JONATHAN

So mäßig JONATHAN als Film auch sein mag, er verdient zumindest eine Erwähnung als eine der skurrilsten Adaptionen von Bram Stokers Blutsaugerepos "Dracula". Dafür verantwortlich: Hans W. Geißendörfer, Vater der "Lindenstrasse", Gründer des Filmverlags der Autoren und schon seit Ende der 60er als Regisseur tätig.

JONATHAN müsste sein Spielfilmdebüt sein, das dafür aber erstaunlich selbstsicher geraten ist. Sicherlich auch wegen der innovativen Kameraführung des Holländers Robby Müller, der später an REPO MAN, BARFLY und Filmen von Jim Jarmusch, Lars von Trier oder Wim Wenders beteiligt war, und hier einige höchst interessante Kamerafahrten zustande bringt.

Leider reicht das nicht, um JONATHAN über seine Laufzeit von knapp 100 Minuten zu einem wirklich fesselnden Film zu machen, denn dummerweise wollte Geißendörfer keinen normalen Horror-Film drehen, sondern so eine Art Politparabel beziehungsweise Faschismus-Aufarbeitung, und so trägt sein Vampir-Graf nicht umsonst einen verdächtig an den Führer erinnernden Scheitel, hat wie dieser um sich einen Personenkult aufgebaut und pflegt eine ähnliche Artikulation wie der gute Adolf.

Die eigentliche Hauptfigur ist aber der titelgebende Jonathan, der den Kult des Grafen unterwandern soll, aber nicht so recht zum überzeugenden Helden taugt. Eine richtige Story gibt es dabei nicht, Geißendörfer lässt seine Akteure durch unterschiedlichste Kulissen stolpern, leistet sich dabei erstaunlich viel nackte Haut und Blut, und inszeniert gegen Ende eine Art Volksaufstand, der dem Grafen dann den Garaus macht, der bis dahin niemals sein diabolisches Potential voll ausschöpfen konnte.

Spannend oder gruselig ist JONATHAN eigentlich nie, eher ein auf Film gebanntes, verkopftes Theaterstück, das weder interessante Figuren noch ein wirkliches Thema zu besitzen scheint. Im besten Falle handelt es sich hier um fehlgeleiteten, unausgegorenen Art-Sleaze inklusive plumper 68er-Kapitalismus-Kritik, der knapp 40 Jahre nach seiner Entstehung vor allem die Frage aufwirft, wie so ein Film überhaupt in Deutschland gedreht werden konnte, für den es weder heute noch damals irgendein Publikum gibt und gab? Eine schöne Tier-Snuff-Szene gibt es noch obendrein, denn in einer Einstellung wird deutlich sichtbar eine lebende Ratte zertrampelt.

Wer dennoch einen Blick riskieren will, dem sei die Kinowelt-DVD empfohlen, die ein erstaunlich gutes Bild besitzt, angesichts des Alters und des Low-Budget-Charakters des Films, und auch noch ein interessantes Interview mit Geißendörfer enthält - ein kompletter Audiokommentar wäre dann wohl zuviel des Guten gewesen.