Ich persönlich würde dazu tendieren, Ang Lees bisheriges Schaffen als Regisseur als äußerst durchwachsen zu bezeichnen. CROUCHING TIGER HIDDEN DRAGON halte ich für vollkommen überbewertet und äußerst langweilig, HULK stolperte permanent über seine Überambitioniertheit, SENSE AND SENSIBILITY ist eine fürchterliche Schnulze, THE WEDDING BANQUET eine nette Komödie, RIDE WITH THE DEVIL ein wirklich exzellenter Spätwestern und die schwulen Cowboys muss ich mir bei Gelegenheit auch noch mal anschauen.
Mit GEFAHR UND BEGIERDE (SE, JIE) ist Lee auf jeden Fall sein bisher skandalträchtigster Film gelungen, zumindest was China und die USA betrifft. Denn in den USA bekam der Film in der ungekürzten Version das für die Kinoauswertung tödliche NC-17-Rating aufgedrückt, das Äquivalent des X-Ratings für Nicht-Pornos, und musste für ein R-Rating erheblich gekürzt werden.
Und die chinesische Hauptdarstellerin Tang Wei, eine wirkliche Entdeckung als Schauspielerin, wunderschön und erstaunlich wandlungsfähig, kam wegen ihrer freizügigen Sexszenen und der politischen Dimension ihrer Rolle in ihrer Heimat auf eine Schwarze Liste, wodurch es nicht mehr möglich ist, Anzeigen und Werbespots mit ihr zu veröffentlichen, was für dieses ungemein liberale Land ja eigentlich nicht weiter ungewöhnlich ist.
Ansonsten gehen die Meinungen über GEFAHR UND BEGIERDE eher auseinander beziehungsweise pendeln sich bei "zu lang und zu wenig mitreißend" ein. Unbestritten ist, dass Lee sein Handwerk als Regisseur eindeutig versteht, denn GEFAHR UND BEGIERDE ist wirklich sehr elegant und stilsicher inszeniert, hinzu kommt die hervorragende Kameraarbeit des Mexikaners Rodrigo Prieto, der auch an allen bisherigen Filmen von Alejandro González Iñárritu beteiligt war.
Die Geschichte von GEFAHR UND BEGIERDE ist tatsächlich etwas mager für gut 150 Minuten, zumal das Ganze auch nur auf einer Kurzgeschichte basiert. Allerdings lebt der Film vor allem von seiner atmosphärischen Visualisierung des Shanghais Anfang der 40er Jahre beziehungsweise des Chinas Ende der 30er Jahre, während der Besetzung durch die Japaner.
Tang Wei spielt darin eine Studentin, die durch eine Theatertruppe an eine Widerstandsgruppe gerät, die einen chinesischen Regierungsbeamten namens Mr Yee (Tony Leung Chiu Wai) beseitigen will, der mit den Japanern zusammenarbeitet und auf den sie die Studentin als Köder ansetzen.
Der erste Versuch scheitert, aber vier Jahre später treffen die Widerstandsgruppe und die Studentin wieder aufeinander und versuchen erneut, die erotische Liaison zwischen ihr und dem verhassten Kollaborateur aufzuwärmen, der inzwischen für die Geheimpolizei arbeitet.
Seine Spannung bezieht GEFAHR UND BEGIERDE dabei vor allem aus der Beziehung zwischen Mr Yee und der Studentin, an sich eher eine graue Maus, die er als mondäne Frau Mak kennen lernt, und in deren Nähe der versteinerte Beamte fast menschliche Züge annimmt.
Eine Beziehung, die natürlich kein gutes Ende nehmen kann und geprägt ist vom Zwiespalt der jungen Frau, zwischen Hass und Zuneigung für den Mann, den sie in eine tödliche Falle locken soll.
Lee erzählt diese erotisch aufgeladene Geschichte, die weniger klassischer Spionagefilm als abseitige Lovestory ist, in gemächlichem Tempo, und auch wenn die Figur der Studentin manchmal an jemand wie Marthe Richard erinnert, die das tat, was man Mata Hari fälschlicherweise immer unterstellt hatte, findet man dabei entweder einen Zugang zum besonderen Verhältnis von Tony Leung Chiu Wai und Tang Wei oder GEFAHR UND BEGIERDE bleibt tatsächlich eine unbefriedigende Erfahrung.
Wer eine überwiegend actionreiche Kriegs-, Spionage- und Liebesgeschichte sehen will, sollte vielleicht besser direkt zu Paul Verhoevens ZWARTBOEK greifen, denn die Stärken von Lees Film liegen eher in den unausgesprochen, angedeuteten Momenten, sieht man mal von den sehr direkten Sexszenen ab, und natürlich in den feinen schauspielerischen Leistungen von Tang Wei und Tony Leung Chiu Wai, einem der Veteranen der Filmindustrie Hong Kongs.
Die Extras sind für so eine aufwändige Produktion eher mager, aber zumindest kann man Tang Wei und Tony Leung Chiu Wai auch noch mal in kleinen Interviews abseits des Filmgeschehens erleben.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #78 Juni/Juli 2008 und Thomas Kerpen