Glenn Ficarra und John Requa hatten 2003 als Drehbuchautoren großen Anteil daran, dass BAD SANTA so eine extrem spaßige und unkorrekte Angelegenheit wurde. I LOVE YOU PHILLIP MORRIS ist ihr Regiedebüt und man merkt dem Film an, dass er allzu ausgetretene Mainstream-Pfade zu vermeiden sucht, ohne dabei gleich in die geschmacklichen Untiefen der Komödien der Farrelly-Brüder abzugleiten.
I LOVE YOU PHILLIP MORRIS-Hauptdarsteller Jim Carrey hatte ja den Farrellys durch DUMM UND DÜMMER eine seiner ersten großen Filmrollen zu verdanken, so richtig warm wurde ich allerdings nie mit dem Gesichtsakrobaten, selbst wenn dieser mal in ernsthafteren Rollen zu sehen war.
Bei I LOVE YOU PHILLIP MORRIS findet er auf jeden Fall ein angenehm ausgewogenes Verhältnis zwischen seinen früheren extremen Komödienrollen und Momenten echter Tragik. Und vielleicht ist die Figur des Ex-Polizisten Steven Russell, der ein recht drastisches Coming Out als Homosexueller erlebt, sogar eine seine bisher reifsten darstellerischen Leistungen.
Basierend auf einer wahren Geschichte, denn der Hochstapler und Ausbrecherkönig Steven Jay Russell, der in den Neunzigern einige Hunderttausend Dollar erschwindelte, existiert wirklich und sitzt momentan in Texas eine 144-jährige Haftstrafe ab – ja, bei den Amis ist lebenslänglich noch wirklich lebenslänglich.
Die Karriere von Steven Russell als Hochstapler beginnt in I LOVE YOU PHILLIP MORRIS jedenfalls mit dessen Coming Out, denn der neue Lebensstil als Homosexueller erfordert ein weitaus höheres Budget als bisher, was Russell recht schnell seinen ersten Knastaufenthalt einbringt.
Dort lernt er dann den ebenfalls real existierenden Phillip Morris (Ewan McGregor) kennen und lieben. Eine nicht ganz unproblematische Romanze, denn Russell kann, als er wieder auf freiem Fuß ist, auch weiterhin nicht von seinem kriminellen Lebenswandel lassen und schlüpft in immer neue Rollen, um seine Umwelt zu narren und an Geld zu kommen.
Ein Leben auf der Flucht, was Russells sensibler Lover irgendwann nicht mehr mitmacht. Für einige deutsche Fachzeitschriften war I LOVE YOU PHILLIP MORRIS nicht mehr als eine lapidare Farce, aber mal ehrlich, sind das nicht 90 Prozent der in den Staaten produzierten Filme? Zumindest war es für die Amis mal wieder harter Stoff, dass hier zwei schwule Männer in einer Mainstream-Komödie Sex hatten und Zärtlichkeiten austauschten, von denen einer auch noch ein unverbesserlicher Krimineller war.
Ficarra und Requa bewegen sich dabei auf dem schmalen Grat zwischen der Darstellung eines unverkrampften schwulen Lifestyles und möglicherweise gewisser homophober Klischeevorstellungen, damit ihr Film auch noch für die breite Masse verdaulich ist.
Unter dem Strich ergibt das immer noch eine recht provokante Mischung, in der der Humor ähnlich wie in den Comics von Ralf König natürlich auch durch die Überspitzung bestimmter Verhaltensweisen transportiert wird, die ein heterosexuelles Publikum oft mit Homosexuellen verbindet, was allerdings weit entfernt von einem Film wie etwa EIN KÄFIG VOLLER NARREN mit seinen schwulen Paradiesvögeln ist.
Es wäre für die Geschichte und ihre Authentizität möglicherweise hilfreicher gewesen, wenn das Ganze auf einem etwas nüchternen Level abgehandelt worden wäre, aber dann hätte I LOVE YOU PHILLIP MORRIS auch deutlich weniger Spaß gemacht, denn Carreys spezielle Verkörperung eines schwulen Hochstaplers besitzt extrem viel Charme und Unterhaltungswert.
Ein BROKEBACK MOUNTAIN, der uns die Gefühle zwischen zwei Männern auf möglichst eindrückliche und ernsthafte Weise vermitteln will, ist I LOVE YOU PHILLIP MORRIS sicherlich nicht, aber dafür verkauft er das Bild eines schwulen Liebespaares und den damit verbundenen gesellschaftlichen Stereotypen möglicherweise auf eine für Viele akzeptablere Weise, ohne dass die beiden Hauptfiguren gleich zu würdelosen Witzfiguren würden.
Ganz im Gegenteil, denn hier menschelt es ganz ordentlich. Best gay movie ever? Schwer zu sagen, aber auf jeden Fall eine der unterschätztesten Komödien der letzten Zeit, smart und „thought provoking“, was einem aufgrund allzu strenger „Political correctness“-Kriterien eventuell entgehen könnte.
Bereits seit November auf DVD erhältlich.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #93 Dezember 2010/Januar 2011 und Thomas Kerpen