Bei seiner Erstveröffentlichung 2002 mutierte Gaspar Noés „Irreversibel“ sehr schnell zum Skandalfilm. Bereits bei der Premiere in Cannes verließen einige Kritiker nach kurzer Zeit den Kinosaal, und das US-amerikanische Magazin Newsweek verlieh ihm später das vielversprechende Prädikat „most walked-out-of movie of the year“. Grund dafür waren neben beeindruckend schwindelerregenden Kamerafahrten, bei denen man wirklich das Gefühl für Zeit und Raum verlor, vor allem zwei Szenen: Zum einen die quälend lange und brutale Vergewaltigung der Hauptfigur Alex, was möglicherweise noch dadurch schockierender wurde, dass diese Tortur der wunderschönen Italienerin Monica Bellucci widerfuhr, die zusammen mit ihrem damaligen Ehemann und häufigen Filmpartner Vincent Cassel in „Irreversibel“ die Hauptrolle spielt. Zum anderen die sehr explizite Szene im Homosexuellen-Nachtclub „Rectum“, als dem vermeintlichen Vergewaltiger der Kopf mit einem Feuerlöscher zertrümmert wird (der eigentliche Täter steht daneben). Der besondere Clou an „Irreversibel“ war, dass Noé die zynische Liebesgeschichte seines überwiegend am Set improvisierten Films (dementsprechend nervig und banal sind die Dialoge) in „Memento“-Manier in nicht chronologischer Form erzählte, das Ganze aber mit dem Feingefühl eines Pornoregisseurs inszenierte. Aktuell erschien der schon einige Male auf DVD ausgewertete Film jetzt erneut auf DVD und Blu-ray. Neu hinzugekommen sind zwei Audiokommentare und das Featurette „Die umkehrbare Reise“. Neben der Kinofassung ist hier auch ein „Straight Cut“ enthalten, der die Geschichte in chronologischer Form erzählt, die dadurch jetzt eine wesentlich überzeugendere Spannungskurve besitzt. Das ändert aber nichts daran, dass sich Noé in den letzten Jahren leider immer mehr als penetranter Blender entpuppt hat.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #96 Juni/Juli 2011 und Thomas Kerpen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #153 Dezember/Januar 2020 und Thomas Kerpen