sie am 19. und 20. August 2015 unter dem Titel „Liberation Day Tour 2015“ zwei Konzerte in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang.
Auf jene Tour nun geht das neue Album „The Sound Of Music“ zurück, und das wiederum ist der Titel eines aus dem Jahr 1965 stammenden Hollywood-Musikfilms (deutsch: „Meine Lieder – meine Träume“), der wiederum sich nebst Soundtrack – ein seltsames Pop-Phänomen – in Nordkorea großer Beliebtheit erfreut, weshalb LAIBACH dort Stücke aus dem Soundtrack spielten.
Ebenfalls dort live gespielt und jetzt auf dem Album enthalten ist „Arirang“, die Interpretation eines Volksliedes, das als inoffizielle Nationalhymne von Nord- und Südkorea gilt. Einmal mehr schaffen es LAIBACH mit einem Album zu verwirren und verstören, denn die Mischung aus Industrial-Nachhall und Korea-Pop ist ...
schräg, genau wie der erneute Flirt mit dem Totalitarismus.
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