HARD CANDY

Der kulturpessimistische Filmkritiker ist wohlmöglich der Auffassung, dass gerade in letzter Zeit jede Menge Filme ihren Unterhaltungsanspruch mit unverblümten, sinnentleerten Sadismen zu untermauern versuchen.

Die Generation SAW, die dem klassischen Thriller eine neue Blutrünstigkeit beschert hat und deshalb mehr im Horror-Genre zu Hause ist, wobei dieser realistische Horror mehr Leute bei den Eiern packt als irgendwelche albernen Monster.

Bei den Eiern packt einen auch David Slades Regiedebüt – wer den Film kennt, weiß, wovon ich rede –, der ein moralisches Kammerspiel à la Polanskis DER TOD UND DAS MÄDCHEN fürs Internet-zeitalter aufbereitet und mit einer ähnlich verzerrten Opfer-Täter-Perspektive aufwartet.

Dank solcher Stichworte wie Kinderpornografie und Pädophilie hat er schon mal die ungeteilte Aufmerksamkeit seines Publikums, ohne diese Bereiche weiter zu vertiefen. Es geht vielmehr um die Fragen, die er letztendlich nicht beantwortet, weshalb HARD CANDY – übrigens ein Slangausdruck für ein minderjähriges Mädchen – auch angenehm die Waage hält zwischen Selbstjustiz- und Exploitation-Elementen und dem Etikett „thought provoking“.

Letztendlich ist er clever genug, um einen nicht mit einfachen Lösungen nach Hause zu schicken, denn weder Opfer noch Täter, deren Rollen sich permanent umkehren, besitzen die vollständige Sympathie des Zuschauers.

Eigentlich eine uralte moralische Frage, um die es hier geht, ob begangenes Unrecht neues Unrecht rechtfertigt, die hier eine interessante Neupositionierung erfährt, als Slade eine manchmal etwas zu durchtriebene 14-jährige Nymphe auf dem Rachetrip (eine vollkommen großartige Ellen Page aus X-MEN 3) auf einen vermeintlichen 32-jährigen Kinderschänder treffen lässt und der böse Wolf von Rotkäppchen gefressen wird.

Oberflächlich gesehen ist HARD CANDY ein minimalistischer, aber dennoch stylischer Thriller mit hohem Provokationsgrad, der ohne viel zu zeigen die Nerven des Publikums brutal freilegt, der aber auch darüber hinaus eine faszinierende Ambivalenz besitzt, die ihn zu einem nicht leicht zu schluckenden Brocken machen dürfte, der in etwa so unterhaltsam ist wie das letzte Drittel von Takashi Miikes AUDITION.

Die ungeschnittene deutsche DVD dieses auf jeden Fall sehenswerten, sicherlich nicht völlig perfekten Films kommt als ansprechende Doppel-DVD im Steelbook und besitzt jede Menge Extras in Form von zwei Audiokommentaren, Making Of und deleted Scenes.



USA 2006, Ascot Elite

In eine ähnliche Kerbe haut auch Laurence Malkins FIVE FINGERS, nur dass bei ihm das Reizthema „fundamentalistischer Terror“ heißt, zumindest scheint es so, der allerdings in dieser Hinsicht weniger überzeugend ist als HARD CANDY.

Darin wird ein holländischer Jazzpianist in Marokko entführt und findet sich in den Händen von Terroristen wieder, die seine karitativen Absichten in Frage stellen, denn angeblich arbeitet er gerade an einem Ernährungshilfsprojekt für diese Region.

Daraus entwickelt sich ein Psychoduell zwischen Ryan Phillippe, dem Holländer, und Laurence Fishburne, dem Entführer, in dessen Verlauf Phillippe einige seiner Finger verliert und irgendwann auch die Wahrheit herauskommt.

Phillippe und Fishburne machen ihre Sache nicht schlecht, allerdings kommt FIVE FINGERS meist nicht über die Ebene eines etwas zu statischen Theaterstücks hinaus und besitzt auch zu wenig Substanz für einen kompletten Spielfilm, trotz einem überraschenden Ende.

Der Reiz von FIVE FINGERS liegt sicher in seiner thematischen Aktualität, und auch wenn seine Wahrheitssuche nicht die tiefergehende moralische Dimension von DER TOD UND DAS MÄDCHEN besitzt, muss man ihm seine grundsätzliche Originalität anrechnen, die ihn von irgendwelcher Massenware für den Videomarkt deutlich absetzt