Mit seinem Buch „Gomorrha“, einer Mischung aus Roman und journalistischer Reportage, hat der 26-jährige Journalist Roberto Saviano einen weltweiten Bestseller geschrieben. Gleichzeitig Fluch und Segen, denn Saviano gewährt dem Leser darin so detaillierte Einblicke in die die Praktiken der Camorra und ihrer Vernetzung mit legalen Wirtschaftsstrukturen und der Politik – für seine Recherchen hatte er jahrelang verdeckt als Hafenarbeiter gearbeitet –, dass er seitdem auf der schwarzen Liste dieser Verbrecherorganisation steht, zumal er auch konkret Namen nennt.
Keine Publicity, die die Camorra zu schätzen wüsste, weshalb Saviano inzwischen zum Abschuss freigegeben ist und wohl auch das Land verlassen hat. Insofern eigentlich verwunderlich, dass auch noch ein gleichnamiger Film entstand, denn die Produzenten und Regisseur Matteo Garrone müssten doch eigentlich dasselbe Schicksal befürchten, da dieser sich basierend auf Savianos Buch mit dem Unwesen der Camorra in Neapel beschäftigt.
GOMORRHA besteht dabei aus fünf Handlungssträngen, von denen allerdings nur zwei konkret miteinander verknüpft sind. Dabei zeigt er, wie die Camorra Einfluss auf bestimmte Bereiche nimmt, darunter Drogenhandel, illegale Müllentsorgung, das Bauwesen und die Textilidustrie, und natürlich auch nicht vor Mord und Totschlag zurückschreckt.
Einen THE GODFATHER oder GOODFELLAS darf man hier nicht erwarten, denn Garrone ist um eine naturalistische Darstellung und Authentizität bemüht und schildert die Ereignisse in höchst unreißerischer Form.
Damit kommt er sowohl stilistisch als auch bezüglich seiner inhaltlichen Aussagen einer Dokumentation sehr nah, ohne dabei die Komplexität des Buches zu erreichen. Man hat teilweise sogar das Gefühl, dass Garrone regelrecht Angst hatte, mal etwas konkreter zu werden – alles wird nur angedeutet, die Handlung bleibt diffus, unzusammenhängend und seltsam distanziert.
Selbst die Morde schockieren nicht, die in der Regel im Off stattfinden, ob aus Subtilität oder Pietät sei mal dahingestellt. Und auch die Tatsache, dass die Camorra Kinder instrumentalisiert, ist nicht weiter überraschend.
Eigentlich ist einem das Schicksal aller Beteiligten irgendwie egal, man nimmt es mit einer gewissen Empörung zur Kenntnis, ohne dass Garrone echte Empathie für seine Beobachtungsobjekte erzeugen könnte.
Zumal einem die Geschichten, über die GOMORRHA berichtet, seltsam vertraut vorkommen. Wie gesagt, niemand hätte hier klassisches Unterhaltungskino erwartet, aber eine gewisse Form von Spannung ist auch bei einem Film dieser Machart möglich, ansonsten kann man sich direkt eine Dokumentation anschauen.
Eine italienische Wochenzeitschrift schrieb über GOMORRHA: „GOMORRHA, ein prächtiger Film, ist das Gegenteil des Buches. [...] Während das Buch informiert und aufdeckt, anklagt und protestiert, ist der Film eine anthropologische Studie, [...] eine Analyse der Kriminalität als Existenzform und Lebensweise.“ Das mag wohl stimmen, nur macht das GOMORRHA leider nicht zu dem aufregenden Film, den man angesichts dieses Themas erwartet hätte.
Insofern macht es wohl eher Sinn, direkt das Buch zur Hand zu nehmen, das als vollständige Taschenbuchausgabe einer der beiden DVD-Versionen von Prokino beiliegt und sich so zum direkten Vergleich anbietet.
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