Schon damals nahm ich die PLASMATICS um Frontfrau Wendy O. Williams nur am Rande wahr. Der Song „Butcher baby“ ist die einzig verbliebene positive Erinnerung an die Band. Williams, meist oben ohne und mit schwarzen Aufklebern auf den Brustwarzen unterwegs, wollte schockieren und zog die Aufmerksamkeit der Gesellschaft inklusive diverser TV-Auftritte auf sich. Diese Erscheinung scheint aus meiner Sicht auch Triebfeder für Robin Eisgrau gewesen zu sein, sich des Lebens von Williams in der Retrospektive anzunehmen. Zugegeben war ihr Auftreten gerade zu jener Zeit extrem, aber andere Frontfrauen habe ich deutlich nachhaltiger erlebt. Die PLASMATICS kamen aus der Retorte, mit lächerlich vielen austauschbaren „Bandmitgliedern“ um die Schockfrau herum. Eisgrau wartet mit ein paar interessanten Geschichten auf, die Sequenz mit MOTÖRHEAD ist unterhaltsam, Auseinandersetzungen mit der Polizei oder Randale bei den Konzerten kann man sich auch mal geben. Insgesamt aber wird diese Distanz, die ich persönlich zu Wendy O. Williams habe, auch bei der Autorin spürbar. Es gibt keine emotionale Nähe. Eisgrau hat erst spät vom Tode Williams’ erfahren. Und das steht aus meiner Sicht stellvertretend für die Geschichte einer Frau, die auffallen wollte, aber letztendlich keinen Platz in der Gesellschaft finden konnte. In Interviews aus der damaligen Zeit erlebe ich eine kindliche, verlorene Seele auf der Suche nach sich Selbst. Die überzeugte Vegetarierin, Tierschützerin und Aktivistin für natürliche Kost erschoss sich am 6. April 1998 im Alter von 49 Jahren in einem Waldgebiet nahe ihrer Wohnung.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #158 Oktober/November 2021 und Stephan Zahni Müller