Der Kinski-Fan wird wahrscheinlich aufheulen, wenn ich das jetzt sage, aber die Person Kinski war doch oft interessanter als die meisten Filme, in denen er auftauchte, wobei sich natürlich auch unter den über 130 Filmen, in denen er seit den 50er Jahren bis zu seinem Tod im Jahr 1991 mitwirkte, einige Perlen befinden. Man denke nur an LEICHEN PFLASTERN SEINEN WEG oder seine Rolle als Dr.
Hugo Zuckerbrot in Billy Wilders BUDDY, BUDDY, wobei seine langjährige, von heftigen Streitereien überschattete Zusammenarbeit mit Werner Herzog ja für viele als seine fruchtbarste Phase gilt.
Allerdings hat Kinski auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihm die Höhe der Gage oft wichtiger war als der künstlerische Anspruch bestimmter Filmprojekte. Wesentlich legendärer sind da seine öffentlichen Auftritte in Talkshows oder seine „Jesus Christus Erlöser“-Bühneninszenierung, bei der der größte Teil der Zeit für die Beschimpfung des Publikums draufging.
Will man es sich einfach machen, stempelt man Kinski kurz als irre ab, ähnlich wie es viele Filmcharaktere waren, die er deswegen auch verkörperte, was er aber definitiv nicht war. Kinski war wohl eher ein Schizophrener, der durchaus seine liebenswürdigen und ruhigen Seiten besaß, die aber sofort verschwanden, wenn er im Rampenlicht stand oder im Kreise seiner Schauspielkollegen nicht genügend Aufmerksamkeit bekam.
In solchen Momenten verwandelte sich der als Klaus Günter Karl Nakszynski 1926 im heutigen Polen geborene Kinski in eine von Narzissmus zerfressene, reißende Bestie, die alles tat, um im Mittelpunkt zu stehen.
Diese schmerzliche Erfahrung musste auch Moderator Reinhard Münchenhagen 1977 (zwei Jahre zuvor hatte Kinski seine skandalträchtige Autobiographie „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ veröffentlicht) in der WDR-Talkshow „Je später der Abend“ machen, in der jeder Versuch scheiterte, mit Kinski ein normales Gespräch zu entwickeln, geschweige denn, dass „Herr Münchhausen“ irgendeine seiner Fragen vernünftig beantwortet bekam (Kinski: „Fragen gibt es immer, andauernd, endlos, Fragen, Fragen, Fragen...
Ich frage auch ununterbrochen!“). Für Münchenhagen ein ziemliches Debakel, das allerdings in späteren Jahren einen erstaunlichen Kultstatus in Kinski-Fankreisen erlangte, denn selten hat sich ein Prominenter in einer Talkshow dermaßen in Szene gesetzt, wobei auch Helmut Berger teilweise nicht ganz harmlos war.
Gleichzeitig ist Kinskis Auftritt in „Je später der Abend“ ein schönes Beispiel dafür, wie man in Zeiten, in denen alles völlig zerredet wird, eine brillante Art von Nicht-Kommunikation kultivieren, damit das Medium ad absurdum führen und für sich instrumentalisieren kann.
Zwischendurch hatte Kinski auch immer wieder erstaunlich lichte Momente, in denen aus seinem Mund richtig geistreiche wie witzige Statements kamen („Die Frage nehme ich Ihnen nicht übel, aber die kann nur kommen aus einer völligen Unkenntnis meiner Person, das ist kein Vorwurf gegen Sie, es kann mich niemand kennen, ich kenne mich selbst kaum ...“), wenn er nicht gerade jemand im Publikum anpöbelte.
Ein Klassiker deutscher Fernsehunterhaltung, auch wenn das die Verantwortlichen damals etwas anders sahen. Nicht besser, eher noch schlechter, erging es der Journalistin Helga Guitton, die 1985 versuchte, Kinski während seiner Promotiontour für den ziemlich miesen Actionstreifen KOMMANDO LEOPARD für die Sendung „Wer bin ich?“ während des Essens zu interviewen.
Über eine Stunde nicht gesendetes Material, bei dem Kinski jeden Versuch von Guitton abblockt, ihm Antworten auf zugegebenermaßen oft reichlich dämliche Fragen zu entlocken. Kinski wirft hier wirklich jede professionelle Zurückhaltung über Bord und versucht, Guitton fortwährend zu erniedrigen, während die blöd grinsend und ziemlich hilflos daneben sitzt.
Auch hier gibt es Momente, in denen Kinski tatsächlich ins Erzählen kommt, bis seine Gesprächspartnerin versucht nachzuhaken und gleich wieder eine rüde Abfuhr erteilt bekommt. Eine Situation, die man eigentlich niemandem wünscht, aber Guitton stellt sich dabei auch nicht besonders glücklich an, schließlich sollte man im Falle eines Kinski-Interviews mit seiner Natur halbwegs vertraut sein.
Ein bisschen lang das Ganze, aber dennoch sehr erheiternd, in etwa vergleichbar mit dem Besuch eines SM-Studios. Als Bonus gibt es auf der DVD noch zwei neuere Interviews, ein kurzes mit Münchenhagen und ein längeres mit Ex-Bobfahrer und Unternehmer Hans „Hausi“ Leutenegger (der hatte auch in KOMMANDO LEOPARD mitgespielt und saß während des Guitton-Interviews mit am Tisch), die über ihre persönlichen Erfahrungen mit Kinski berichten und dabei zu interessanten Erkenntnissen kommen.
Ich freue mich jedenfalls schon riesig auf die DVD von KINSKI TALKS 2, die im März nächsten Jahres erscheinen soll und das ebenfalls legendäre Aufeinandertreffen von Kinski und Désirée Nosbusch enthalten soll – ihr wisst schon, die nette Luxemburgerin, die sich für eine Moderatorin und Schauspielerin hält.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #93 Dezember 2010/Januar 2011 und Thomas Kerpen