Bereits nach knapp einer Minute scheint alles klar zu sein: GASTON kommen aus Chicago und ihr neues Album wurde selbstverständlich von John McIntyre produziert. Aber der Schein trügt. John McIntyre wird vermutlich noch nie von diesen fünf Jungs aus Berlin gehört haben.
Aber wen stört das? Möglicherweise nur denjenigen, der seinen vermeintlichen Musikgeschmack an derartige Aspekte bindet. Für diesen könnte man auch schnell noch Aufkleber mit dem Aufdruck Postrock, Jazzpop oder Mathemucke auf die Schublade klatschen, in die GASTON wahllos gesteckt werden könnten.
Aber setzen wir einmal voraus, dass der wahrhaftig Musikbegeisterte sich im Allgemeinen, unabhängig von eben genannten Voraussetzungen, von nichts anderem als der Musik überzeugen lassen möchte: Schnell stellt man dann begeistert fest, dass GASTON an ihren Instrumenten (Schlagzeug, Gitarre, zwei Bässe und Vibraphon) arschfit sind.
Umso fassungsloser ist man, wenn man Zeuge eines Liveauftritts von GASTON sein durfte. Dort wird mit einer unbekümmerten Leichtigkeit aufgespielt und es herrscht ein so reger Instrumentenwechsel, dass man des Öfteren seinen Augen und Ohren nicht mehr trauen mag.
Das Ganze ist man natürlich aus dem Hause TORTOISE und deren großer Familie bereits gewohnt. Aber GASTONs Musik und damit auch ihr neues Album tragen zwei wesentliche Elemente in sich, die den meisten der US-amerikanischen Referenzbands der Sparte "anspruchsvoller Instrumentalmusik" fehlen: Erstens verlaufen sich GASTON nicht in beliebigem, die fehlenden kreativen Ideen übertuschendem Geplänkel oder bloßen rhythmisch-vertrackten Partaneinanderreihungen.
Zweitens, und damit einhergehend, verlieren sie zu keiner Zeit den Bezug zur Melodie. Hier penetriert kein Song durch egomanisches Sendungsbewusstsein einzelner Instrumentalisten, sondern soundtrackartige Melodien und spannende Songstrukturen ziehen sich von einem Song zum nächsten.
Kein Wunder, dass GASTONs eigentlich so irrsinnig komplexe, zugleich aber zu keiner Zeit den Hörer überfordernde Musik international gemocht wird. Nach Englands erfreut sich nun auch Japans Underground-Jugend an GASTON.
Vermutlich wird man sich hier wie dort über die mit knapp 37 Minuten eindeutig zu kurz ausgefallene Spieldauer dieser Platte echauffieren. Aber mal ehrlich: besser eine kurze und brillante, als eine langwierige und uninspirierte Platte auf dem Spieler.
GASTON haben hier unprätentiös etwas aufgetischt, das begeistert. Das Elend solch guter Bands ist leider nur, dass ihnen wegen der erwähnten unvorteilhaften Voraussetzungen zu wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht wird.
Aus gegebenen Anlass also: GASTONs neues Album wurde von keinem geringerem als John McIntyre produziert. GASTON klingen wie eine Mischung aus KARATE und TORTOISE. GASTON kommen aus Chicago.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #143 April/Mai 2019 und Anke Kalau
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #58 Februar/März 2005 und Björn Bauermeister